Peter Urban

Der Herr des Krieges Teil 2


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fliegende Händler aus Lissabon grinste. Es war erstaunlich, doch den höchsten Offizier in ganz Portugal schien in diesem Moment nicht anderes zu bekümmern als die gerechte Verteilung von Butterkaramellen. Und dies, obwohl dieser irische General den Ruf hatte, ein Feuerfresser zu sein, der seine Tage damit zubrachte, Franzosen umzubringen und seine Nächte, Pläne zu schmieden, wie er noch mehr von ihnen ins Jenseits oder zurück über die Pyrenäen befördern konnte.

      Nachdem Manuela und Lord Wellington sich über den Sinn eines Ehrenwortes geeinigt hatten, setzten sie zufrieden ihren Spaziergang fort. Nächstes Ziel war das kleine Kaffee neben der Pfarrkirche. Wie immer fand der Ire seinen Chefspion, den Pfarrer von Freneida und Lady Lennox um einen Tisch versammelt. Der nachmittägliche Tratsch war genauso ein Zeremoniell, wie die Karamellbonbons. Er setzte Manuela auf Sarahs Schoß, zog sich einen Stuhl heran und tratschte in einer bunten Mischung aus Spanisch und Englisch mit. Der Wirt brachte Kaffee für den Iren und eine Mandelmilch für das kleine Mädchen. Genau so, wie der fliegende Händler aus Lissabon, erkundigte er sich nach Paddy. Das ganze Dorf kannte den Rotschopf, der immer zu Streichen aufgelegt war und schon von so manch braver Hausfrau ein paar hinter die Ohren bekommen hatte. Man befragte seine spanische Freundin neugierig, was denn dieses Mal der Grund für die erzieherische Maßnahme seiner strengen Mutter gewesen war. Manuela nippte an der Mandelmilch. Dann strahlte sie die ganze Runde an: „Er hat seinem Papa eine Kröte ins Bett gelegt!”

      „War’s wenigstens eine große?” Arthur erinnerte sich, daß er als Kind mit seinem Vater ähnliche Spiele getrieben hatte. Für eine kleine Kröte war ein ganzer Nachmittag Hausarrest hart. Lord Mornington hatte sich meist damit begnügt, seinen Sohn fünfzig Mal schreiben zu lassen‘ Ich darf meinem Vater keine Kröten in die Jackentaschen stecken!’

      „Riesig, klatschnaß und schrecklich häßlich!”, nickte das kleine Mädchen ihm begeistert zu.

      “Na, dann hat es sich wenigstens gelohnt!”, murmelte der Oberkommandierende des alliierten Feldheeres in seine Kaffeetasse. Es stimmte ihn nachdenklich, daß er seine eigenen Kinder nicht kannte: Arthur Richard war so alt wie Manuela, William etwas älter als Paddy Seward. Zuerst betrachtete er traurig die kleine Spanierin in Sarahs Armen, dann Lady Lennox. Miss Pakenham mußte seine Jungen inzwischen mit ihrer absonderlichen Mischung aus Bigotterie, Dummheit und Überängstlichkeit fürs Leben verdorben haben. Er fragte sich, was wohl an dem Tag geschehen würde, an dem er seine Söhne wiedersah. Sie wußten nichts über ihren Vater, er nichts über sie. Nur von Zeit zu Zeit schrieb Kitty ihm einen knappen Brief: „Den Kindern geht es gut! Schicke mir Geld!” Alles, was seine sogenannte Ehefrau interessierte, war seine Unterschrift unter einem Wechsel an die Coutt’s Bank in London. Wie sehr mußte sie doch darauf hoffen, daß eines Tages ein Offizier des Kriegsministeriums mit Trauermiene bei ihr auftauchte, um ihr mitzuteilen, daß ihr Gemahl, irgendwo fern der Heimat, für König und Vaterland gefallen sei. Damit wäre sie endlich die ungeliebte Beschäftigung los, ihm Bettelbriefe zu schreiben. England sorgte gut für die Witwen ihrer toten Helden!

      Sarah bemerkte seine traurigen Augen. Sie zog ein paar kleine, spanische Münzen aus der Tasche, legte sie auf den Tisch und gab dem General Zeichen aufzustehen und mitzukommen. Er verabschiedete sich von Robertson und dem Dorfgeistlichen. Mit Manuela an der Hand spazierten Lord Wellington und Lady Lennox durch die Herbstsonne auf die Obstgärten zu. Sie suchten sich einen Platz unter einem Apfelbaum. Das kleine Mädchen tollte im Gras herum.

      „Du denkst an deine Kinder, Arthur!” Sarah hatte seine Hand in die ihre genommen.

