E. K. Busch

Einer von Zweien


Скачать книгу

Gute zum neunzehnten Geburtstag!“

      Ich rang mir ein Lächeln ab.

      „Danke schön, Ulrike!“

      Mir war in letzter Minute ihr Name eingefallen. Etwas schleppend war er mir über die Lippen gekommen. Einen Moment sahen wir einander etwas dümmlich an. Dann nippte sie verlegen an ihrem Plastikbecher mit Punsch. Vermutlich wäre es jetzt an mir gewesen, etwas zu sagen. Etwas Lustiges oder Originelles am besten, wie es Fred zu jeder Tages- und Nachtzeit vermochte. Mir fiel aber nichts ein. Überhaupt nichts.

      Wäre sie eine meiner alten Damen gewesen, hätte ich wohl gefragt: „Wie geht es Ihnen denn heute? Und Ihr Rücken?“

      Aber Ulrike war keine meiner alten Damen, tatsächlich war sie mit ihren samtig wallenden Haaren und der makellosen, wenn auch leicht geröteten Haut Beispiel blühender Jugend.

      „Meine Großmutter redet immer so gut von dir“, erklärte sie nun: „Wüsste ich's nicht besser: Man könnte meinen, sie wäre verliebt in dich.“

      „Frau Falks?“, fragte ich peinlich berührt.

      Wieso musste sie jetzt dieses unsägliche Thema ansprechen? Es ließ sich nicht gerade brüsten mit meiner Fürsorge den alten Damen gegenüber. Eher deuteten die meisten meinen Kontakt mit den Gebrochenen und Einsamen als Zeichen meiner eignen Aussätzigkeit. Denn es hatte zwar jeder Mitleid mit den sozialen Restposten aber wer wollte sich schon wirklich mit ihnen abgeben? Und ich selbst kam manchmal nicht umhin, mich zu fragen, ob es sich wirklich um Nächstenliebe meinerseits handelte oder ob ich im Grunde nicht ebenso arm dran war wie diese unsäglichen Geschöpfe.

      „Ich habe sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen“, erwiderte ich, fügte dann hinzu: „Aber sie lädt mich ab und an auf ein sehr gutes Stück Kuchen ein und überhaupt: Sie ist eine sehr nette Frau.“

      „Findest du?“, erwiderte Ulrike keck grinsend und fügte dann, ehe sie ihre Nase erneut in den Plastikbecher steckte, hinzu: „Ich finde sie manchmal ziemlich garstig.“

      „So wollte ich es jetzt nicht unbedingt ausdrücken“, entgegnete ich prompt und erbleichte ob meiner dreisten Erwiderung.

      Es war doch sonst nicht meine Art, schlecht über andere zu sprechen.

      Ulrike kicherte und meinte dann: „Großmutter weiß ja selbst, dass sie hin und wieder unausstehlich ist“, und Ulrike verdrehte die Augen: „Aber wir haben sie natürlich trotzdem gern.“

      Sie nippte erneut an ihrem Becher. Ich blickte etwas ungeduldig zu Fred herüber, konnte ihn hinter all den Menschen jedoch nicht ausmachen.

      „Sag mal, Ulrike, weißt du, ob Fred noch da hinten ist, und Musik aufgelegt?“, wechselte ich etwas unhöflich das Thema. Doch mir stand nicht der Sinn nach weiterer gezwungener Konversation. Zudem bekam ich andauern Ellenbogen in die Rippen.

      Ulrike erwiderte gelassen: „Ich denke schon. Zumindest hab ich weder ihn noch Marion hier vorbeikommen sehen.“

      Ich sah sie ungläubig an, fragte dann beinahe hysterisch: „Marion ist hier? Bist du dir sicher?“

      „Natürlich. Ich bin ja gemeinsam mit ihr gekommen. Sie ist doch die beste Freundin meiner Cousine...“

      Doch ich hörte Ulrike gar nicht mehr zu, sondern bahnte mir bereits meinen Weg Richtung Fred.

      Und tatsächlich: Mein Bruder stand noch immer beim Plattenspieler, eine Bierflasche in der Hand. Marion stand neben ihm und rief ihm etwas ins Ohr, betatschte dabei seine Schulter über Gebühr. Er grinste dümmlich und der Anblick ließ mir den Schweiß auf die Stirn treten. Meine dicke Bekleidung in dem überhitzten und sticken Raum tat ihr übriges. Ich musste auf jeden Fall dringend an die frische Luft und schob mich brutal zum Ausgang, drängte etliche Leute grob beiseite, die mich ärgerlich ansahen. Dann stand ich endlich in der Kälte. Die Raucher nahmen nur kurz Notiz von mir, widmeten sich dann wieder ihrem Gespräch. Ich atmete tief durch. Ein und aus. Ein und aus. Doch der Rauch bekam mir nicht sonderlich und auch kam ich mir reichlich dumm vor so nutzlos vor der Tür. Also machte ich mich davon in den angrenzenden Wald.

