Elke Maria Pape

Mörderliebe


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Aussagen oft so laut von sich gegeben, dass er, Eduard, sie bis zu seinem Auto gehört hatte. Reichte es denn nicht, was Rosemarie mit ihrem Ehemann ertragen musste? Er konnte kaum glauben, was er dort zu hören bekam. Was gibt Menschen es, wenn sie Schwächere oder solche, die sich nicht zu wehren wussten drangsalierten? Sah ihr eigenes, armseliges Leben dadurch besser aus? „Schaut sie euch an!“, hatte Desiree einmal laut gerufen. „Könnt ihr euch vorstellen, dass ihr Mann noch irgendetwas von der will? Ach Gott, jetzt wird sie noch rot, unsere Rosemarie!“ Aus voller Kehle hatte sie gelacht bis sich ihr Gesicht zu einer widerlichen Grimasse verzehrte und ihre glupschigen Augen hervor traten. Die häufigen Male, in der Eduard sie beobachtet hatte, war es so oder ähnlich abgelaufen.

      Aber auch, wenn sie nicht ganz so laut war, hatte er anhand der traurigen Reaktion und dem gesengten Blick Rosemaries bemerkt, wie nah ihr das ging.

      Am liebsten wäre er jedes Mal aus dem Auto gesprungen und hätte sich diese verkommene Desiree Hausmann vorgenommen. Ein gezielter Griff an ihre Gurgel und es wäre vorbei gewesen. Einmal hatte er seine Fäuste vor Wut so sehr zusammen gepresst und aufs Lenkrad geschlagen, das es schmerzte.

      Er hatte es regelrecht vor Augen, wie sehr sie jeden Tag leiden musste, stellte sich vor, wie ausgeliefert Rosemarie den Attacken ihrer so genannten Kollegin war. Wahrscheinlich war es während der gesamten Arbeitsstunden so abgelaufen, jeden verdammten Tag aufs Neue. Menschen, die immerzu gemobbt werden, nehmen mit der Zeit eine bestimmte Körperhaltung an. Die Opferhaltung. Eduard konnte das sofort erkennen, und Rosemarie verhielt sich bereits so. Sie ging meistens gebückt und sah nach unten.

      Es wurde also höchste Zeit, dass er eingriff.

      Allerhöchste Zeit.

      Sie würde wieder die Schönheit der Welt wahrnehmen, eines Tages, wenn ihr Blick wieder nach vorne ging und sie ihre Würde wieder bekam.

      Er würde Teil dieses Planes sein. Nur ein klitzekleiner Teil. Das wusste er. Aber was spielte sein Ego für eine Rolle? Gar keine. Er würde Rosemarie retten. Alles andere war unwichtig.

      Jetzt kam sie raus, lärmend und laut lachend wie immer, ein paar Freundinnen im Schlepptau, bei denen sie sich eingehakt hatte. Eduard drehte sich auf dem Absatz herum und ging schnellen Schrittes in die Richtung der Wohnung von Desiree Hausmann. Er wusste, dass sie immer einen dunklen Fußweg als Abkürzung nahmen, sie waren ja zu mehreren Leuten, was sollte da schon passieren?

      Eduard war schon da, als er sie von weitem hörte. Jetzt waren sie nur noch zu dritt, die anderen hatten eine andere Richtung gewählt. Versteckt hinter zwei dichten Tannen wartete Eduard! Es war jetzt beinahe stockdunkel!

      Seinen langen Mantel hatte er ausgezogen und am Anfang des Fußweges seitlich an einen Baum gehängt, so dass er von niemanden gesehen werden konnte. Trotz der Kälte zitterte Eduard nicht. Er atmete in tiefen Zügen langsam ein und aus. Jetzt war er vollkommen ruhig.

      Es war soweit. Gleich würde Rosemarie ein Problem weniger haben auf ihrem Weg in die Freiheit.

      Sie kamen näher, sie gingen jetzt an ihm vorbei. Eduard überlegte noch, wie er es am besten anstellen sollte, alle drei? Nein, das hatte er eigentlich nicht geplant. Aber wenn es sein musste. Da kam ihm ein Zufall zu Hilfe.

      „Moment!”, rief Desiree laut ihren Freundinnen zu. „Mein Schuh ist auf. Geht ruhig schon mal weiter. Ich hol euch schon ein!” Die Freundinnen nickten und gingen weiter, froh, nicht in der Kälte stehen bleiben zu müssen.

      Der richtige Zeitpunkt, dachte Eduard. Sie stand jetzt nur noch drei bis vier Meter von ihm entfernt, in gebückter Haltung und band sich ihren Schuh zu.

      Eduard trat lautlos aus den Tannen hervor, zog sein Springmesser aus seiner Hosentasche und traf genau in dem Moment hinter ihr ein, als sie sich wieder aufrichtete.

