Christine Zilinski

Mord im Museum


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Sie schnaubte. Sanfter fuhr sie fort. „Entschuldigung, das ist einfach sehr... krass. Also ich habe nicht weiter nachgedacht, sondern habe mich einfach hinter den Kasten gelegt, um nicht auf die Leiche zu kotzen.“ Ohne auf das „kotzen“ einzugehen, fragte Kommissar Jankovich Charlotte: „Und das hat nichts mit Ihrem Beruf zu tun, dass sie noch etwas länger bei der Leiche bleiben wollten?“ Völlig überrumpelt starrte Charlotte ihn an. Entweder hatte der Kommissar ihren Presseausweis in ihrer Tasche gefunden oder die Notizen der Streifenbeamtin gelesen. Charlotte wurde wütend. „ Ja, ich bin Journalistin, und nein, ich wollte nicht aus beruflichen Gründen bei der Leiche bleiben. Also ehrlich, halten Sie mich für so abgebrüht, dass ich bei der ersten Leiche meines Lebens gleich auf Berufsmodus schalte und versuche, die bestmögliche Story daraus zu schlagen?“ Beinahe amüsiert blickte er sie an. Dann nahm er die Arme wieder herunter und beugte sich näher zu ihr. Obwohl sie immer noch wütend war, fiel Charlotte auf, dass er blaue Augen mit langen Wimpern hatte. Schöne Augen, stellte sie überrascht fest. „Sie bleiben also dabei, dass Sie nur zufällig bei der Leiche geblieben sind und nichts getan haben, bis wir aufgetaucht sind?“, hakte der Kommissar nach. Charlotte nickte. „Ja.“ „Wie erklären Sie es sich dann, dass die Leiche durchsucht wurde?“ Einen Augenblick starrte sie ihn an. „Wie haben Sie das denn bemerkt?“ Er senkte die Augenlider, dann sah er ihr wieder in die Augen. „Sie wissen es also. Dann beantworten Sie bitte die Frage“, forderte er sie auf. „D...das muss die Gestalt gewesen sein, die ich gesehen habe.“ Sein Gesicht nahm einen abschätzigen Ausdruck an und er neigte den Kopf zurück. Fehlte nur noch, dass er sagte ‚Verarschen Sie mich nicht.‘ Charlotte beteuerte: „Ja, wirklich, ich hab’ eine Gestalt gesehen, die sich über die Leiche gebeugt hat! Das ist es, was ich gesehen habe! Und als sie die Polizeisirenen gehört hat, ist diese Gestalt abgehauen.“ „Das ist ja eine abenteuerliche Geschichte“, erwiderte der Kommissar spöttisch. „Aber es stimmt! Was hätte ich für einen Grund, Sie anzulügen?“ Diesmal schwang Verzweiflung in Charlottes Stimme mit. Jankovich atmete scheinbar genervt durch die Nase aus. „War diese Gestalt männlich? Weiblich?“ Charlotte zog die Schultern hoch und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Dafür ging alles viel zu schnell.“ Sie spürte, wie ihre Verzweiflung zunahm. Offenbar glaubte der Kommissar ihr ihr nicht. Er ließ von der Gestalt ab und sagte abrupt: „In Ihrer Tasche haben wir nichts gefunden, was zur Leiche gehören könnte. Würden Sie bitte meine Kollegin nach draußen begleiten, damit sie Sie durchsuchen kann?“ Fassungslos sah Charlotte ihn an, dann lief sie knallrot an. „Sie glauben ernsthaft, ich hätte die Leiche durchsucht? Das ist doch Schwachsinn!“ Ungerührt wies der Kommissar zu seiner Kollegin und bedeutete ihr, Charlotte mitzunehmen. Widerstrebend stand Charlotte auf, sie fühlte sich überrumpelt und machtlos. Dennoch ließ sie sich mitnehmen und folgte der Polizistin aus dem Raum. Was konnte sie schon tun? In einem Nebenraum durchsuchte die Beamtin Charlotte schnell, aber gründlich. Nach etwa fünf Minuten kehrten beide in das Büro zurück. Charlotte war immer noch rot vor Erregung und fragte den Kommissar gereizt: „Kann ich jetzt gehen?“ Jankovich sah die Polizistin an, die sich wieder neben der Tür positioniert hatte. Als diese den Kopf schüttelte, antwortete Jankovich: „Nein, ich habe noch ein paar Fragen an Sie.“ Widerstrebend nahm Charlotte erneut Platz. Sie fühlte sich von Minute zu Minute unwohler. „Wenn es sein muss.“Nachdem Charlotte dem Kommissar noch etliche Fragen beantwortet hatte, durfte sie schließlich gehen. „Kann ich meine Tasche mitnehmen?“, fragte sie kraftlos, während sie sich vom Stuhl erhob. „Natürlich. Hier.“ Jankovich hob das orangene Lederstück vom Tisch und hielt es ihr entgegen. Müde griff Charlotte danach und kehrte ihm den Rücken, um endlich diesen schrecklichen Raum zu verlassen. „Ach, Frau Bienert“, hielt die Stimme des Kommissars sie auf. Charlotte blieb stehen, ohne sich umzudrehen. „Falls Ihnen noch irgendetwas zum heutigen Abend einfällt, lassen Sie es mich wissen.“ Sie hörte, wie er den Tisch umrundete und näher kam. Sie drehte den Kopf und sah ihn an. Diesmal lächelte er leicht, als er ihr seine Karte gab. Sie nickte und nahm die Karte entgegen. Als sie weitergehen wollte, berührte er kurz ihren Arm und sagte: „Bitte entschuldigen Sie die Durchsuchung. Das war leider nötig.“ Sie nickte schwach, mittlerweile war ihre Wut darüber verraucht. „Ich werde es überleben. Tschüss – und viel Erfolg noch bei den weiteren... Verhören.“ Sein Lächeln wurde breiter. „Das sind nur Gespräche. Noch ist keiner von Ihnen verdächtig. Gute Nacht.“ Er wandte sich ab und ging zum Schreibtisch zurück.

