Andreas Milanowski

Sinja und die Zaubergeige


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als Schinken und Datteln wirst du nicht bekommen, bevor wir die `Fermata´ erreicht haben. Bei `Jambus´ haben wir noch nie hungern müssen, aber bis dahin sollten wir uns von dem ernähren, was wir mitgenommen haben oder unterwegs aufsammeln“, stellte Gamanziel bedauernd fest.

      „Vielleicht finden wir in den Wäldern ein paar Beeren oder Pilze für dich.“

      „Ach, macht euch mal nicht zu viele Umstände“, versuchte Sinja zu beruhigen“, ich denke, bis morgen geht das schon klar mit den Datteln.

      Süß sind sie ja und ich liebe Süßes.“

      Damit waren alle zufrieden und das Essen wurde schweigend fortgesetzt.

      8 `Leggiero´ - die Ebene

      Der fröhliche, leichte Tanz, mit dem die drei Elfen Sinja anfangs so bezaubert hatten, war mittlerweile vollständig einer großen Ernsthaftigkeit und konzentrierten Ruhe gewichen.

      Das Erlebnis mit dem Nauron hatte doch erheblich auf die Stimmung gedrückt und vor allem Gamanziel beunruhigt, die von allen die Ängstlichste war. Aber auch Emelda, Amandra und Sinja machten sich ihre Gedanken über den Fortgang der Reise und so bereiteten sich die vier auf den vor ihnen liegenden Weg durch die Ebene `Leggiero´ vor.

      Nach dem Abendessen hatten sie das Notwendige besprochen und festgelegt, dass ein baldiger Aufbruch das Beste sei, um die Dunkelzeit möglichst lange ausnutzen zu können.

      Im Falle eines Angriffs der Moroks wollten Emelda und Amandra den Kampf führen. Sie würden dabei ihre Schnelligkeit und Kunstfertigkeit im Bogenschiessen nutzen, um den Gegner möglichst lange aufzuhalten. Gamanziel und Sinja sollten auf `Allegro´ versuchen, die Wälder von `Adagio´ zu erreichen. Die Ponys müssten in diesem Falle zurückgelassen werden. Sollte die Gruppe getrennt werden, würde man sich in der `Fermata´ bei `Jambus´ wieder treffen. So war der Plan.

      Die `Leggiero´ hatte ihren Namen bekommen, weil es hier weder Berg noch Tal und auch sonst keine größeren Erhebungen oder Vertiefungen gab. Normalerweise lauerten hier keine allzu großen Gefahren auf einen Wanderer, und so war ein Marsch durch die `Leggiero´, wenn es nicht zu heiß war, in Friedenszeiten angenehm und einfach. Daher der Name `Leggiero´, was nichts Anderes bedeutet als `leicht´. Mehrere Bäche und der Fluss `Largo´ durchflossen die Ebene, sodass an Wasser kein Mangel war. Wer daran gedacht hatte, genügend Proviant einzupacken, war also mit allem Nötigen versorgt.

      Doch die Zeiten waren nicht friedlich und so wurde der Marsch durch die `Leggiero´ momentan zu einem schwierigen Unterfangen und war alles andere als angenehm.

      Der Weg führte über Wiesen und Felder und über weite, freie Flächen, die die vier zurzeit gerne gemieden hätten, aber es gab keinen anderen Pfad, als den durch die Ebene, wenn man mal von dem Weg über `Morendo´ absah, den niemand ernsthaft in Betracht gezogen hatte.

      Ihre Reise würde auch so noch dicht genug an das Gebiet des `Unerhörten´ heranführen.

      Nachdem das Essen beendet und die restlichen Vorräte verstaut waren, machten sich die vier wieder auf den Weg.

      Es war jetzt so dunkel, wie es in Dorémisien nur sein konnte, doch die Schatten der Wanderer hoben sich immer noch deutlich von der Umgebung ab. Für ein geübtes Auge waren sie vor dem grauen Horizont gut zu erkennen. Vier einsame Gestalten, ein geflügeltes Pferd und zwei schwer bepackte, langsame Ponys.

      Bald lag das letzte, Schutz bietende Buschwerk hinter ihnen. Sie wanderten nun über das freie, flache Feld. Ein leichter, kühler Wind trug den Geruch von feuchter Erde über das Land. Von Ferne war das Plätschern des Baches zu hören, dessen Quelle in dem Felsen lag, den sie vor Stunden verlassen hatten. Ansonsten herrschte Stille.

