Helene Hammerer

Virus und Elfe


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schon aufheitern.“ Linus runzelte die Stirn und gab einen unbestimmten Laut von sich. Er hatte überhaupt keine Lust, irgendein armes Mädchen aufzuheitern. Kurz vor dem Zeugnis musste er sowieso immer das Gejammer und die Tränen seiner Schülerinnen aushalten, wenn die Mathematiknoten schlecht ausfielen. Und jetzt, da er seine Ferien genießen wollte, hatte das Säle so einen Kuckuck in ihr Nest geholt. „Schau nicht so grimmig“, ermahnte sie ihn jetzt und stellte ein großes Stück Kuchen vor ihn auf den Tisch. „Elvira ist ein sehr nettes Mädchen. Grete hat gesagt, das arme Kind hat eine sehr schwere Zeit hinter sich, bis es sich keinen Rat mehr wusste und Tabletten geschluckt hat.“ Linus hatte bereits seine eigene Theorie, warum das verwöhnte Töchterchen von Gretes Sohn, dem Herrn Primarius, einen Selbstmordversuch unternommen hatte. „Ich hab Grete versprochen, dass wir uns gut um sie kümmern. Du hilfst uns doch, oder?“, fuhr die Großmutter fort und ihm blieb nichts anders übrig als zu nicken. Der Großvater hatte das Gespräch schweigend verfolgt und schmunzelte nun, als sein Enkel kapitulierte. „Das Annele hat Recht“, meinte er in seiner bedächtigen Art. „Dem armen Kind geht’s wirklich schlecht. Sie isst schon seit Tagen nichts und läuft herum wie ein Gespenst.“ Diese unerwartete Unterstützung für den ungeliebten Gast ließ Linus aufhorchen. Normalerweise ertrug der Großvater die Pläne, die seine Frau und ihre Busenfreundin schmiedeten, recht geduldig, aber er unterstützte sie nicht aktiv. Also gab Linus nochmals seine Zustimmung, bedankte sich bei der Großmutter für das gute Mittagessen und machte sich daran, seinen Rucksack auszupacken. Im Stubenkasten hatte ihm die Großmutter ein Fach leergeräumt, wo er seine Kleidung verstaute. Ein paar alte Hemden, kurze und lange Hosen und einen warmen Pullover. Regenjacken hingen schon an den Haken neben der Tür. Der Großvater legte sich inzwischen auf das alte Sofa in der Stube und hielt sein Mittagsschläfchen, während die Großmutter am steinernen Brunnentrog in der Sennküche das Geschirr wusch. Linus setzte seinen alten Strohhut auf und machte sich auf den Weg, um nach den Kühen und Rindern zu schauen. Er war an den vergangenen Wochenenden hier gewesen, kannte die Tiere also schon. Bereits als Bub hatte er alle Kühe des Großvaters beim Namen genannt, eine Gabe, die man als Hirte gut brauchen konnte. Unter der Woche hatte ein junger Bauernbub aus dem Dorf dem Großvater geholfen, aber er war am Morgen nach dem Melken mit seinem Moped heimgefahren. Jetzt brauchte man ihn für die Heuarbeit. Linus ging die große Runde, genoss die Ruhe und den Frieden, nahm die Schönheit der blühenden Wiesen und des weiten, fast wolkenlosen Himmels in sich auf und achtete doch wachsam auf jedes Detail. Er kontrolliere die Zäune, zählte das Vieh und schätzte ab, wie lange das Gras noch reichen würde. Kommende Woche würde er die Rinder auf die Weiden weiter oben treiben. Die Milchkühe blieben immer in der Nähe der Hütte, da sie zweimal am Tag gemolken wurden. Auch Lena und Lisa, die beiden Haflingerstuten des Großvaters grasten zwischen den Rindern. Als sie den Hirten sahen, kamen sie gleich auf ihn zu, in der Hoffnung auf einen Leckerbissen. Natürlich hatte er daran gedacht, altes Brot für die beiden mitzunehmen. Er hielt es den Pferden auf der flachen Hand hin und fuhr ihnen durch die „Stirnfransen“. „Na, ihr Schönen, freut ihr euch, mich zu sehen?“, grinste er und die Stuten schnaubten, als stimmten sie ihm zu. Linus lachte: „Gut zu wissen, dass ich bei den Damen immer noch Chancen habe.“ Die hatte Linus zweifelsohne. Mit seinen 1,75m war er nicht besonders groß, jedoch kräftig und muskulös gebaut. Die dichten, hellbraunen Haare trug er immer kurz geschnitten. Sein Gesicht war nicht auffallend schön. Eine gerade Nase, ein breiter Mund, die Zähne ein wenig schief und warme, braune Augen. Beim Lesen musste er eine Brille aufsetzen, da er weitsichtig war. Sobald er jedoch sein freches, jungenhaftes Grinsen aufsetzte, war es um die Frauen geschehen. Sein Freund Helmut, der einen halben Kopf größer und dunkelhaarig war, beschwerte sich oft darüber, dass alle hübschen Mädchen nur Augen für Linus hatten. Dann lachte dieser ihn nur aus und spendierte ihm zum Trost ein Bier. Seit einem Jahr war Linus wieder solo. Seine Freundin und Studienkollegin Bianca wollte in Innsbruck bleiben, während es ihn nach Hause ins Ländle vor dem Arlberg zog. Ihre ständigen Vorwürfe, dass er nicht schreibe und sie fast nie besuche, gingen ihm auf die Nerven und so verabschiedete er sich schließlich ohne großes Bedauern. Bianca hatte inzwischen einen Kollegen gefunden, der ihre Gefühle teilte, was nach Linus' Meinung für