Reinhold Vollbom

Grüße von Charon


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Na ja, Sie wissen ja bestimmt, wie seinerzeit hinter unserem Rücken getuschelt wurde. Es ist kein Geheimnis, dass der überwiegende Teil von Holgers Erbe an eine Stiftung geht. Und das ist auch gut so. Ich werde mich schon irgendwie durch das Leben schlagen.«

      Holger Schiller stand immer noch regungslos vor der Tür. Er hörte, wie sie in ein Taschentuch schnäuzte.

      »Wann, sagen Sie, werden sich bei ihm die ersten Beschwerden bemerkbar machen? – So früh? In einigen Wochen?! Mein Gott, und er fühlt sich so kräftig und gesund. Erst letztes Wochenende haben wir auf einer Feier darüber diskutiert, wie man sich verhalten sollte, wenn man erfährt, dass man sterbenskrank ist. – Holger?! Holger sagte, er würde mit seinem Boot auf See fahren, sich eine Kette um die Beine legen und ins Wasser springen.« Ein Heulschauer überfiel sie. »Er darf es auf gar keinen Fall erfahren. Zumindest so spät wie irgend möglich. Sie haben recht, Doktor. Wenn er es vorher erfährt, tut er sich was an …«

      Mit entsetztem Gesichtsausdruck hatte Holger Schiller den Worten seiner Partnerin zugehört. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte er, ob er sich stillschweigend entfernen sollte. Doch dann stieß er die Tür auf, tat jedoch so, als hätte er von dem Gespräch nichts mitbekommen. »Kann es sein, dass ich den Namen von meinem Hausarzt, Doktor Delbrück, gehört habe?!«

      Erschrocken und mit verweinten Augen sah Rosi Spreen ihren Lebensgefährten an, um im selben Augenblick den Hörer eilig auf den Apparat zu legen. »Er … er wollte wissen, ob du vor zwei Tagen deine Armbanduhr bei ihm vergessen hast«, stotterte sie umständlich.

      Ohne zu antworten hielt er seinen linken Arm in die Höhe, an dem sich die Uhr befand. »Was ist mit dir? Du weinst ja.«

      »Vom Zwiebelschneiden. Ich mache uns einen gemischten Salat für heute Mittag.«

      Holger Schiller begab sich in die Küche, um sich etwas zum Trinken zu holen. Rein zufällig fiel sein Blick auf die geschnittene Zwiebel auf dem Küchentisch. Eine flinke Auffassungsgabe hatte sie, das musste er ihr zugestehen. Danach ging er ins Wohnzimmer zurück.

      Rosi hatte recht, schoss es ihm durch den Kopf. Letztes Wochenende, auf der Feier, vertrat er tatsächlich die Meinung, dass man seinen Mitmenschen nicht zur Last fallen sollte, wenn man sterbenskrank ist. Mit kräftigen Worten sprach er davon, den Mut aufzubringen und sich selber ein Ende zu setzen. Mit einem Mal verschwammen die Möbel vor seinen Augen. Halt, jetzt bloß nicht umkippen, riss er sich zusammen.

      Schwer atmend ließ er sich in einen der Sessel fallen. Mit gedankenversunkener Miene schossen ihm Rosis Worte durch den Kopf. Geahnt hatte er es, dass sie wahrscheinlich mit ihrem Reichtum nur flunkerte. Es interessierte ihn damals jedoch nicht besonders. Dann griff er zum Telefon und wählte die Nummer vom Notariatsbüro Pommer.

      Es verging nahezu eine Stunde, bis er sich wieder aus dem Sessel erhob. Er wusste, was er zu tun hatte.

      »Rosi, ich muss noch was erledigen. Danach will ich mich auf die Verhandlung in ein paar Tagen vorbereiten. Ich werde mit dem Boot auf den See hinausfahren …«

      »Ich komme mit«, unterbrach sie ihn eilig. Ihre katzenhaften Augen musterten ihn abschätzend.

      »Nein, ich habe dir doch schon mal gesagt, dass mich bei den Vorbereitungen nichts ablenken darf. Auch du nicht.« Er küsste sie zärtlich auf die Stirn und sah ihr hierbei durchdringend in die Augen. Gleich darauf drehte er sich um und eilte aus dem Haus.

      Zuerst lenkte er die Luxuslimousine in die Innenstadt zum Notar. Etwas später verließ er das Büro und begab sich zum Hafen. Er bestieg seine Yacht und fuhr auf die Mitte des Sees hinaus, wo er den Motor abstellte. Schweigend stand er an der Reling, des schwankenden Schiffes und sah auf das stumpfe Grau des Wassers hinab. Vereinzelte Lichtreflexe erweckten die Wellenhügel zum Leben. Unter dieser grau glitzernden Fläche lauerte der Tod. Dem Tod, dem er noch vor wenigen Tagen mit verächtlichen Worten jederzeit zur Verfügung stehen wollte, wenn es die Lage erforderte. Immer und immer wieder huschte der Blick Holger Schillers, von der tänzelnden Wasseroberfläche des Sees, zu der schweren Ankerkette. Diese lag nur wenige Schritte von seinen Füßen entfernt.

