Elke Maria Pape

Mörderliebe


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als wäre sie hingefallen, sondern als wäre sie hingestellt worden.”

      „Ja.”, antwortete Karla. „Das ist mir auch schon aufgefallen. Sie ist kurz stehen geblieben, haben ihre Freundinnen gesagt. Ihr Schuh war wohl offen. Für den Täter eine günstige Gelegenheit. Und Frau Hausmann wähnte sich wahrscheinlich in Sicherheit, trotz des dunklen Weges. Ihre Freundinnen waren ja noch in Sichtweite, nicht weit entfernt.”

      „Kommen Sie Frau Albrecht, hier können wir jetzt nicht mehr viel machen. Wir werden die Freundinnen befragen.”

      „Sind die noch hier?”

      „Ja, sie stehen dort hinten hinter der Absperrung an einem Kranken-wagen.”

      Beide gingen das Stück bis zum Sperrband. Kurz dahinter stand ein Notarztwagen mit offener Tür, in dem die zwei Freundinnen saßen. Trotz der Wolldecken, die sie umgehängt bekamen, zitterten sie am ganzen Körper.

      Karla und Zacharias stellten sich vor und versuchten behutsam herauszufinden, was sich genau zugetragen hatte. Sabine Klinger, eine der beiden, schien unter Beruhigungsmittel zu stehen, der Notarzt hatte seine Hand auf ihre Schulter gelegt, das gab ihr eine gewisse Sicherheit, so dass sie in der Lage war zu sprechen. Die andere, Tanja Wiesmann, deutlich jünger, stand noch völlig unter Schock und schaute mit glasigen Augen durch die Kommissare hindurch. Es hätte keinen Zweck gehabt, sie in diesem Zustand zu befragen.

      Aber Sabine Klinger wollte reden, wollte das schreckliche, das sie gesehen hatte loswerden. Sie sprach mit stockender Stimme, die Tränen rannen ihr unaufhaltsam übers Gesicht: „ Wir haben so viel Spaß gehabt heute Abend. Die Desiree, die war immer so gut drauf. Die hat uns oft motiviert, wenn wir mal keine Lust aufs Training hatten. Sie war so voller Energie, wissen Sie!”, flüsterte sie leise, so dass die beiden Kommissare Mühe hatten, sie zu verstehen.

      Sie weinte jetzt hemmungslos, erinnerte sich an die schrecklichen Minuten dort hinten auf dem dunklen Weg, wie sie gerufen hatten, immer wieder: „Desiree, wo bleibst du denn? Das kann doch nicht so lange dauern!” Späße hatten sie gemacht und sich an lustige Begebenheiten aus dem Fitnessstudio erinnert. Tanja, immer ein bisschen ängstlich, war die erste gewesen, der die Sache komisch vorkam. „Lass uns nachschauen.”, hatte sie besorgt gemeint.

      „Ach komm, die macht doch nur Späße mit uns!”

      Aber dann war auch sie überzeugt gewesen, dass etwas nicht stimmte. Während sie den Weg zurückgegangen waren, ist ihnen die Sache immer unheimlicher geworden. Ein unbestimmtes Gefühl des Grauens hatte sie erfasst, das sie nicht genau deuten konnten, so als wenn man weiß, dass gleich etwas ganz Schreckliches auf einen zukommt.

      Und es war das Schrecklichste gewesen, das sie je in ihrem Leben gesehen hatten. Zuerst war ihnen nur der schlaffe Körper von Desiree aufgefallen, den sie von weitem auf den Steinen liegen sahen. Dann waren sie gerannt, in der Hoffnung, Desiree wäre nur zusammengeklappt, Kreislaufversagen, zu viel trainiert oder ähnliches. Und gleich würde sie wieder aufstehen, würde, wenn sie erst mal zu sich gekommen wäre einen ihrer Witze reißen und alle würden erleichtert lachen.

      Doch Desiree stand nicht mehr auf, stand nie wieder auf. Trotz der Dunkelheit hatten sie ihre aufgerissenen Augen gesehen.

      „Desiree, Desiree, was ist mit dir?” Tanja hatte sich als erste neben sie gehockt und sie am Gesicht angefasst, ihre Hand hatte etwas Klebriges gefühlt.

      Blut. Jede Menge Blut. Desirees Blut.

      Fassungslos hatten sie auf den toten Körper gestarrt. Desiree, die immer so schlank und schön war, dachte Sabine. Desiree, die stets auf ihren Körper geachtet hatte wie keine zweite. Wenn sie sich selber sehen könnte, wie sie jetzt hier lag, auf dem nassen, glitschigen Boden mit verzerrten Gliedmaßen, voller Blut. Sabine hielt es nicht für angemessen für eine so schöne Frau so hässlich zu sterben.

      Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wer von beiden mit dem Handy den Notruf gewählt hatte.