      Es war eine sternenklare Nacht und ich hatte das Gefühl, die Luft klirre mit jeder meiner Bewegungen. Meine Jacke rauschte und meine Schritte ließen den gefrorenen Boden knirschen. Ich machte mich auf in Richtung Weiher. Der war hier ganz in der Nähe. Nur noch den Hügel hinauf und dann rechts. Die Musik wurde immer leiser, drang jedoch bis zum Weiher als nerviges Gedüdel zwischen den kahlen Bäumen hindurch. Fred hatte einen grauenhaften Musikgeschmack. Ich setzte mich auf die Bank, auf der ich im Sommer mit Marion gesessen hatte und starrte auf das gefrorene Wasser hinaus. Früher einmal hatten Vater, Fred und ich hier die Enten mit altem Brot gefüttert. Das schien mir Jahrhunderte her zu. Die Erinnerung an Marion, die da in ihrem gerafften Rock im sumpfigen Wasser stand, allerdings war mir allgegenwärtig und ich ärgerte mich, überhaupt hierhergekommen zu sein. Die Luft schmerzte in meinen Lungen. Ich trug keine Handschuhe und in meinen Fingern breitete sich bereits der stechende Kälteschmerz aus. Aber ich blieb sitzen, blieb einfach sitzen und verstand mich selber nicht. Hatte ich den beiden nicht genau das gewünscht? Die Versöhnung? Hatte ich mir das für die beiden nicht erhofft? Und doch: Ich konnte ihr lächerliches Liebesglück kaum ertragen. Was war ich nur für ein grauenhafter Bruder! Weshalb war ich ein so boshafter Mensch? Wieso freute ich mich denn nicht für Fred? Und dann, ganz allmählich, wurde mir bewusst: Ich war kein schlechter Mensch. Hatte ich nicht immer versucht, gut und richtig zu handeln? Hatte ich nicht immer mein Bestes gegeben? Und? Was hatte ich nun davon? Nichts. Ich litt seit meiner Geburt und wurde von meinem schlechten Gewissen malträtiert jeder Zeit und immerzu. Und das schlimmste war: Ich fühlte mich tot, innerlich tot. Warum durfte ich denn nicht glücklich sein? Hatte ich denn keine Zufriedenheit verdient? Es war ungerecht. Es war einfach ungerecht. Wieso durfte er glücklich sein und ich nicht? Und dabei hatte ich mir doch solche Mühe mit allem und jedem gegeben. Neunzehn verdammte Jahre lang tat ich nun schon mein Bestes, neunzehn verdammte Jahre lang. Und ging es mir deshalb auch nur ein klein wenig besser als ihm? Nein. Es war einfach nicht fair. Ein Konto voller guter Taten und großer Leistungen hatte ich vorzuweisen, aber ich war nicht glücklich. Nein, ich war verdammt noch mal nicht glücklich. Und wenn Gott, trotz all meiner guten Taten, einfach mit seinem Eimer voll Zufriedenheit über mich hinwegging und ihn über meinem Bruder vergoss, so konnte mir dieser Mistkerl auch mit seinen bescheuerten Regeln gestohlen bleiben. Ich würde da nicht länger mitspielen.

      Weshalb sollte ich mich an Regeln halten, die doch ganz offensichtlich mit Füßen getreten wurden? Wer hatte denn entschieden, dass er glücklich sein sollte und ich nicht? Ich hatte das Glück wohl tausend Mal eher verdient als er. Warum musste ich denn immer gerecht, ehrlich und großzügig sein und er nicht? Stand es mir nicht ebenso zu, schlecht zu sein, wann immer es mir beliebte? Ach, es war seine Art? Nun, dann würde es auch meine Art werden. Ich würde mir nehmen, was mir zustand. Vielleicht würde ich mir sogar noch mehr nehmen als mir zustand, denn ganz offensichtlich scherte sich doch niemand darum, ob es einem zustand oder nicht. Ganz offensichtlich war es völlig gleich, wie man sich benahm! Oder sollte ich etwa noch warten? Warten auf Gottes Gerechtigkeit? Aber ich wartete doch bereits neunzehn Jahre lang. Wie lange sollte ich denn noch warten? Und wie sollte jemand, der von Beginn an von Gott verspottet worden war, noch großes Vertrauen in dessen grenzenlose Gerechtigkeit haben? Nein, der da oben war weder gerecht noch großzügig und er konnte mir gestohlen bleiben mit seinen Geboten. Was kümmerte mich dieser Heuchler? Hatte er nicht versprochen, es ließe sich ein Paradies auf Erden schaffen, hielte man sich nur an ihn? Wo war dieses Paradies? Und wurde es nicht eher denen zu teil, die sich nicht um ihn und seine Gebote scherten? Ach, das Paradies ließ sich durch tadelloses Benehmen nicht erkaufen? Meine guten Taten wären Lohn genug für meine Seele, kämen sie nur aus dem Herzen? Wären sie in Wahrheit nicht vollkommen selbstsüchtig und verdorben? Aber einmal ganz ehrlich: Die Selbstsucht ließ sich nicht austreiben, egal mit welchen selbstlosen Taten man auch aufwartete. Und warum sollte ich denn noch länger zu bezwingen versuchen, was doch offensichtlich unbezwingbar war?

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст