Alexa Keller

Jikaila, Die Splitter der Erinnerung I


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in der Runde, schlecht verhüllte Fresssucht.

      Omphennes nahm am Gespräch nur mit Grunzen und anderen unappetitlichen Lauten teil, verspeiste er doch gerade sein drittes Stück Mashmakuchen mit Suslasahne und Banidrops.

      Die vier Gysanier saßen im hinteren, ruhigeren Teil des Cluboux Cashais de Lymelles, einem in weiß und blau gehaltenem Etablissement, in dem sich die exquisite Zunft der Fänger von Frauen versammelten. Dies war insofern ungewöhnlich, als in Gysanien, und speziell der Hauptstadt Lesagaux, an beinahe jeder Ecke ein Club für Sklavenfänger zu finden war, die sich der Jagd nach männlicher Beute verschrieben hatten. Der Markt für und das Interesse an weiblichen Sklaven war im homosexuellen Land deutlich schwächer ausgeprägt, wenngleich für niedere Haushaltsarbeiten wie auch die schnöde Fortpflanzung Sklavinnen benötigt wurden. Und dann gab es natürlich noch die Lymellesshopralleurs, die Sklavinnensammler. Trotz der homosexuellen Sozialisation der Gysanier wussten viele von Ihnen Schönheit und Ästhetik sehr zu schätzen, und die Frau an und für sich war ein unbestreitbar ästethisches Wesen, etwa auf einer Stufe mit Gemälden, Gedichten, Blumen und einem guten Gericht.

      Es existierte also durchaus ein Markt für schöne und außergewöhnliche Frauen, und da der Ruf der gysanischen Fänger so gut war, erhielten sie gar Aufträge aus dem Ausland, so aus dem terkonnischen Clan Kalantia, Zylevi oder gar dem fernen Rayatsha.

      Der Gipfel der Kunst war natürlich, die „Kundinnen“ in matriarchalischen Staaten einzusammeln, wo jedem erwischten Sklavenfänger höchst unangenehme und endgültige Strafen drohten. Und Etienne Dartagne war unbestreitbar, egal was Bastalore oder andere sagten, auf dem Gipfel.

      Mit nur 26 Jahren war sein Ruf in der Zunft bereits legendär, und Etienne rechnete es sich zur besonderen Ehre an, dass er auf den Fahndungslisten des Zarijats Fenlora für Sklavenfänger ganz weit oben stand. In einem Land androgyner und femininer Männer, komplettiert durch eine Gemeinde harter, haariger Lederkerle, war er eine unauffällige Erscheinung, sein schulterlanges braunes Haar nicht aufwendig mit dem Lockenstab behandelt, seine Augenpartie nicht geschminkt, es sei denn, er wollte es so, und seine Kleidung in gedeckten Farben und sehr praktisch und bequem. Davon abgesehen, war er natürlich ein Verwandlungskünstler und Schauspieler erster Güte, der sowohl einen zwar kleinen und schlanken, aber dennoch furchtbar engstirnigen Terkonnier geben konnte, als auch mehr als einmal eine überzeugende Fenlora mit etwas herben Zügen, aber nicht unattraktiv, dargestellt hatte.

      Geraldoux verschlang das letzte Stück Kuchen, tupfte sich mit einer parfümierten Seidenserviette die wulstigen, blassrosa geschminkten Lippen ab, und schaltete sich in die Diskussion ein.

      „Werter Pligourette, mein Bester, unbestreitbar war Dartagnes letzte Arbeit eine reife Leistung, würdig seiner anderen großen Unternehmungen. Lasst Euch vom Neid nicht eine Augenbinde anlegen.“

      „Ich bin NICHT neidisch. NIEMALS gäbe ich mich einem so niederen Gefühl hin. Ich habe meine eigenen Erfolge, die mich mit großem STOLZ erfüllen.“

      „Sicher, mein Schöner. Lym! Noch einen Mashmakuchen. Bitte etwas mehr Sahne und Drops diesmal. Ich zahle einen sündhaft teuren Clubbeitrag, da sollten schon mehr als fünf Drops drin sein.“

      Der Sklave, angetan nur mit einem knappen weißen Lederslip und kniehohen weißen Stiefeln verziert mit Silbermünzen, ein Rakizeshkin mit edlem Gesicht und rötlicher Haut, nickte beflissen und eilte davon. Der Service des Hauses war exzellent, doch Etienne hatte nie verstanden, warum ausgerechnet ein Club für SklavINNENfänger männliche Sklaven beschäftigte.

