Peter G. Kügler

Welt mit kleinen Fehlern günstig abzugeben


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      „Ja, bitte.“

      „Na also. Warum nicht gleich so?“, sagte das Display und setzte sein breitestes Lächeln auf.

       Max glaubte, dass es bald einen langen Werkstattaufenthalt bräuchte, um jemals wieder so lächeln zu können.

      Nein, Max war sich sogar sicher.

      4.DAS RESTAURANT FAST AM ENDE DER GALAXIS

      Die ‚Gemüsehalle’ war so gesund wie er es sich vorgestellt hatte. Auf dem Schild über dem Eingang prangten auf der linken Seite tiefrote Paprika, dunkelgrüner Salat und saftige Karotten, deren Anblick jeden Hasen in Ekstase versetzt hätte. Rechts neben dem Schriftzug glotzte ein Mann, der einem Filmplakat aus den Fünfzigern entsprungen sein könnte, dämlich lachend herab. Er hob den Daumen wie ein Anhalter, um zu zeigen, wie toll doch dieses Lokal sei und seine Augen wirkten durch die Brille wie durch eine Lupe vergrößert. Durch die Fenster sah Max, dass hier ein Innenarchitekt seinen kühnsten Träumen Gestalt verliehen hatte. Die Tische hatten die Form aufgeschnittener Salatgurken, die Stühle sahen wie Äpfel aus, deren falsch proportionierter Stiel als Rückenlehne diente und die Sitznischen waren überdimensionalen aufgeschnittenen Tomaten nachempfunden. Sie sahen fast wie aufgerissene Münder aus, die die Gäste im nächsten Moment zu verschlingen drohten.

      „Fast so wie in… in… in diesem… diesem Film“, kam es aus seinem Kopf.

      „Welcher Film? ‚Uhrwerk orange’?“

      „Nein! In der Milchbar gab es zwar auch ungewöhnliche Sitzgelegenheiten, aber die hatten eine andere Farbe. Und Form. Eine ganz andere Form. Nein, ich meine den Film mit den Tomaten.“

      „Ratatouille?“

      „Clown gefrühstückt? Nein, der mit diesen Killertomaten in der Hauptrolle. Da hat auch noch der… der…. der… Dingens mitgespielt!“

      „Ach der! Der… der… der… der war da aber noch ganz schön jung in dem Film.“

      „Ja richtig! Genau der! Wie hieß der noch mal?“

      „Wer? Der Film?“

      „Nein, der Typ!“

      „Ach der. Tut mir leid, aber ich habe es nicht so mit Namen.“

      „Vielleicht komme ich noch drauf. Auf jeden Fall war der gut.“

      „Wer? Der Schauspieler?“

      „Nein, der Film.“

      „Ach der. Ja, der war super.“

      Max klinkte sich an dieser Stelle aus dem Dialog in seinem Kopf aus und betrat das Lokal. Es war noch früh am Tag, so dass viele Tische unbesetzt waren. Die Theke befand sich links von der Eingangstür. Auf ihrer gegenüberliegenden Seite zog sich ein Teil des Raumes weiter nach hinten, so dass er vor den Blicken der übrigen Gäste geschützt war. Max fand, dass dies ein guter Ort sei, um ungestört nachdenken zu können und begab sich in eine der beiden Tomatennischen. Kaum hatte er Platz genommen kam ihm auch schon eine Lauchstange entgegen. Aus ihrem Grünansatz ragte der Kopf einer unrasierten Bedienung, der ihn mürrisch musterte und ihm ein ungeduldiges „Und?“ entgegen brachte. Max betrachtete die Stange, aus deren unteren weißen Ende zwei kräftige Beine zum Vorschein kamen und deren Wurzeln passender Weise genau im Schritt angebracht waren. Noch während Max versuchte, diesen Anblick zu verkraften kam ihm ein „Was ist? Ich habe nicht ewig Zeit!“ entgegen. Seine Befürchtung, er könne mit dem Umstand, bedient zu werden, nicht umgehen, weil es neu und ungewohnt sei und er nicht wisse, wie er darauf reagieren solle, hatte sich schlagartig in Luft aufgelöst. Das hier kannte er. Der Lauch wollte Krieg. Den konnte er haben.

      „Aufgrund des situativen Kontextes deute ich ihre Urlaute mal als den untauglichen Versuch, meine Bedürfnisse und Wünsche in Bezug auf Nahrungsaufnahme im Rahmen der hier gebotenen Möglichkeiten in Erfahrung zu bringen. Können sie diese Vermutung erhärten?“

      „Hä?“ Max spürte förmlich, wie seine soeben gesprochenen Worte verzweifelt versuchten, in den übersichtlichen Kosmos des Verstandes der Lauchstange einzudringen. Nach einer kurzen Pause ging der Lauch zum Gegenangriff über. „Jetzt hör mal gut zu, Freundchen! Du bist hier in einem Restaurant und nicht im Puff! Deine perversen Wünsche und Bedürfnisse kannst du dir sonst wohin stecken! Hier wird gar nix erhärtet! Ist das klar? Und jetzt deine Bestellung bevor ich meine Geduld verliere. Aber zügig!“ Das Gesicht der Lauchstange färbte sich in sattes Rosa.

      „Hör mal Lauchstange! Seid wann duzen wir uns? Haben wir etwa zusammen im Sandkasten gespielt? Ich glaube kaum! An Gemüse könnte ich mich erinnern. Und Mami hatte mir damals immer schon gepredigt, dass ich nicht mit dem Essen spielen soll!“

      Die Stange schnappte nach Luft. Ihr Gesicht war nun puterrot angelaufen. Max fürchtete um ihre Gesundheit. Sie sah jetzt aus wie eine Kreuzung zwischen einer Lauchstange und einer Tomate. Eine Lauchtomate. Oder eine Tomatenstange? Max fiel die bissige Bemerkung von Karin über die Eigenschaften holländischer Tomaten ein. Den spontanen Impuls, eine Bemerkung über Wasserköpfe nachzuschieben, konnte er noch rechtzeitig unterdrücken.

      Man soll es ja nicht übertreiben.

      Bei der Lauchkreuzung hatte die Tomate inzwischen eindeutig die Überhand gewonnen. „So einer wie du hat mir heute gerade noch gefehlt! Erst stresst mich gestern Abend die Alte, weil ich in der Kneipe angeblich mal wieder zuviel getrunken hätte, dann klingelt der verfluchte Wecker nicht, die verdammte Karre springt nicht an und dann kriege ich vom Chef noch einen Anschiss, weil ich zu spät gekommen bin! Und das für beschissene 400 Kröten im Monat! Dafür muss ich dann auch noch in diesem bescheuerten Lauchkostüm rumlaufen, das überall juckt wie der Teufel! Für 400 Kröten! Scheiße noch mal! Und dann kommst du Heini noch zur Krönung meines Tages und hältst mir so ein blödes Gespräch! Kannst froh sein, dass du hier Gast bist und ich nur die Bedienung! Also, was will der feine Herr?“ Der Lauch redete sich in Rage. Den letzten Satz schleuderte er Max wie einen Fehdehandschuh entgegen.

      „Ach, du denkst, du hättest einen Scheißtag gehabt?!? Ich will dir mal erzählen, was ein Scheißtag ist! Ich wache heute in einem wildfremden Bett in einer wildfremden Wohnung mit einem Schädel in der Größe eines Fußballstadions und dem Brummen von 10 Transformatoren auf; hatte anscheinend Sex mit einer wildfremden Frau, an den mir jegliche Erinnerung fehlt; werde im Gegenzug dafür aber wohl von ihrem tollwütigen Ehemann erschlagen; bin von einem hysterischen Kühlschrank wegen meines angeblichen Übergewichtes fertig gemacht worden – von einem Kühlschrank! - und wurde von einem psychopatischen Navigationsgerät nach Strich und Faden verarscht! Von einem Na-vi-ga-tions-ge-rät! Und hier macht mich dann noch ein dahergelaufener Sellerie dumm an! Halleluja! Dabei hat der Tag erst angefangen! Bin mal gespannt, was noch so kommt! Vielleicht bringt mich ja noch eine Riesenzwiebel zum Weinen! Oder ich stolpere über eine Mutantenkarotte und breche mir das Genick! Vielleicht werde ich draußen von einer Parkuhr tot gequatscht! Oder von einer Ampel angefallen! Und du denkst, du hättest einen schlechten Tag?!?“

      Der Lauch war still geworden. Sein Gesicht hatte wieder die vornehme Blässe von jemand angenommen, der zuviel Zeit des Tages vor dem Computer verbrachte. Bildschirmbräune nannte das sein Neffe immer. Er war verlegen und ihm fehlten die Worte, die dem Schicksal von Max angemessen gewesen wären.

      „Die Karotte hat heute ihren freien Tag“, warf der Lauch kleinlaut ein.

      „Was?“

      „Na, die Karotte hat heute ihren freien Tag. Über die kannst du nicht stolpern.“

      „Na so ein Glück!“

      „Im Übrigen bin ich eine Lauchstange.“

      „Wie?“

      „Ich bin eine Lauchstange. Kein Sellerie.“ Er blickte nach unten und zupfte an seiner Kleidung.

      „Entschuldige, ich wollte dich nicht herabsetzen. Die Hierarchie innerhalb der Gemüsekaste ist mir nicht so präsent.“

      „Schon