Wort gehalten. Die Wohnung in der Ramlerstraße ist klein, zweckmäßig und sauber. Ein Schrankfach für Lars hat er freigeräumt und die Lebensmittelvorräte aufgefüllt. Boris gab Lars eine Kurzeinweisung, wo was zu finden ist und wo der Müll entsorgt werden muss. Strikte Mülltrennung verlangt der Hauseigentümer, Lars hat dieses lästige Kapitel in Hamburg lernen müssen. Britta war gnadenlos und hat ihm immer wieder erklärt, welcher Becher und welche Tüte wo gesammelt werden müssen. Die Tonnen auf dem Hof sahen aus der Entfernung aus wie Farbeimer. Jedes Stück Müll musste einer Farbe zugeordnet werden. Einige Nachbarn wachen darüber mehr als vermutlich über ihr Eigentum. Auch wenn Lars die Regeln inzwischen begriffen hat, so muss er immer lachen, wenn die Müllabholung farblich getrennte Container in den gleichen LKW kippt.
Bei einem Kaffee erzählt Lars von seiner Arbeit in Hamburg und von seinem Berliner Job, Boris berichtet von seinen Aufträgen und, dass er gleich weg muss, wegen einer Flughafenabholung. Boris hat auf dem Hof einen Stellplatz angemietet, den teilen sich die beiden im Falle, dass sie die Dienstwagen über Nacht mitnehmen. Die neuen S-Klasse-Modelle hatte Lars schon in Hamburg kennen gelernt, ’Very first class Limo’ hat für den Auftrag Professor Mitteldorff einen ‚S 350 Blue Tec’ bereitgestellt. Ein nagelneues Fahrzeug mit allen Schikanen, Lars schätzt den Neuwert der Limousine auf über 100.000 Euro.
Die letzte Limousine von ’Very first class Limo’ hat Lars fast zu Schrott gefahren. Mulmig wird ihm bei der Erinnerung an die waghalsige Ralley durch Berlins Straßen. Neben ihm saß ein Mörder, der ihn mittels einer Giftspritze umbringen wollte, weil er in Lars einen Zeugen für seinen Mord an einem Kollegen sah. Nein, diesmal wird es ein ganz ruhiger Job, morgen früh geht es los.
Fort Maede (Maryland, USA)
„Machen sie sich keine Sorgen, sie haben korrekt nach den Vorschriften gehandelt. Mrs. Tanner, wir haben einen Treffer, einen ‚RC’. Das weitere Vorgehen liegt nicht mehr in unseren Händen, die Angelegenheit ist nach oben gereicht worden. Mehr weiß ich nicht darüber.“
Robert Flyn ist Briggs und Tanners Abteilungsleiter bei der NSA. Extrem kurz geschnittene schwarze Haare und ein Vogelgesicht mit einer Hakennase lassen ihn wachsam und gefährlich wirken. Der Vorgesetzte zählt zu den Beförderungskandidaten und könnte bald in den erweiterten Führungsstab der NSA aufrücken.
„Ein ‚RC’, was ist das? Das hatten wir noch nie Mr. Flyn.“ Tanner zeigt sich lernbegierig, auch wenn sie eine große Portion Neugier nicht verbergen kann.
„Mrs. Tanner, wir sind draußen aus der Sache, haben sie mich verstanden?“
„Ja, sehr wohl, Mr. Flyn!“
Tanner hat es nie gestört, dass bei der NSA oft ein militärischer Ton angeschlagen wird. Ihr kommt es vor, als wenn die Vorgesetzten diesen verwenden, wenn sie selbst unsicher sind oder eine klare Grenze im Gespräch ziehen wollen. Zwischendurch gibt es lange Phasen, die von einem kollegialen freundlichen Gesprächsklima geprägt sind. Da wird nach der Familie gefragt oder die Sportergebnisse werden diskutiert. Aber hier ist ein Grenzpunkt erreicht, Tanner wird nicht weiter fragen. Sie gibt nickend nochmals kund, dass sie verstanden hat und schickt sich an, Flyns Büro zu verlassen.
„Mrs. Tanner! Ein bisschen Recherche in alten Spielfilmarchiven und sie könnten ihre Frage selbst beantworten. Aber ich sage es ihnen: Red Case!“
Rechtenbach (Spessart)
Pierce Wahl ist auf ein unauffälliges deutsches Fabrikat gefallen, in weißer Golf VI. Die Autovermietung Hertz akzeptierte sämtliche gefälschten Dokumente, der Zoll machte ebenfalls keine Sperenzien und nahm ihm den Geschäftsmann und Softwareverkäufer ab.