      „Haben Sie irgendjemand gesehen? Vorher, bevor Sie in den Weg eingebogen sind?”, fragte Zacharias Weinfeld. „Oder haben Sie beobachtet, wie jemand weglief, irgendwelche Geräusche gehört?”

      Sabine schüttelte den Kopf.

      „Genug jetzt.” Der Arzt schritt ein. „Wir bringen die beide jetzt ins Krankenhaus zur Beobachtung. Mit einem schweren Schock ist nicht zu spaßen.”

      Später wärmten sich Zacharias und Karla im Kommissariat an einem frischen Kaffee auf, beide fühlten sich völlig zerschlagen. Es war schon wieder passiert. Wieder ein Mord. Der dritte innerhalb der letzten drei Monate. Ein Mensch, mitten aus dem Leben gerissen, nicht durch Krankheit, nicht durch einen Unfall, sondern auf die furchtbarste Art, die man sich vorstellen konnte. Durch Mord.

      „Atmen Sie noch mal durch heute Nacht!” Karla wärmte sich ihre Finger an der heißen Tasse Kaffee. „Morgen werden sich die von den Medien wie die Aasgeier darauf stürzen!”

      Zacharias wusste, dass sie Recht hatte und dass sich sein Aufenthalt auf dem Lande noch etwas in die Länge ziehen würde.

      Kapitel 16

      Karla sollte Recht behalten. Das gesamte Kommissariat stand unter Druck. Ihr Chef Dr. Schiller rauschte mehrmals am Tag aufgehetzt ins Büro, meistens mit ihren welchen Faxen in der Hand, auf denen sich Interview Anfragen von Zeitungen befanden.

      „Dr. Schiller, hören Sie.”, versuchte Karla auf ihn einzuwirken. „Wir arbeiten Tag und Nacht an der Aufklärung der Morde. Dieser Druck von allen Seiten bringt uns nichts. Wir müssen den Rücken freihaben, das ist jetzt das Wichtigste.”

      „Ok. Ja, ich sorge dafür. Was haben wir bis jetzt?”

      „Drei Morde in drei Monaten, völlig verschiedener Art.

      Fritz Olischewski, erschossen in seinem Auto, Ende August,

      Carola Schmidt, Rentnerin, erdrosselt in ihrer Wohnung, Ende September,

      und jetzt Desiree Hausmann, gefunden am 30. Oktober mit aufgeschlitzter Kehle, 25 Jahre, Fabrikarbeiterin.

      Es gibt keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen den Opfern, keinen Hinweis, dass sie sich gekannt haben. Alle waren unterschiedlich alt, sahen unterschiedlich aus und wurden auf verschiedene Art und Weise umgebracht. Wir haben das Umfeld von jedem einzelnen genau unter die Lupe genommen und nichts Beunruhigendes gefunden.

      Das einzige, was man, unter uns, etwas zynisch anmerken könnte, ist die Tatsache, dass alle Opfer, na, lassen Sie mich überlegen, wie ich es am besten ausdrücke, eher dominant waren, Führungspersönlichkeiten, verstehen Sie, was ich meine? Menschen, die eher anderen sagen, was sie machen sollen.” Karla kratzte sich grübelnd am Kopf.

      „Ja, Sie haben Recht.” Dr. Schiller blätterte in den vielen Protokollen, die auf Karlas Schreibtisch lagen. „Fritz Olischewski ist wahrscheinlich so eine Art Familiendespot gewesen, Carola Schmidt die unnachgiebige Tante, die ihr Geld hortet, und Frau Hausmann?

      Sie und Herr Weinfeld waren doch heute Morgen bei ihrem Verlobten. Wie hieß er noch gleich?” Er schaute angestrengt in die neu angelegte Akte Desiree Hausmann.

      „Körner, Werner Körner!”, kam ihm Karla zuvor. „Ja, wir waren heute Morgen da. Er ist noch in der Nacht von zwei Beamten über den Tod seiner Verlobten informiert worden. Ein Psychologe kümmert sich um ihn. Wissen Sie, was mir gerade einfällt? Er ist der erste gewesen, von dem wir wirklich den Eindruck hatten, dass er aufrichtig und tief trauert.”

      Karla hatte noch das Bild vom Morgen im Kopf, die zusammengesunkene Gestalt von Werner Körner, blass, mit rot geweinten Augen. Mit seinen Händen hielt er ein Bild fest umklammert, dass ihn und Desiree Hausmann während eines Urlaubs zeigte. Zwei fröhliche, verliebte Menschen, die mit der Unbeschwertheit der Jugend in die Kamera lachten, nicht wissend, wie schnell ihr Glück zu Ende sein würde.

      Sie und Zacharias hatten versucht, ihn zu vernehmen, und verstanden nicht viel von dem, was Werner Körner mit tränenerstickter Stimme sagte. Nur