      Er wusste nicht, wie lange er so dem Schauspiel der Wellen zugesehen hatte, als er sich entschloss nach Hause zurückzukehren. Die späte Nachmittagssonne erwärmte sein düster dreinblickendes Gesicht, als das Boot in den Yachthafen einlief. Eine halbe Stunde danach betrat er sein Haus am Rande der Stadt.

      »Holger!« Rosi Spreen empfing ihn überschwänglich und lautstark. »Herrje! Warum bist du so lang weggeblieben?! Ich habe mir Sorgen gemacht.«

      In ihren katzenhaften Augen vermisste er jedoch das funkelnde Sprühen, das ihn immer so sehr reizte. Er glaubte, die nackte Angst in ihren Pupillen erkennen zu können. Während er noch überlegte, ob er ihr sagen sollte, dass er das Gespräch mit Doktor Delbrück mit angehört hatte, drückte sich plötzlich ein schwerer Gegenstand in seinen Rücken.

      »Er nimmt sich das Leben. Das ist so ein Bursche. Von wegen. Schau ihn dir an. Er lebt immer noch.« Ärgerlich schnaufend sprach irgendjemand diese Worte hinter ihm, zu Rosi. »Wenigstens war er beim Notar und hat das Testament geändert. Ich bin ihm in die Stadt gefolgt. Vermutlich wirst du jetzt den größten Teil seines Vermögens erben, Rosi. Vielleicht sogar alles.«

      Holger Schiller drehte sich vorsichtig um. Er sah in das kantige Gesicht eines Burschen, der ungefähr Rosis Alter hatte. Dann sah er zu der Person hinüber, von der er noch vor wenigen Stunden annahm, dass sie ihn aus ganzem Herzen liebte.

      »Wenn du schon zu feige bist, dich selber umzubringen, muss ich dir halt die Arbeit abnehmen.« Bei diesen Worten bohrte sich der Gegenstand härter in seinen Rücken. »Ich werde dich gleich ins Reich der Träume schicken. Und dann passiert dir das, was du letztes Wochenende selber angeregt hast. Mit ein paar Ketten, um deine Beine wirst du mit dem Grund des Sees Bekanntschaft machen. Zeugen, die hörten, wie todesmutig du bist, gab es auf der Feier genug, erzählte mir Rosi. Ich bin übrigens mit ihr verlobt. Sicherlich wird sie von schweren Depressionen zu berichten wissen, die dich in letzter Zeit plagten. Deswegen hattest du vorgestern auch den Arzt aufgesucht. Wenn der nichts von deinen Klagen weiß, dann nur deshalb, weil du dich im letzten Augenblick nicht getraut hast mit der Wahrheit herauszurücken.« Sein künstliches Lachen war Furcht einflößend.

      Gleich darauf war es mucksmäuschenstill. Holger Schiller spürte förmlich, wie der andere von hinten zum Schlag ausholte. »Ich habe das Testament geändert«, sprach er hastig. »Aber nicht so, wie Sie sich es vorstellen.« Seine Stimme klang gelassen und überzeugend.

      »Mache es nicht so spannend«, forderte der andere energisch.

      »Nun, ich habe Rosi enterbt. Im Klartext, sie bekommt nichts, wenn ich sterbe. Außerdem liegt beim Notar ein Schreiben von mir, in dem steht, dass in meinem eventuellen kurzfristigen Ableben, ein Helfershelfer von Rosi die Finger mit im Spiel hatte …«

      »Quatsch nicht rum«, unterbrach er ihn.

      »Bevor ich das Haus verließ«, sprach Holger Schiller, »habe ich einen Privatdetektiv angerufen, der auch schon für unsere Bank gearbeitet hat. Jeder, der nach mir das Haus betreten hat oder verließ, wurde von diesem Detektiv fotografiert. Außerdem hat er den Auftrag die Personalien der Personen herauszufinden.«

      »Das ist möglich«, ergriff nun Rosi Spreen das Wort. »Etwa eine Stunde bevor er das Haus verließ, hat er telefoniert. Ich habe ihn schließlich beobachtet.«

      Die Stimme des Verlobten, mit dem kantigen Gesicht, klang ein wenig gereizt. »Der führt uns an der Nase herum. Warum sollte er auf einmal misstrauisch geworden sein?!«

      »Ich gebe zu, im ersten Augenblick, als ich Rosi am Telefon hörte, war ich vor Erstaunen sprachlos.« Holger Schiller hatte seine Selbstsicherheit zurückgewonnen. »Doch dann beging Rosi einen Fehler. Sie erzählte, dass Doktor Delbrück anrief, um sich zu erkundigen, ob ich meine Armbanduhr bei ihm vergessen hätte …«

      »Und?«, wollte Rosi Spreen wissen. »Ich habe nur so getan, als ob ich mit ihm sprach. In Wirklichkeit hielt ich den Hörer in der Hand und hörte die ganze Zeit das Freizeichen. Erst als ich Holgers Schritte vernahm, tat ich so, als ob ich mit dem Delbrück