Die 80 Kilometer bis nach Rechtenbach absolvierte Pierce in unter einer Stunde Fahrzeit. Der Bergwald Spessart liegt in gut erreichbarer Entfernung zum internationalen Flugplatz in Frankfurt am Main. Eine bessere Wahl hätte Pierce nicht treffen können. Der Spessart ist dicht bewaldet, geht man abseits der Wanderrouten, trifft man selten einen Menschen. Bis in die zwanziger Jahre fand im Spessart noch Bergbau statt. Eisen- und Manganvorkommen wurden gewonnen. Verrottete Lagerstätten gibt es noch heute. Eine davon entdeckte Pierce und legte einen in der Nähe liegenden Schacht frei. Vermutlich hatte dieser einen anderen Zweck, jedoch stellen die Erbauer schnell ihre Arbeit ein. Gut getarnt ist er nicht zu finden und in keiner topographischen Karte verzeichnet. Einer einstündigen Wanderung bedarf es allerdings, das Depot zu erreichen.
Rechtenbach ist eine unter Bevölkerungsrückgang leidende Gemeinde. Kaum 1.000 Menschen leben dort, zwei Gasthäuser und ein Turnverein. Kein Ort, der zu einem längeren Besuch einlädt, denkt Pierce. Aber die dörfliche Eintönigkeit besitzt einen einschlägigen Vorteil. Im Umfeld gehen zahlreiche Wander- und Forstwege direkt in den Wald hinein. Abgeparkte Autos von Einheimischen und Touristen sind nichts Ungewöhnliches in der Nähe dieser Wege. Oft für mehrere Stunden stehen die Fahrzeuge am Wegesrand, während die Insassen sich mit Rucksack und Wanderstock auf den Weg machen.
Die ins GPS-Handgerät programmierten Koordinaten zeigen den Weg zum Depot. Der Wanderrucksack ist leer und wird auf dem Rückweg gut gefüllt sein.
Berlin
„Hast du gut geschlafen, mein Traumfahrer? Mir war sehr einsam ums Herz, hoffentlich bist du bald wieder da.“
Lars freut sich, Brittas Stimme am Morgen zu hören. Mehrfach drehte er sich nachts auf der Liege hin und her, er vermisste Brittas warmen Körper.
„Ich habe auch nicht so toll geschlafen, aber heute geht mein Job los, vielleicht dauert er nicht zu lange.“
„Wenn du wieder da bist, können wir ein paar Tage wegfahren. Ich habe da so eine Idee und noch eine Woche Urlaub. Wie wäre es?“
„Gute Idee, die Aufträge in Hamburg sind zurzeit auch eher zurückhaltend.“
„Ich werde mal mit meinem Chef heute reden. Mal sehen was er dazu sagt. Was macht eigentlich Boris?“
„Der ist schon wieder unterwegs. Gestern spät gekommen und heute wieder früh raus. So ist das in diesem Job, Regelmäßigkeit ist ein Fremdwort.“
„Dann pass gut auf dich auf, wir sprechen uns nachher.“
Lars blickt durch das Küchenfenster auf den Hof, die S-Klasse glänzt in der Sonne. Doch die schwarzen Limousinen haben mit ihrem modernen Nanolack immer das gleiche Problem: Über mehrere Stunden Standzeit setzt sich eine dünne Staubschicht auf die Oberfläche. Wenn die Sonne drauf scheint, erkennt man den Staub, der dann aussieht als hätte das Fahrzeug seine letzte Wäsche vor einer Woche gehabt. Lars beschließt, den Wagen noch einmal zu waschen, er hat noch ein paar Stunden Zeit bis zur Ankunft der Maschine aus Frankfurt.
Rechtenbach (Spessart)
Es wird nicht schwer werden, an die Alte heranzukommen. Der Fahrer muss abgewimmelt werden und dann sollte eine pharmazeutische Lösung den Job erledigen. Für alle Fälle hat Pierce noch ein wenig Sprengstoff und ein paar Waffen eingepackt. Einen endgültigen Plan wird er erst dann festlegen, wenn er sich die Gegebenheiten vor Ort angeschaut hat.
Der Golf steht noch brav am Forstweg. Eine kleine Gruppe Wanderer kommt ihm entgegen.
„Grüß Gott, Wandersmann! Hatten sie einen schönen Marsch gehabt und in welchen Zustand befinden sich die Wege. Noch etwas glitschig nach den Regenfällen, oder?“
Pierce mag es nicht, in Gespräche reingezogen zu werden, vielleicht erinnert sich jemand an ihn, obwohl sein Aufenthalt hier unauffällig ist. Ein kurzes oberflächliches Gespräch ist aber alle mal besser als ohne Gruß weiter zu gehen. Seine Deutschkenntnisse reichen für den Alltagsgebrauch, man wird ihn ohnehin als Amerikaner identifizieren. Noch während des Kalten Krieges, als die Rhein-Main Air Base am Flughafen in Betrieb war, waren dort über 10.000 Soldaten stationiert. Amerikaner sind in dieser Gegend nichts Ungewöhnliches.
„Gut, die