alle das Beste war. Als er am späten Nachmittag zur Hütte zurückkehrte, sah er schon von weitem den alten Geländewagen des Großvaters. Im Sommer benutzte ihn sein Onkel, um regelmäßig Lebensmittel und andere notwendige Dinge auf die Alpe zu bringen. Falls ganz dringend etwas gebraucht wurde, holte es Linus mit dem Motorrad. Heute hatte Reinhard nicht nur Lebensmittel und die Post, sondern auch seine beiden älteren Kinder mitgebracht. Der zwölfjährige Thomas und die achtjährige Angela würden eine Woche bei den Großeltern bleiben. Als seine kleine Cousine ihn sah, lief sie ihm freudestrahlend entgegen. „Linus, ich hab im Zeugnis lauter Einser und nur einen Zweier“, rief sie atemlos. „Gut gemacht“, lobte dieser, „dann hast du dir die Ferien ja wirklich verdient.“ Hand in Hand gingen die beiden zu den anderen. Linus war auch der Liebling all seiner jüngeren Cousins und Cousinen sowie seiner drei Schwestern. Auch Thomas kam ihm entgegen. „Linus, darf ich eine Runde mit deinem Motorrad fahren?“, wollte er wissen. „Ja, aber nur als Beifahrer“, lautete der Bescheid. „Schade, bei Seppl zu Hause fahren wir immer mit dem Mofa und sein Bruder hat mich sogar mit seiner Motocross fahren lassen“, maulte der Bub enttäuscht. „Ich bin nicht Seppls Bruder. Komm meiner BMW besser nicht zu nahe“, warnte Linus. „Und wie ist dein Zeugnis ausgefallen?“, wechselte er das Thema. „In Mathe hab ich einen Einser“, grinste Thomas. „In Englisch hat er einen Vierer“, verkündete seine kleine Schwester, was ihr einen bösen Blick und ein gezischtes „Tratschbase!“ einbrachte. „Und hat dich Reinhard wenigstens an den Ohren gezogen?“ „Nein, Papa ist das egal. Mama hat geschimpft, aber dann hab ich einfach ganz traurig geschaut, wie du gesagt hast, und dann hat sie mir für den Einser in Mathe einen Zwanziger gegeben.“ Die beiden grinsten einander verschwörerisch an. „Hast du schon gehört? Der Virus bleibt den ganzen Sommer hier auf Erholung“, verkündete Thomas wichtig und verdrehte die Augen. Linus brauchte einen Moment, bis er begriff, dass mit „Virus“ Elvira gemeint war. Er verkniff sich ein Grinsen und ermahnte Thomas halbherzig, den Gast der Großmutter nicht so zu nennen. Gemeinsam gingen sie in die Hütte, wo es eine Jause mit Bauernbrot, frischer Butter, Käse und Speck gab. Elvira ließ sich auch diesmal nicht blicken und die Großmutter brachte ihr ein Tablett aufs Zimmer, das sie wenig später unberührt zurückbrachte. Nur den süßen kalten Kräutertee wollte das Mädchen trinken. Linus schwor sich, dem Spuk bald ein Ende zu machen. Es ärgerte ihn, mitanzusehen, wie die Großmutter bei jeder Mahlzeit ein Tablett die steile Stiege hinauftrug, wo ihr das Treppensteigen eh nicht ganz leichtfiel, nur, um dann bekümmert und enttäuscht alles wieder zurückzubringen. Nach der Jause holten Linus und die Kinder die Kühe von der Weide. Die klugen Tiere wussten, dass es Zeit zum Melken war und kamen von selbst näher zur Hütte. Als sie den Ruf des Hirten hörten, drängten sie zur Stalltür, wo der Großvater stand und für Ordnung sorgte. Jede Kuh fand ihren Platz selbst, wurde angebunden und dann gemolken. Inzwischen lief der Dieselgenerator, denn von Hand zu melken war auch dem Großvater zu mühsam. Die Kinder tummelten sich ebenfalls im Stall und während die Männer mit zwei Melkmaschinen die Kühe molken, streuten sie den Tieren Streueheu. So lagen sie in der Nacht trocken und der Mist konnte dann am Morgen leicht entfernt werden. Die Milch in den vollen Melkeimern wurde durch ein feines Sieb in eine große Milchkanne umgeschüttet. Wenn diese voll war, leerte Linus die Milch in große, flache Holzgefäße, die sogenannten „Gebsen“, damit am Morgen der Rahm abgeschöpft und zu Butter verarbeitet werden konnte. Nach dem Melken wusch er das Melkgeschirr und die Eimer. Der Großvater legte größten Wert auf Sauberkeit, da sonst der Käse nicht gelang. Heißes Wasser holte man aus dem „Schiff“, dem Wasserbehälter im Holzherd oder aus dem Waschkessel, auf dem Großmutter als junge Frau bestanden hatte. Wenn das Melkgeschirr gewaschen war, wurde der Generator abgeschaltet und nun gab es nur noch „Batterielicht“. Die kleinen Leuchtröhren, die Linus vor ein paar Jahren installiert hatte, wurden von einer Autobatterie gespeist, die immer aufgeladen wurde, solange das Dieselaggregat lief. Sie waren erstaunlich hell und ein großer Fortschritt zu den trüben, stinkenden Petroleumlampen, die sie früher verwendet hatten. In der Stube saßen die Großeltern und die Kinder am Tisch und tranken frische Milch. Dazu gab es Weißbrot, das die Kinder freudig in die Milch tauchten, um es dann schlürfend herauszulöffeln. Linus goss sich aus dem Krug auf dem Tisch ebenfalls Milch in die große alte Kaffeetasse, nahm sich eine Scheibe Brot, tunkte sie ein und biss geschickt ab. Als Kind