      Vor Kälte zitternd wartete Charlotte vor dem Museum darauf, dass Sanne sie abholte. Natürlich hatte ihre Schwester noch nicht geschlafen und war nach dem 2. Klingeln am Apparat gewesen, als sie angerufen hatte. Jetzt, 20 Minuten später, sah Charlotte, wie sich ein roter Kleinwagen auf der Straße näherte und den Blinker setzte. Kurz darauf hielt der vertraute Golf vor ihr an. Dankbar steuerte Charlotte auf die Beifahrertür zu und beugte sich ins Wageninnere, um Sanne zu begrüßen. Der blonde Lockenkopf ihrer Schwester war noch verwuschelter als sonst, und aus großen besorgten Augen sah sie zu ihr hoch. „Hallo“, sagte Charlotte schwach und ließ sich auf den Beifahrersitz plumpsen. „Was ist denn passiert?“, fragte Sanne sofort. Charlotte sah ihrer Schwester einen Augenblick in die Augen, dann sagte sie ohne Umschweife: „Ich hab’ eine Leiche gesehen.“ „Waaas?!“, entfuhr es Sanne und ein Ausdruck des Entsetzens stand ihr im Gesicht. „Ja, leider. Und ich musste bis eben Rede und Antwort stehen, weil ich blöderweise was gesehen hab‘ bei der Leiche.“ Sanne machte keine Anstalten, den Wagen zu bewegen, und Charlotte schlug vor: „Sei mir nicht böse, aber ich will nur noch ins Bett. Wollen wir losfahren? Ich erzähl‘ dir alles während der Fahrt.“ „Ach so, ja. Klar“, erwiderte Sanne blinzelnd und legte den ersten Gang ein. Während sie den Wagen langsam nach Hause steuerte, erzählte Charlotte von ihrem Abend und ihre Schwester schüttelte während ihren Schilderungen immer wieder den Kopf und gab Geräusche des Unmuts von sich. „Nicht zu fassen, einfach unglaublich. Was bildet sich dieser Kommissar bitte ein, dass der euch so lange dortbehält? Als ob man diese Schikane nicht am nächsten Tag nachholen könnte. Die haben doch alle eure Personalien. Ihr könnt euch doch eh nicht verstecken.“ Sanne stand oft mit dem menschlichen Verhalten auf Kriegsfuß. Das war mit ein Grund, warum sie sich früh dafür entschieden hatte, lieber mit Tieren zusammenzuarbeiten. Gegen den Willen ihrer Eltern. Die hätten ihre Tochter lieber in einem soliden, gutbezahlten Schreibtisch-Job gesehen. Aber Charlottes Schwester hatte sich für einen körperlich anstrengenden Beruf entschieden und arbeitete seit ihrer Ausbildung als Tierpflegerin im Stuttgarter Zoo, der Wilhelma. Dort kümmerte sie sich um höhere Primaten wie Brüll- oder Klammeraffen. Ab und zu kam es auch vor, dass Sanne ein Affenbaby, das von den Eltern nicht akzeptiert wurde, mit nach Hause brachte und es dort aufpäppelte. Jetzt gerade hatte sie ihr neuestes Pflegekind in einem Tragetuch um den Bauch gewickelt. Der kleine Herr Nilsson war ein7 Monate altes, verstoßenes Totenkopfäffchen und hatte sich im Tuch an sein Lieblingskuscheltier geklammert. Um diese Uhrzeit schlief er tief und fest. Während Charlotte von ihren Erlebnissen erzählte, streichelte sie abwesend den Schwanz des Tierchens, der aus dem Tuch ragte.

      „Willst du was essen? Wir haben noch Auflauf“, sagte Sanne, als sie die Haustür aufschloss. Charlotte schüttelte den Kopf. „Nein danke, ich glaube ich lege mich ins Bett und versuche noch ein bisschen zu schlafen. Morgen darf ich meinem Chef dann erst mal erklären, was passiert ist.“ Sie ging ins Bad und vermied den Blick in den Spiegelschrank. Charlotte wollte gar nicht wissen, wie abgekämpft sie aussah. Nachdem sie sich ausgezogen hatte, konnte sie sich gerade noch zu einer Katzenwäsche aufraffen. Anschließend schlüpfte sie in ihren XXL-Pyjama und ließ sich ins Bett fallen. Kurz nachdem sie sich die Bettdecke bis zur Nasenspitze hochgezogen hatte, spürte sie, wie sie in den Schlaf glitt. Es überraschte sie selbst, dass sie trotz der aufreibenden Ereignisse so einfach einschlafen konnte. Bevor sie jedoch endgültig weg war, blitzte noch einmal kurz die Erinnerung an eine Bewegung auf, die sie für einen winzigen Augenblick in dem Glaskasten neben sich gesehen hatte. Charlotte fiel ein, dass sie dem Kommissar nichts davon erzählt hatte. Andererseits – was hatte sie schon gesehen? Sie wusste es ja selber nicht genau. Dann schlief sie ein.

      Kapitel 5

      

       Mein Herz blutet. Aber er hat bekommen, was er verdient hat. Jetzt kann er mich nicht mehr wie