      Eine Sekunde lang reckte sie ihren Kopf nach oben, so als hätte sie ein Geräusch gehört. Eduard stand direkt hinter ihr und genoss es, wie aus der sorglosen Körperhaltung der Frau plötzlich eine verkrampfte wurde, als sie merkte, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie drehte sich langsam, fast wie in Zeitlupe zu ihm herum.

      Fahles Mondlicht fiel durch die Bäume und Desirees Augen weiteten sich vor Panik, als sie den riesigen, schwarz gekleideten Mann sah.

      Er packte sie brutal, schleuderte sie herum und schlitzte ihr mit einem sauberen Schnitt die Kehle auf.

      Der Tod war so schnell über Desiree Hausmann gekommen, dass sie keine Gelegenheit mehr hatte, zu schreien! Sie sackte zusammen und Eduard ließ sie einfach auf dem gepflasterten Gehweg liegen. Er spürte den warmen Blutstrom, der über seine Hände lief. Schnell wischte er sich seine Hände am Pullover ab und rannte mit dem Messer in der Hand in Richtung des Weganfangs. Dort riss er seinen Mantel von den Bäumen und streifte ihn sich über. Von weitem hörte er die Rufe der Freundinnen, zuerst noch fröhlich, doch als sie keine Antwort bekamen, immer besorgter.

      Als die beiden Sportkolleginnen zurückgingen, um zu sehen, was mit Desiree los war, befand sich Eduard schon eine Straße weiter. Ein Mann, der sich an einem kalten Winterabend den zugeknöpften Mantel über den blutigen Pullover geschlungen hatte.

      Nicht weiter auffällig für die anderen Menschen, die jetzt noch unterwegs waren.

      Kapitel 15

      Die aufgestellten, großen Standschweinwerfer der Polizei beleuchteten den Tatort auf eine bizarre Weise. Es war bitterkalt. Wenigstens gaben die dicht stehenden Bäume und Tannen einen gewissen Windschutz ab.

      Ich möchte zu Hause sein, dachte Karla wehmütig. Zu Hause in meinem Bett. Sie dachte an Frank. Ihr alter Schulfreund, der ihr in den letzten Nächten ihre Feierabende versüßt hatte.

      „Das Opfer heißt Desiree Hausmann, 25 Jahre alt und Arbeiterin in der hiesigen Knopffabrik.” Zacharias Stimme riss Karla brutal in die schreckliche Wirklichkeit zurück. Er stand jetzt neben ihr, eine Wollmütze tief ins Gesicht gezogen. In der Hand hielt er den Personalausweis und den Werksausweis der Toten.

      „Was ist hier nur los? Was soll das alles?” Karla ging zu der Leiche, die in seltsam verzerrter Haltung auf dem mit Herbstblättern übersäten Gehweg lag. Unter dem Oberkörper der jungen Frau hatte sich eine riesige Blutlache gebildet.

      Ihre Augen waren weit aufgerissen, starrten in dem grellen Scheinwerferlicht anklagend ins Nichts der dunklen Nacht.

      Beamte der Spurensicherung waren gerade dabei, ein kleines weißes Zelt über der Leiche aufzubauen, damit sie in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen konnten, den Körper abzukleben, um Fasern zu sichern und andere eventuelle Fremdspuren. Bis zum Morgengrauen würden sie beschäftigt sein. Und so waren sie sicher vor Regen und vor neugierigen Blicken von Passanten und Presse.

      Karla hockte neben der Toten, wie in einer stillen Einkehr und starrte auf die klaffende Halswunde. Sie brauchte diesen Moment. Er gab ihr die Gelegenheit, das Opfer näher in ihre Gedanken aufzunehmen. Fast so, als wollte sie es kennenlernen und sich vorstellen, wie denn dieser Mensch gewesen war, als er noch lebendig war. Das war das Dilemma eines jeden Mordermittlers. Sie waren, im Gegensatz zu denen, die sie nachher befragten, die einzigen, die die Person ausschließlich als Opfer gesehen hatten.

      Obwohl der Tatort ansonsten großräumig abgesperrt war, befanden sie schon die ersten Vertreter der Presse vor Ort, nervten die zur Bewachung abgestellten Beamten mit ihren Fragen und versuchten um jeden Preis, wenigstens ein halbwegs scharfes Foto vom Tatort zu bekommen.

      Dr. Gruß, der Gerichtsmediziner, der auch Carola Schmidt untersucht

      hatte, war wieder vor Ort. Zacharias und Karla standen neben ihm und hörten ihm zu.

      „Ein glatter Schnitt, von links nach rechts ausgeführt. Der Täter ist also Rechtshänder. Er muss ein sehr scharfes Messer gehabt haben, mit einer mittellangen Klinge, also vielleicht ein Springmesser oder ein Skalpell. Und er muss mit dem Blut seines Opfers besudelt sein. Bei einer aufgeschlitzten Kehle spritzt das Blut in alle Richtungen.” Karla erschauderte.

      Zacharias schaute hinunter auf die Leiche.