Robert Kiauka

Wohlstand, Demokratie und weiter?


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      Was im BIP auch nicht abgebildet wird, ist die Verteilung der Produkte: Es macht ja einen Unterschied, ob alle gleichmäßig teilhaben oder ob etwa eine kleine Gruppe übermäßig profitiert.

      Auch wie man die Güter und Dienstleistungen erfasst und bewertet, lässt Spielraum. Wie sieht das etwa beim Ehrenamt aus? Davon haben die Leute etwas, aber es fließt ja kein Geld, wie also bewerten? Oder Schwarzarbeit: Davon haben die Beteiligten sogar sehr viel, wenn sie nicht auffliegen, die Gemeinschaft aber eben nicht. Tatsächlich wird Schwarzarbeit beim offiziellen BIP berücksichtigt, kann aber natürlich nur geschätzt werden. Auch Schmuggel und Drogenhandel wird nach aktuellen Richtlinien der EU mit einberechnet. Spätestens hier zeigt sich, dass Spielräume bei der Berechnung des BIP eher nach oben ausgereizt werden. Der Grund ist klar: Wenn das BIP das Erfolgsbarometer ist, möchte man es möglichst hochtreiben. Auch die Schuldenquote sinkt dadurch, da ja üblicherweise die Schulden in Relation zum BIP angegeben werden8.

      Aber auch, wenn man davon ausgeht, dass das die Angabe der Produktion nicht künstlich in die Höhe getrieben wird: Es gibt weitere Kritik an ihr als Wohlstandsindikator.

      Wachstum und Zufriedenheit

      Wie oben schon erwähnt: Die Notwendigkeit zum Wachstum wird heute ungebrochen, wenn nicht sogar mehr denn je betont. Historisch betrachtet ist das gar nicht selbstverständlich. Vielmehr gingen Philosophen und Wirtschaftswissenschaftler eher von einem Ziel aus, das es zu erreichen galt: Da und da wollte man hin, bis dahin muss man sich anstrengen, dann hat man es geschafft. So hatte der heute hauptsächlich für eine andere Theorie bekannte Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes vor ca. 100 Jahren vorausgesagt, dass bis zum Ende des 20. Jahrhunderts Wachstum nötig sei, dann hätten die Menschen alles, was sie bräuchten und könnten im Status quo verbleiben9. Das Wachstum bis zum Jahr 2000 hatte er tatsächlich erstaunlich gut vorausgesagt10, seine Annahme, damit reiche es denn aber auch, trifft offensichtlich gar nicht zu. Warum? Dazu ein Beispiel:

       Treffen sich zwei alte Bekannte, der eine knallt drei Fotos auf den Tisch: Mein Haus, mein Boot, mein Auto! Der Andere legt ganz entspannt drei Fotos hin, die sein Haus, Boot und Auto zeigen, alles noch ein bisschen luxuriöser, und lächelt überlegen. Dann kommt der Jingle: Wenn’s um Geld geht – Sparkasse …

      Die Werbung zeigt einen wesentlichen Antrieb für unsere Mühen: Anerkennung. Anerkennung für unsere Leistungen, die sich zumindest unter anderem gut vergleichbar darin zeigen, was wir verdienen und uns erarbeitet haben. Auch wenn, oder gerade wenn sie sich nur im neidischen Blick unseres nur flüchtig bekannten Gegenübers ausdrücken. Noch etwas böser und überspitzt kommt dies in einem Spruch zum Ausdruck, der mindestens seit den 80ern kursiert:

       Was ist Lebensstandard? Wenn man Geld ausgibt, das man nicht hat, um Dinge zu kaufen, die man nicht braucht, damit man Leuten imponieren kann, die man nicht mag.

      Ganz so negativ muss man den Wettbewerb um Prestige gar nicht sehen, es liegt halt in der Natur des Menschen. Aber das führt eben, zumindest unter anderem, auch dazu, dass einzelne Menschen und damit die Gesellschaft nicht bei einem bestimmten Status quo aufhören, noch mehr haben zu wollen. Dazu kommt noch Druck am anderen Ende: Der Standard, der von den Menschen erwartet wird, nicht um sich abzuheben, sondern einfach, um dazu zu gehören, steigt auch. Der Punkt ist nun: Aus Sicht einer Gesellschaft als Ganzes ist das Streben einzelner nach Anerkennung über Erwerb möglichst vieler Güter und möglichst hohen Konsum kein Grund, insgesamt Wachstum anzustreben. Denn Anerkennung funktioniert in diesem Kontext ja hierarchisch. Wachstum in der Gesellschaft führt dazu, dass im Schnitt alle mehr haben und damit die Position des Einzelnen in der Hierarchie im Schnitt unverändert bleibt. Aber es geht nicht nur um Anerkennung bzw. Bewegung in der Hierarchie. Vielleicht wollen Sie etwas Bestimmtes erreichen oder haben, weil es Ihnen damit besser geht, ganz unabhängig von Anderen? Am Beispiel von Urlaubsreisen lässt sich das verdeutlichen: Vielleicht war es früher mal Standard, seinen Urlaub an der Nord- oder Ostsee zu verbringen. Wer es sich leisten konnte, fuhr nach Mallorca. Jetzt ist Malle Standard und punkten kann man mit den Malediven. Die bringen dann heute bei Facebook oder Instagram die gleiche Anerkennung wie früher die Dias von Mallorca. Aber vielleicht haben Mallorca oder die Malediven ja noch andere Vorzüge für die, die dorthin fahren? Besseres Wetter zum Beispiel? Ich war mit meiner Frau und meinen russischen Schwiegereltern im Sommer 2014 für 7 Tage an der Nordsee, 7 Tage Regen. Sanktionen nicht nur beim Warenaustausch, sondern auch beim Wetter, so muss ihnen das vorgekommen sein.

