Alexa Keller

Jikaila, Die Splitter der Erinnerung I


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Ruhestätte angekommen, öffnete Aniga das Tor, welches auch nachts nicht verschlossen war. Ein kurzer, schriller Schrei von rückwärts sorgte für kurze Ablenkung, als die Maga die Wunde von Blondchen Eins mittels Zauber heilte. Dies war schmerzhaft und bedeutete große Anstrengung für die Verletzte, kamen die Kräfte für den beschleunigten Heilvorgang doch aus der zu Heilenden selbst.

      Die beiden Tafuxa, die Schwerter beidhändig geführt vor sich, beschritten die geharkten Kieswege zwischen den Gräbern, näherten sich dem Zentrum des Ortes. Kleine Kiriöllichter flackerten vor den Erinnerungssteinen, verbreiteten ein bläuliches Licht, dass zu phantasievolle Gemüter für unheimlich halten mochten. Zuviel Phantasie konnte keiner den beiden Ordnungshüterinnen vorwerfen.

      Sie umrundeten den protzigen Stein einer ehemaligen Provinzgouverneurin, und da war sie.

      Nackt und bleich, mitten auf einem Grab, mit Händen und Füssen ziellos in der Erde scharrend, als wollte sie sich hinein graben, um die Überreste der Verstorbenen zu umarmen.

      Beiden Tafuxa fuhr ein Schauder das Rückgrat entlang, Nevashee gab unwillkürlich einen Laut des Erschreckens von sich.

      Das Wesen sah auf, ein bleiches Gesicht, umrahmt von wilden, wirren schwarzen Haaren, deren Strähnen sich wie Schlangen zu winden schienen. Große, braune Augen, erfüllt von Schmerz und Verwirrung starrten zu den beiden Bewaffneten hoch.

      Einen Moment glaubte Aniga, eine Razigu, eine mächtige, gefährliche Vampirin aus der Dämonensphäre vor sich zu haben, doch dann öffnete die Bleiche den Mund und keine spitzen Fänge offenbarten sich, stattdessen floss Speichel über ihre Lippen und ein wildes Stöhnen, in dem aller Schmerz der Welt zu liegen schien, brach hervor.

      Es war nur eine Frau, eine sehr verwirrte junge, schöne Frau, eine Schwester in Not.

      Aniga steckte das Katana zurück in die Scheide und griff nach ihrem Komspiegel. Nevashee brauchte einige Augenblicke länger, bevor auch sie das Schwert wegsteckte und sich entspannte.

      Der Bleichen liefen jetzt Tränen über die Wangen, sie stammelte Unverständliches.

      Aniga sah sie mit Mitgefühl in den Augen an und aktivierte den Komspiegel.

      „Shalim Kappa an Zentrale. Standort Kazenu Murani, Friedhof. Verwirrte, hilflose Person. Heilmaga bereits vor Ort.“

      „Zentrale verstanden, Shalim Kappa. Komisch, und das an Neumond.“

      Die Tafuxa ignorierte die letzte Bemerkung, verstaute das Kommunikationsartefakt wieder und ging vor der jungen Verwirrten in die Hocke.

      Nevashee wandte sich zum Gehen und sagte:

      „Ich hol die Heilmaga. Fall für die Seelenheilerinnen, das arme Ding. Ein Jammer, so ein hübsches Mädchen.“

      Aniga brummte und streckte vorsichtig eine Hand nach der jungen Frau aus. Sie wollte deren lange Finger aus der Erde des Grabes lösen.

      Für einen sehr kurzen Moment verdunkelte sich das Gesicht des Mädchens, ihr unsteter Blick fokussierte sich. Wenig Phantasie oder nicht, Aniga besaß einen ausgeprägten Instinkt für Gefahr, Ergebnis jahrelangen Streifendienstes in einer der größten Metropolen des Zarijats und Zentrum des Shashahandels, möge die Jikaila das verfluchte Zeug holen. Und in diesem Augenblick, der so schnell verging wie er gekommen war, spürte sie Lebensgefahr. Dieses Mädchen war gefährlich, sehr gefährlich. Dann war es vergangen, und die junge Blasse blickte sie jammervoll an und stammelte hilflos.

      Behutsam löste Aniga des Mädchens Finger aus dem Dreck.

      „Ja, alles wird gut. Ganz ruhig. Alles wird gut, mein Fuwupp-Mupp. Kannst Du mir Deinen Namen sagen?“

      „Ashg… agg.. nnnn…“

      „Ganz ruhig.“

      „Ash Krasn… Ashexee Krasnajal.“

      Das Letzte kam mit erstaunlicher Klarheit heraus. Die Verwirrte hatte eine schöne, angenehme Altstimme.