      „Meine Kinder? Auf dem Papier! Ich habe Arthur Richard zum letzten Mal gesehen, als er drei Monate alt war. Heute ist er fast sechs. Und William ist für mich nur ein Name auf einem Auszug im Kirchenregister!” Er zuckte mit den Schultern. Vielleicht war es ja besser so. Zumindest beschäftigte ihn auf einem Schlachtfeld nicht auch noch der Gedanken an eine geliebte Frau, die zu Hause um ihn zitterte und an Kinder, die um ihren Vater weinen würden, wenn es das Schicksal eines Tages nicht gut mit ihm meinen sollte. Es war einfacher, einem Feind entgegenzutreten, wenn man nichts zu verlieren hatte. Und Sarah machte es ihm leicht. Sie hatte nicht diese leidige Angewohnheit vieler Offiziersfrauen, ihren Männern dauernd die Ohren voll zu jammern. Er hatte schon eine große Anzahl guter Soldaten an diese leidige weibliche Gewohnheit verloren. Die Ladys schrieben Klagebrief um Klagebrief und irgendwann standen die entnervten Offiziere vor ihm, redeten sich mit imaginären Krankheiten heraus oder mit dringenden Geschäften. Dann verschwanden sie vom Kriegsschauplatz und kehrten nie wieder zurück. In London gab es immer eine Möglichkeit, sich über irgendwelche Beziehungen ein warmes, sicheres Plätzchen in einer Garnison oder im Kriegsministerium zu sichern. In seiner Welt aus Schwarz und Weiß existierte dieses Problem nicht: Wer einen Soldaten heiratete, wußte woran er war und hatte kein Recht, hinterher zu jammern! „Warum heulst du mir eigentlich nie die Ohren voll, Kleines?”, fragte er Lady Lennox schnippisch.

      Sanft nahm sie sein Gesicht in ihre Hände und blickte ihm tief in die Augen: „Was würde das ändern, Sepoy-General?”

      „Garnichts! Wir lägen nur dauernd im Streit miteinander und würden uns die Freude an der Gesellschaft des anderen verderben!” Er hatte sie angeschwindelt. Arthur hoffte, daß die feinfühlige junge Frau ihm die Lüge nicht an den Augen ablas. Vielleicht, wenn sie ihm damals keinen Korb gegeben hätte und heute mit seinen Kindern, an Kittys Stelle, in Irland auf ihn warten würde, vielleicht würde er sich genausoverzweifelt wie die anderen darum bemühen, von Spanien und aus dem Krieg weg, nach Kildare zu verschwinden. Vielleicht müßte sie ihm nicht einmal Klagebrief um Klagebrief schreiben, um ihn dazu zu bewegen, die Armee zu verlassen. Liebevoll strich eine kleine Hand über sein kurzes Haar. Lady Lennox lächelte und schüttelte den Kopf. Sie durchschaute ihn schon seit langer Zeit. Der Ire sagte und tat oft Dinge, nur um sich zu schützen. Er mochte es überhaupt nicht, wenn es seinen Mitmenschen gelang, hinter den Schutzwall zu blicken und zu erkennen, daß er mit seinem Zynismus und seiner Ruppigkeit ein weiches Herz und eine verletzliche Seele zu verbergen suchte: „Weißt du, ich mache mir auch Sorgen um dich! Da unterscheide ich mich in nichts von den anderen Soldatenfrauen. Doch immer wenn ihr laut nach Blut und Ehre schreit und mit dem Säbel rasselt, bin ich damit beschäftigt, die Folgen eurer Dummheiten zu beheben. Da hat man dann keine Zeit zu lamentieren und zu heulen. Und wenn du nicht auf Macs Liste stehst, beruhige ich mich wieder ganz schnell, weil ich ja immer noch mit den Überresten eurer Heldentaten zu tun habe! Während ihr euch schlagt, haben wir kein Recht darauf, Angst zu haben und die Nerven zu verlieren ...” Sarahs Augen blitzten spöttisch. Der Ire legte den Arm um ihre Schulter und zog sie eng an sich. Wie sehr er sie liebte; sie war so klug, so unabhängig und selbstständig. Sie brauchte niemanden, der ihr eine Stütze war und der sie durchs Leben führte und ihr schwerwiegende Entscheidungen abnahm. Sarah war ein Geschenk für einen Mann, keine Last: „Wenn du mir damals keinen Korb gegeben hättest und an Kittys Stelle wärst ...”

      „... dann würde ich nicht mit rotgeweinten Augen in Irland auf dich warten, mein Freund! Da kannst du ganz sicher sein!”

      Die Tage im Winterlager von Freneida vergingen ruhig. Alle waren damit beschäftigt, sich von einem anstrengenden Sommer zu erholen. Arthurs eigenes Regiment war gemeinsam mit ihm in dem kleinen Marktflecken selbst einquartiert. Alexander Wallace und seine Connaught Rangers befanden sich, nur ein paar Meilen weiter in ihrem traditionellen Quartier Fuentes de Onoro, Tom Picton saß keine Stunde entfernt in Aldea da Ponte und Black Bob Craufurd hatte sich in der malerischen Ruine von Fort Concepçion eingenistet. Wenn die Männer in den grünen Jacken nicht gerade damit beschäftigt waren, die Spuren der Schlacht von Fuentes de Onoro zu beseitigen, trieben sie sich bei ihren Kameraden vom 33. Regiment in Freneida herum. Rote und grüne Röcke vermischten sich auf dem Marktplatz bunt mit den Bauern der Umgebung. An den Lagerfeuern, die am Abend vor den Zelten der 33. Infanterie brannten erklangen fröhlich gälische Stimmen, die Iren und Schotten sangen gemeinsam, tranken, amüsierten sich. In Freneida war reges Leben eingekehrt. Durch diese unerwartete Bevölkerungsexplosion wurden Händler aus allen Teilen Portugals und aus Leon angezogen und der kleine Markt war zwischenzeitlich bestens mit Obst, Gemüse, Geflügel und anderen Dingen, die das Leben angenehm machten, versorgt. Die gesamte Beira, auf beiden Seiten der Grenze, profitierte von der Anwesenheit der anglo-alliierten Armee. Im Gegensatz zu den Franzosen