      Nur das dumpfe Hufgetrappel der Ponys war gelegentlich zu hören und Sinjas schlurfende Schritte. Sie war das Laufen solch langer Strecken nicht gewöhnt und bekam langsam schwere Beine. `Allegro´ dagegen glitt fast lautlos über den Boden, benutzte auch immer wieder seine Flügel um seinen Schritt abzufedern und die Elfen wussten, durch ihr Waldleben geschult ohnehin, wie man sich bewegte, ohne Geräusche zu verursachen.

      Sie folgten einer Art Feldweg, der zunächst in einem weiten Bogen nach Nordwesten führte, weg vom Gebirge und den Felsen. An manchen Stellen war er fest ausgetreten, an anderen mit Gras überwuchert und kaum auffindbar.

      Sinja fragte sich, wie die Elfen so sicher sein konnten, auf dem richtigen Weg zu sein, doch die ließen keinen Zweifel aufkommen, dass sie sich in diesem Gelände bestens auskannten.

      Die vier liefen, ohne ein Wort zu sprechen, in der gleichen Ordnung wie schon am Berg. Emelda vorne, dann Amandra und Gamanziel mit jeweils einem Pony, gefolgt von Sinja, die neben Allegro lief. Sie saß nicht auf seinem Rücken, um möglichst kein Angriffsziel zu bieten.

      Alle lauschten konzentriert und versuchten, soweit dies in der Dunkelzeit möglich war, in die Umgebung zu sehen, um drohenden Angriffen rechtzeitig ausweichen oder begegnen zu können. Die Furcht davor und die unangenehme Begegnung mit dem Nauron hatten die Sinne zusätzlich geschärft.

      So gingen sie Schritt für Schritt und Takt um Takt.

      Sinjas Kräfte ließen immer mehr nach. Da sie die Gruppe aber nicht unnötig aufhalten wollte, unterdrückte sie ihre Müdigkeit.

      „Geschlafen wird, wenn das alles hier vorbei ist“, dachte sie und setzte weiter tapfer einen Fuß vor den anderen. Mittlerweile liefen ihre Füße auch schon von ganz alleine. Sie brauchte fast nichts mehr dafür zu tun.

      Sie spürte auch kaum noch, wie sehr ihre Beine schmerzten.

      Auf einmal fuhr es wie ein Blitz durch ihren Körper.

      "Was war das da vorne?", flüsterte sie.

      Mit einem Schlag war alle Müdigkeit wie weggeblasen.

      Sie hatte deutlich in einiger Entfernung eine Bewegung wahrgenommen.

      Erst sah es aus wie ein Erdhügel, aber dann bewegte sich dieser Erdhügel auf einmal, bekam Arme und Beine und huschte über das Feld.

      Auch meinte Sinja, zwei rötlich leuchtende Punkte erkannt zu haben, die sie für Augen hielt.

      „Pssst!“, zischte sie, „habt ihr das auch gesehen?“

      „Sei ruhig, Sinja“, knarzte Amandra zurück, „das ist ein Mugol. Es ist nicht gut, wenn er merkt, dass wir ihn entdeckt haben. Geh‘ einfach weiter und beachte ihn nicht!“

      „Aber was ist das?“

      „Still jetzt! Geh‘ weiter und sei ruhig!“

      Sinja fügte sich Amandras Anweisungen.

      Schließlich schien sie zu wissen, worum es sich bei ihrem Begleiter handelte. Wohl war ihr allerdings nicht bei der Sache. Zumindest aber war sie jetzt wieder hellwach.

      Misstrauisch schaute sie in die Gegend, in der sie den wandernden Erdhügel zuletzt gesehen hatte. Sie hoffte, dass Amandra wusste, was sie tat. Was blieb ihr in dieser Situation auch anderes übrig, als der Elfe zu vertrauen? Sie wünschte sich nur, keine unangenehme Überraschung mehr zu erleben. Die Sache mit dem Nauron hatte ihr gereicht. So lief sie weiter und versuchte, dem Mugol, was immer das sein mochte, keine Beachtung mehr zu schenken.

      Einige Zeit später und etliche Kilometer weiter, hatten die Bewegungen auf der rechten Seite dann einfach aufgehört. Nichts begleitete sie mehr, nichts verfolgte sie, die roten Augen waren verschwunden, als wären sie nie dagewesen – weg….

      „Seltsam“, dachte Sinja und schüttelte sich „eine merkwürdige Erscheinung. Was das wohl gewesen sein mochte, ein Mugol?“

      Eine Gänsehaut lief ihr den Rücken hinunter als sie an den hüpfenden Erdhaufen dachte. Vielleicht würde es ihr Amandra später noch erklären.

      „Hier können wir einen Moment rasten und uns ein wenig ausruhen“, war auf einmal flüsternd Emelda zu vernehmen.