Peter Urban

Der Herr des Krieges Teil 2


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Nase, trinkt Rotwein literweise und schlägt sich den Wanst voll und dann verschläft er meinen Rückzug auf Aldea de Ponte und verfolgt uns nicht. Es ist sträflich, sich als erwachsener Marschall von Frankreich so aufzuführen ... Bonny ist kein Gentleman!” Wellington hatte ordentlich gefrühstückt, ausreichend Kaffee bekommen und sogar drei Stunden geschlafen. Dieser Luxus wirkte sich positiv auf ihn aus. Und er wußte, daß er seinen noblen Gegner mühelos und ohne große Verluste in die Schranken gewiesen hätte, wenn er aufgetaucht wäre. Eigentlich war er ja sogar ein bißchen stolz auf sich: Nach vier Jahren und sieben Waffengängen mit den Adlern, genügten die bloße Erwähnung seines Namens und ein paar Rotröcke auf einem Hügel, um den Feind einzuschüchtern. Napoleon Bonapartes Anwesenheit auf einem Schlachtfeld ersetzte 40.000 Mann. Seine scheinbar auch! Er stand energisch vom Tisch auf, griff nach Schwert und Feldjacke und verschwand durch die Tür. Picton rief ihm noch nach: „Was machen wir jetzt?” Der Ire blieb in der Tür stehen: „Zwei Tage abwarten, und wenn sich dann immer noch nichts tut, bis zum nächsten Frühjahr ins Winterlager ziehen, uns ausruhen und darüber nachdenken, wie wir die Adler ärgern könnten. Ich will den arroganten Herren aus Paris endlich Ciudad Rodrigo wegnehmen!”

      Bis zum 2. Oktober blieben die Alliierten in ihren Stellungen bei Aldea de Ponte. Als sie sicher wußten, daß der Herzog von Ragusa aufgegeben hatte, schickte der Oberkommandierende alle Männer in ein langes, geruhsames Winterlager. Er war in allerbester Stimmung. Hill hatte ihm eine Depesche aus Elvas geschickt, aus der hervorging, daß Soult keinen Versuch unternahm, gegen die portugiesische Grenze zu ziehen. Burgersh, der sich, als spanischer Händler verkleidet, in Sevilla herumtrieb, erzählte, daß der Marschall, nachdem er die Stadt von der latenten Bedrohung durch den spanischen General Blake und dessen Armee befreit hatte, ein friedliches Leben führte. Meist vergnügte er sich hoch zu Roß in der Donaña, dem ehemaligen Jagdrevier der Herzöge von Medina Sidonia, in dem es vor Wild, Wasservögeln und Luchsen nur so wimmelte. Er residierte, wie ein König, in den prächtigen Reales Alcazares, die im Jahre 1364 für Pedro I. im maurischen Stil erbaut worden war. Seine Abende waren ausgefüllt mit Theater- und Opernbesuchen, bombastischen Ess- und Trinkgelagen und anderen Lustbarkeiten. Burgersh hatte seine Sache besonders gut machen wollen. Ausführlich schilderte er in einem Bericht alle Gewohnheiten von Lord Wellingtons berühmtestem Gegner.

      In seinem eigenen spartanischen Hauptquartier in Freneida, einem winzigen Nest, drei Meilen westlich von Fuentes de Onoro und Villa Fermosa, saßen der alliierte Oberkommandierende, sein Chefspion Dr. Jack Robertson und Lady Lennox mit großen Augen und hängenden Kinnladen über dem fünfzehnseitigen Papier, das ein Guerillero, versteckt in einem Hirtenstab, zu ihnen geschmuggelt hatte: „Fritura de Pescado, Habas a la Rondena, Ternera con Alcachofas, Serrano-Schinken und hinterher Tocino de Cielo! Ich finde Burgersh übertreibt! Muß er den unbedingt die Speisekarte dieses verdammten Adlers herunterbeten, wie das Vaterunser? Mir läuft das Wasser im Mund zusammen!” Der dicke Benediktiner sah vom Bericht seines diensteifrigen Spions kurz auf. Sein verzweifelter Blick schweifte über einen halbleeren Teller mit ein paar verlorenen Stückchen geräucherter Wurst und einer einsamen Kruste Schwarzbrot. Die Beira war ein karges, armes Land und die Diät, der man ihn gerade unterzog, erinnerte ihn irgendwie an die barbarischen Foltermethoden der Heiligen Inquisition. Lady Lennox, die eine Schwäche für Süßigkeiten und Kuchen hatte, schien ebensoneidisch auf das leichte Leben von Soult und Burgersh in der ehemaligen, spanischen Königsstadt. Leise und verträumt murmelte sie „Tocino de cielo” vor sich hin. Ihr Blick war in die unendlichen Weiten des ehemaligen Schweinestalls gerichtet, der Lord Wellington nun als großes Besprechungszimmer diente. Trotz der sorgfältigen Säuberung durch Sergeant Dunn und die Waschfrauen des 33. Regiments, hing der fatale Geruch immer noch in allen Ritzen und Winkeln. Nur der Ire schien alles mit stoischer Gelassenheit hinzunehmen. Zufrieden schnappte er sich die letzte Kruste Schwarzbrot und eine Scheibe Wurst. Soult amüsierte sich. Damit war der Marschall ungefährlich und er konnte einen langen, geruhsamen Winter in den Bergen verbringen, seine müden Knochen ausruhen, die Füße unter einen gedeckten Tisch strecken, sich jeden Tag ausschlafen und im Warmen sitzen, wenn es draußen kalt und unfreundlich wurde. Als echter Soldat, der mehr Nächte im Feld verbracht hatte als in festen Behausungen, wußte er den kleinsten Luxus schätzen: „Ich verstehe euch nicht! Mir gefällt Burgershs Bericht ausgesprochen gut! So lange mein Freund Soult damit beschäftigt ist, die Speisekarte in Sevilla auszuprobieren und die Weinkeller der Stadt leerzutrinken, läßt er uns doch in Ruhe. Ist es nicht wunderbar, jeden morgen aufzustehen und zu wissen, daß kein Adler vor der Tür steht und mit dem Säbel rasselt?” Er ließ die Uhr aufschnappen. Es war kurz vor zwei Uhr am Nachmittag:

      „So, ihr beiden! Ich habe einen wichtigen Termin mit dem jungen Master Seward! Wenn jemand mitkommen möchte, um in den Bergen auszureiten ...”

      „Geh ohne mich los, Arthur! Ich will versuchen, auf dem Markt irgend etwas Vernünftiges für das Abendessen aufzutreiben. John wartet schon auf mich!” Lady Lennox war von der Idee nach Süßigkeiten besessen, seit sie Burgershs Bericht hatte ertragen müssen. Sie wollte Sergeant Dunn überreden, einen großen Apfelkuchen zu backen. Zumindest Äpfel gab es in diesem verlorenen Nest reichlich. Eigentlich war Freneida ja gar nicht so übel: In etwas mehr als 30 kleinen Steinhäusern wohnten schrecklich nette Bauersleute. Die drei größeren Gebäude hatte der britische Stab mit sanftem Druck und einer fairen Summe Geld für die ausquartierten Besitzer requiriert. Eine kleine Kirche, ein Kaffee, eine Bodega und einen Marktplatz, auf dem immer etwas los war, rundeten das Bild des Provinzfleckens ab. Alles ähnelte dem Nest, aus dem ihre Mutter stammte, hoch oben in den Bergen Schottlands.

      Jack Robertson rieb sich das Rückgrat. Der Sommerfeldzug und die langen Stunden im Sattel hatten ihn doch ein wenig angestrengt. Er beschloß, das Angebot von Lord Wellington dankend abzulehnen und lieber einen besinnlichen Nachmittag mit seinem spanischen Kollegen im Pfarrhaus von Freneida zu verbringen und dabei einen Schoppen Landwein zu leeren.

      Arthur sattelte Kopenhagen und Sarahs alte, dunkelbraune Stute. Seit die junge Frau Libertad ritt, benutzte sie das brave Tier nur noch als Packpferd. Es war sanft genug, um Rob Sewards kleinem Sohn einen ungefährlichen Ausritt in den Bergen zu ermöglichen. Der Ire liebte Kinder und Marys nun vierjähriger Junge war ihm seit Talavera sehr ans Herz gewachsen. Er ritt bis zu dem Bauernhaus, in dem die Familie seines Leutnants einquartiert worden war. Miss Seward saß vor der Tür, nähte an einem Kleidungsstück und schwatzte angeregt mit der Bäuerin, die ihre Gastgeberin war. Sie hatte offensichtlich ein gutes Ohr. Ihr Spanisch klang sehr korrekt. Arthur stieg vom Pferd und verbeugte sich leicht vor den beiden Frauen: „Mary, vertraust du mir deinen kleinen Jungen für den Nachmittag an?”

      „Mit Freuden, Mylord! Seit dem Frühstück macht er mich schon damit verrückt, daß er ganz alleine mit Ihnen ausreiten darf!” Sie rief ins Haus hinein und der Vierjährige kam wie ein Wirbelwind durch die Tür geschossen. Er ignorierte seine Mutter völlig und stob zu Wellington, der ihn auffing und in die Arme nahm. Ein kleines Mädchen mit langen, schwarzen Zöpfen rannte ihm hinterher. „Ich hab schon schrecklich auf dich gewartet, Arthur!”, keuchte der kleine Junge aufgeregt. Seine Mutter warf ihm einen strafenden Blick zu. Ihr Sohn duzte den Oberkommandierenden der alliierten Armee und einen Pair von England. Und dem schien das gar nichts auszumachen. Als sie noch ein Kind in Grennock gewesen war, hatten sie sich vor dem Laird tief zu verbeugen gehabt und durften ihn nicht einmal ansprechen. Paddy zeigte auf das kleine, spanische Mädchen hinunter: „Sie ist meine Freundin! Darf sie auch mit?” Die Bäuerin wollte ihr Kind an der Hand zurückziehen. Doch Lord Wellington schüttelte den Kopf und lächelte ihr zu: „Esta bien, Señora? Die Kleinen sind ein Geschenk des Himmels! Wir dürfen ihnen ihre Wünsche nicht verweigern!” Zuerst setze er Paddy in den Sattel von Sarahs Stute, dann hob er das kleine Mädchen hinauf: „Wie heißt Du?” Die Kleine war schüchtern. Paddy mußte für sie antworten: „Sie heißt Manuela und ist schon fünf Jahre alt!”

      Lord Wellington verbeugte sich spielerisch: „Encantado de conocerle, Señorita! Du mußt dich nur gut an Paddy festhalten und brauchst keine Angst zu haben. Es ist ein ganz braves Pferd!”

      „Ich hab überhaupt keine Angst!”, kam eine stolze, spanische Antwort zurück. Der Ire legte Paddy die Zügel in die Händchen und zog einen Strick durch den Trensenring am Reithalfter der alten Stute. Sein