      „Was machst Du hier, Danja?“

      „Ich… wo bin ich? Was? Ich… ich bin so allein. Am Ende bin ich immer allein.“

      „Ich bin doch hier, schöne Schwester. Ich passe auf Dich auf. Wir bringen Dich erstmal ins Bett, dort kannst Du etwas ausruhen, einen Draal trinken. Ist das gut?“

      „Allein… immer allein.“

      Der Blick des Mädchens – Ashexees – wurde wieder unscharf. Sie weinte wieder.

      Aniga seufzte. Bestimmt würden die Seelenheilerinnen ihr helfen können. Meistens konnten sie das. Ob sie magisch begabt war? Der Lichtblitz deutete darauf hin. Geisteskranke Magas waren per se gefährlich, ob sie wollten oder nicht. Aber Aniga spürte, dass jetzt Nichts mehr geschehen würde. Ashexee schluchzte, ihr schlanker Leib zitterte. Aniga zögerte nur kurz, dann nahm sie das arme Ding in die Arme.

      So saßen sie noch, als Nevashee mit der Heilerin und ihrer Assistentin hinzutrat.

      II

      Lesagaux, Gysanien, 27.Juni 2.325, 20.Stunde

      „Eure Arroganz ist extraordinär, mein werter Dartagne.“

      „Arroganz, schöner Pligourette, ist das Vorrecht der Fähigen und Erfolgreichen.“

      „Ha! Ihr hattet unglaubliches Glück drüben in Fenlora. Jeder, ich sage, JEDER, mit nur ein bisschen Verstand und Esprit hätte die Situation zu seinem Vorteil genutzt.“

      Etienne Dartagne lehnte sich in seinem bequemen weißen Ledersessel zurück und sagte nichts. Bastalore Pligourettes Eifersucht und Neid waren geradezu sprichwörtlich, und wenig Gewinn hätte darin gelegen, ihn überzeugen zu wollen.

      So ließ Etienne unerwähnt, dass die Entführung von 25 schönen fenlorischen Shakeshas (Händlerinnen) von ihrer Privatparty im Hinterzimmer eines Benemus (Gasthaus) in Jedalestua nur durch die Beimischung eines magischen Tranks in ihr Essen möglich war. Der Trank, in Gysanien als Madamellesdompteurex, „Ladyzähmer“, bekannt, hatte die nämlichen Damen lammfromm und hilflos gemacht, so dass sie wie Blumen gepflückt werden konnten.

      Selbstverständlich war die Beimischung des Trankes in der Damen Speise nur dem Koch möglich gewesen, den zufälligerweise ER gegeben hatte. Seinen exorbitanten Kochkünsten war es zu verdanken, dass er sehr kurzfristig als Küchensklave in besagtem Benemu eingesetzt worden war. Der kurzfristige Einsatz wiederum war seinen herausragenden Verführungskünsten zu verdanken, mit deren Hilfe er eine Sklavenhändlerin von SHEGULLUMOL Jedalestu, Leihsklaven Jedalestua, umgarnt und zu seiner Komplizin gemacht hatte.

      Auch sprach er nicht davon, dass es gewisser schauspielerischer Talente und einer gehörigen Portion Nervenstärke bedurfte, einen Sklaven in Fenlora zu geben, zumal die Küchenaufsicht des Benemus an besagtem Abend wohl schlechten Stuhlgang gehabt hatte, setzte sie doch ihren Strafstab(terkl.Begriff!) allzu oft ein und beäugte alles, inklusive Etiennes Kochkünsten in Aktion, mit mißtrauischen Augen. Etienne hatte die blauäugige Blondine letztlich der Sammlung hinzufügen müssen. Er hatte Anweisung gegeben, sie auf eine spezielle Diät zu setzen, die ihren Verdauungsproblemen Rechnung trug.

      Alles in allem, war es allein seinen mannigfaltigen, in ihrer Kombination einzigartigen, Talenten zu verdanken, dass ihm die Aktion geglückt war. Der gute Bastalore konnte von derlei nur träumen. Zudem er nur mit einem vollen Dutzend haariger Hommes Memaloux (Lederschwuler) auf Fang auszog, während Etienne auch diese Sache solo durchgezogen hatte.

      „Mon Lorn! Mein Fingernagel ist abgebrochen, seht nur, mes amieieux!“

      Bastalore Pligourette musterte den Sprecher, den in pink-weiß gekleideten Joubert Astenboueff, indigniert.

      „Wir führen hier eine ERNSTHAFTE Diskussion, schöner Joubert. Bitte, halte Dein Mäulchen geschlossen und laß uns bei allen zu lockeren Knebeln IN RUHE, Deine Maniküre ist nun WAHRLICH nicht das Thema.“

      Pligourette pflegte gerne das ein oder andere Wort im Satz überzubetonen,