      Bastalore Pligourette steckte eine Zigarette in seine graumelierte Spitze und wirkte immer noch beleidigt. Joubert Astenboueff feilte an seinem abgebrochenen Nagel herum und schien nicht willens, dem Gespräch zu folgen. Geraldoux wandte seinen Blick von der appetitlichen Kehrseite der Rothaut ab und fuhr fort:

      „Seht, Freunde. Monsieur Dartagne ist zweifellos der Beste unserer Zunft, und das trotz seiner jungen Jahre. Aber sagt, Etienne, kann Euch das noch befriedigen? Ich denke, die Zeit ist gekommen, weiter zu gehen. Ihr seid bekannt, vielleicht gar berühmt, doch wenn ihr zu einer echten Legende werden wollt, an die sich die Menschen noch in ferner Zukunft erinnern, so müsst ihr Euch ein Denkmal setzen.“

      Etienne hob eine Braue und trank von seinem Wein.

      „Ein Denkmal? Ihr meint, ich sollte das ganze Zarijat samt Zarija und allen ihren Legionen auf einmal entführen?“

      Pligourette kicherte:

      „Puh, am Ende traut ihr euch das gar zu. Das grenzt an Größenwahn, Dartagne, GRÖSSENWAHN!“

      Geraldoux hob einen fetten, beringten Finger.

      „Nicht ganz, großer Dartagne. Aber was, wenn ihr die Tour de Herculles wiederholt?“

      „Warum sollte er das tun? Selbst ich WEISS, dass er das Meisterzertifikat mehr als berechtigt sein Eigen nennt.“

      Das will ich meinen, wo doch selbst DU es bekommen hast, mein lieber Bastalore, dachte Etienne amüsiert.

      „Naturelement soll der gute Etienne nicht seine Prüfung wiederholen. Nein, er soll eine Tour de Herculles absolvieren, die seinen Fähigkeiten angemessen ist. Eine echte Herausforderung, und wie in der Legende, sollen es zwölf Aufgaben sein, die er nacheinander zu bewältigen hat.“

      Überraschend schaltete sich Joubert ins Gespräch ein, indem er mit seiner himmelblauen Nagelpfeile nach Etienne stach und ausrief:

      „Das ist eine wundervolle Idee! Viel Spaß und Abenteuer und ein Dartagne an seinen Grenzen! Nehmt ihr an, sagt, nehmt ihr an?“

      Um der Wahrheit die Ehre zu geben, Etienne verspürte tatsächlich mehr als nur einen Hauch von Überdruß, und Geraldouxs Idee entzündete seine Phantasie. Tour de Herculles – Die Reise des Herkules – nannte man in Gysanien traditionell die Meisterprüfung der Sklavenfänger. Der Ausdruck ging auf eine alte Geschichte von einem Helden zurück, der zwölf schöne, gefährliche Königinnen und Hexen einfangen und zähmen musste, um Lorns, des phallokratischen Hauptgottes, Gunst zurückzuerhalten. Die Legende existierte in abgewandelter Form in der Erzphallokratie Terkonnia, wo der Held selbstredend in blutigem Gemetzel zwölf Monster erschlagen musste. Etienne verzog kurz das Gesicht – diese phantasielosen Barbaren.

      „Also schön, Geraldoux. Das klingt interessant. Ich bin geneigt, die Herausforderung anzunehmen.“

      „Und wir suchen die Missionen und Opfer aus?“

      Bastalore zog an seiner Zigarettenspitze, blies mit gespitzten Lippen Rauch aus und konnte ein wahrhaft boshaftes feines Lächeln nicht unterdrücken.

      „Eine Bedingung jedoch bitte ich mir aus.“

      Geraldoux nickte Etienne zu und lächelte jovial.

      „Nur zu, Meister Etienne, nur zu, lasst hören.“

      „Ich bitte mir das Recht aus, die Kundinnen nach Präsentation vor euch gegebenenfalls wieder in die Freiheit zu entlassen.“

      Joubert quiekte entsetzt auf:

      „Iiih, Humanität und Gefühlsduselei! Es sind nur Schlampen, Dartagne, keine Menschen!“

      Etienne sagte nichts. Geraldoux nahm vom rothäutigen Sklaven seinen neuen Mashmakuchen in Empfang und begann die in der schwarzen Suslasahne eingebetteten milchigen Banidrops zu zählen.

      „Sicher, liebster Etienne, daran soll es nicht scheitern. Es gibt genug Sklavinnen im Land, ihr sollt sie fangen und herbringen, danach könnt ihr sie von mir aus zur Maharani von Udhya machen.“

      Bastalore nickte, in Gedanken sichtlich bei möglichst gefährlichen und schwierigen Aufgaben.

      Geraldoux, mit der Anzahl der Drops im Kuchen anscheinend zufrieden, entließ den Sklaven mit einer lässigen Handbewegung.

      „Schön. Da es Monsieur Pligourette war, der eure Fähigkeiten in Zweifel zog, soll er Euch die erste Aufgabe stellen.“

      „Mit Vergnügen. Hmhm… was nehmen wir denn da?“

      Etienne lächelte