      Anderes Beispiel: Kleidung. Kleider machen Leute. Wer sich abheben will, trägt sündhaft teure Markenklamotten. Marken werden dann teilweise auch erwartet, um nicht blöd angesehen zu werden, besonders bei Jugendlichen verbreitet. Und natürlich muss alles immer neu und modisch sein. Und in so großer Menge vorhanden, dass die Umgebung am besten gar nicht merkt, wenn man denn doch ein Teil zum zweiten Mal trägt. Kleine schadhafte Stellen gehen gar nicht, es sei denn, sie sind vom Designer ersonnen und absichtlich hinzugefügt worden. Mehr Kleidung im Rahmen von mehr Wachstum hebt dann alles nur auf ein neues Niveau, im Schnitt erlangt dadurch niemand mehr Anerkennung. Aber es gibt sicherlich Menschen, denen Mode, verschiedene Stile usw., auch unabhängig vom Vergleich mit anderen, Freude bereitet.

      Welcher Teil des Wachstums fußt also nun auf dem Kampf um Prestige und ist damit für die Gesellschaft nutzlos und welcher Teil hat einen Wert für sie? Auch wenn das nicht pauschal zu beantworten ist, so liegt doch nahe, dass entsprechend den obigen Überlegungen Produktion bzw. Wachstum überschätzt wird. Und wenn Wachstum alle Individuen einer Gesellschaft beim Kampf um Anerkennung nicht unterstützen kann, worin kann es sie denn dann unterstützen?

      Hier wird es dann philosophisch, es stellt sich so etwas wie die Frage nach dem Sinn des Lebens. Eine mögliche kurze Antwort: Glück. Schon seit dem Anfang der USA heißt es in deren Verfassung denn auch, jeder Mensch habe das Recht nach Glück zu streben. Glück zu quantifizieren scheint schwierig zu sein, aber es stellt sich die Frage, wodurch der Mensch denn glücklich wird. Robert und Edward Skidelsky geben in ihrem Werk Wie viel ist genug? als erstrebenswertes Ideal ein gutes Leben an und nennen als Voraussetzungen dafür die Werte Gesundheit, Sicherheit, Respekt, Persönlichkeit, Muße, Harmonie mit der Natur und Freundschaft11. Man kann das lange fortführen und diskutieren, Religion ist ja z. B. noch gar nicht erwähnt worden, aber Philosophie ist hier nicht das Hauptanliegen. An dieser Stelle reicht es, von den oben erwähnten Werten Gesundheit und Sicherheit als wesentliche Voraussetzungen für Glück, Zufriedenheit, ein gutes Leben, oder welche Formulierung man denn bevorzugt, zu identifizieren, die in direktem Zusammenhang mit Dienstleistungen stehen, nach deren Erhalt oder Steigerung sich Wachstum also ausrichten sollte. Als weitere solche Voraussetzung, ein wesentlicher Faktor auch der weiteren Skidelsky-Werte, kann man noch Bildung nennen. Diese Voraussetzungen finden sich denn auch in den Grundrechten wieder, die insbesondere demokratische Staaten ihren Bürgern zusichern.

      Klar dürfte geworden sein: Das BIP bzw. sein Wachstum kann nur einen Faktor darstellen bei dem, was eine Gesellschaft und damit die Politik für die Menschen anstreben sollte und woran man sie messen kann. Es wurde versucht, andere Indizes zu konstruieren, z. B. den sogenannten Human Development Index, durchsetzen konnten sie sich aber bislang alle nicht. Es scheint eben doch nicht so einfach zu sein, das Glück oder die Zufriedenheit einer Gesellschaft mit einer einzigen Zahl wiederzugeben. Eigentlich ist es ganz ähnlich wie beim persönlichen Einkommen: Man möchte schon gerne viel verdienen, aber seinen Lebenssinn wird kaum jemand alleine damit messen wollen. Und selbst betrügen wird man sich auch nicht wollen, insofern wird man verschiedene mögliche Einkommen bei der Wahl eines Jobs nur als ein Kriterium unter vielen sehen. Die Situation bei einer ganzen Gesellschaft ist dabei natürlich noch viel komplexer. Bis hierher hat sich allerdings noch kein Grund gezeigt, der gegen Wachstum spricht. Dazu im Folgenden:

      Grenzen des Wachstums?

      Bestimmt die populärste Kritik am Streben nach Wachstum: Aufgrund begrenzter Ressourcen sei auch das Wachstum begrenzt, so das Argument in aller Kürze. Das müsse die Menschheit berücksichtigen und sich rechtzeitig selber einschränken, sonst komme es später umso schlimmer. Der Erste, der diesen Gedanken entwickelte,