K. W. Müller

Nebelgeister


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es ist. Kipp den Inhalt doch einfach in die Schale unterhalb des Rückgabeschachtes. Genau. Na dann kann es ja losgehen.

      Warum hältst du denn die Luft an? Sei ganz ruhig, was kann dir passieren? Heute ist dein Tag! Drück den Startknopf. Gut machst du das!

      Nun bin ich am Zug: ich werfe meine Schwungräder an und – zack – schon drehen sich die drei Rollen mit den Symbolen für fünf verschiedene Metalle. Wow, ist das ein Gefühl! Herrlich, diese Geschwindigkeit. Alles kribbelt, kannst du es spüren? Juhu! Ich stand schon so lange still, dass ich ganz betrunken werde von den Drehungen.

      Nein! Warte doch noch ein Weilchen, bevor du die grüne Taste drückst! Ich –

      Okay, du bist der Boss. Dann stoppe ich eben die erste Rolle. Ich lasse sie langsam austrudeln. Was schätzt du, wo die Rolle wohl stehen bleibt? Beim Stahlrohr? Der Bronzeschnalle? Dem Silberlöffel?

      Nein, dies ist unser erstes Spiel heute, da gebe ich immer Starthilfe. Zu Anfang darf ich das. Also besser: beim Goldnugget.

      Siehst du? Ich wusste doch, dass du es heute schaffen kannst. Wenn die beiden anderen Rolen auch das Nugget zeigen, bist du reich! Ein bisschen zumindest. Überleg nur mal, was du mit dem vielen Geld machen kannst, falls du nicht nach Las Vegas fliegst: Ein schicker Fernseher wäre nicht übel. Zwei-Meter-Diagonale und mit allem Schnickschnack. 3D und so. Und eine neue Couch gleich dazu. Alles in Anthrazit. Passend zu deinem Hemd, sozusagen. Dann kannst du auch mal wieder eine Frau mitbringen, das wünschst du dir doch schon so lange!

      Entschuldige, aber ich sitze hier fest und kann nicht weghören, wenn du dich unterhältst. Das muss dich nicht stören. Außerdem will ich dir helfen. Überleg nur mal weiter: hm, vielleicht Inge, die gibt dir schließlich immer einen Kaffee aus, wenn sie Thekendienst hat. Oder Michael, den Besserwisser, der dauernd versucht, dich zu bremsen. Denk nur an letzte Woche, als er dich daran gehindert hat, läppische fünf Euro auf Gladbach zu setzen. Der würde Augen machen, wenn er den Fernseher und die bequeme Couch sieht! Ja, das würde sich gutanfühlen, glaubst du nicht? Überleg mal.

      Nun genieß das Spiel doch! Warum hast du es denn so eilig? Die Geschäfte haben schon geschlossen, heute kannst du deinen Gewinn ohnehin nicht mehr unter die Leute bringen. Aber wie du willst, ich halte die mittlere Rolle an. Und zwar beim Silberlöffel, ach nein – nicht zu fassen! Beim Goldnugget! Und das war echter Zufall, du Glückspilz! Nun bist du nur noch ein Symbol vom Hauptgewinn entfernt. Vom Fernseher, der Couch, Las Vegas. Huh.

      Jetzt kann ich verstehen, dass du tief durchatmest, denn jetzt heißt es, die letzte Rolle im richtigen Moment zu stoppen. Na, das wirst du schon schaffen! Du bist ja ganz nah dran. Also rauf mit dem Finger auf die grüne Taste. Worauf wartest du denn nun schon wieder? Es rotiert doch nur noch diese eine Rolle. Nun komm! So macht das keinen Spaß. Das wird langweilig. Drück endlich!

      Aaah, danke. Wollen mal sehen, ob du den richtigen Moment erwischst hast. Das Quecksilberthermometer rauscht vorbei, das Stahlrohr und die Bronzeschnalle auch. Die Rolle rotiert beständig langsamer. Beim Silberlöffel hält sie auch nicht, also beim Goldnugget? Setz dich doch wieder. Und lass meine Seitenwände los bevor du die Zierleisten abbrichst. Du hast lange nicht geblinzelt, tun dir die Augen nicht weh? Du weißt, wie besorgt ich um dich bin. Vertrau auf mich.

      Die Rolle steht schon fast. Das Goldnugget blitzt auf. Und verschwindet.

      Na hör mal, deswegen brauchst du dich doch nicht wegzudrehen! Kopf hoch! Das war gerade mal das erste Spiel und das zweite ist ja bereits bezahlt. Der Startknopf leuchtet. Sieh hin, er leuchtet!

      Autsch! Das war gemein. Es besteht kein Grund, mir die Faust in den Leib zu rammen. Ich kann doch nichts dafür, dass du verloren hast. Du hast die dritte Rolle angehalten. Im falschen Moment eben. Dass du das Spiel verloren hast, lag an dir und nicht an mir – du hast einfach den Bruchteil einer Sekunde zu spät gedrückt! Ich spiele dir trotzdem die Schlussfanfare.

      Diesmal machst du es besser, das weißt du. Ja richtig, trink erstmal einen Schluck, das wird dich beruhigen. Außerdem krallst du deine Finger dann nicht in meine Seite. Auf geht’s. Die Rollen drehen sich bereits. Wunderbar, ich liebe das. Zehn Sekunden, neun. Einen winzigen Augenblick noch. Gleich lasse ich die Stopptaste aufblinken. Zwei Sekunden, eine. Da!

      Och, so schnell? Wie schade. Hm. Jedenfalls hast du es dir selbst zuzuschreiben, dass die erste Rolle diesmal bei der Silbermedaille stehen bleibt. Du hättest warten müssen. Pass auf deine Nerven auf!

      Aber so schlimm ist das ja auch nicht, denn für drei Silbermedaillen erwarten dich immerhin 50 Euro. Und das ist doch auch was! Kein Grund, die Augen zu verdrehen.

      Und auch kein Grund, dermaßen auf die Stopptaste zu starren. Und nein - nicht schon wieder die Faust! Verdammt, schlag nicht so hart zu!

      Aber du hast es so gewollt, die zweite Rolle trudelt aus. Sie bleibt beim Stahlrohr stehen. Ätsch.

      Na toll, warum stehst du auf? Willst du die dritte Rolle nicht stoppen? Dann eben nicht. Wenn du es nicht tust, mache ich es. Jetzt. Du brauchst mir gar nicht den Rücken zuzuwenden, damit änderst du nichts. Egal. Nun ist es ja wurscht, dass die Bronzeschnalle nicht mehr vertrieben wird. Täterä.

      Willst du dich nicht wieder setzen? Ein Spiel läuft noch. Der schöne Startknopf, er leuchtet nur für dich. Du hast es in der Hand, das nächste Spiel zu starten. Du packst das! Setz dich hin. Na also. Und vielen Dank, dass du dieses Mal nicht die Faust benutzt.

      Wunderbar so herumzudrehen, das könnte ich den ganzen Tag tun. Aber klar, alles geht einmal zu Ende. Stopp. Bronzeschnalle. Na na, drei Schnallen bringen 10 Gratisspiele!

      Es könnte noch ein langer Abend werden, du solltest das Bier nicht so herunter stürzen. Bleib bei mir, du kannst dir das nächste Getränk auch bringen lassen. Dann eben nicht.

      Ich spiel allein zu Ende. Wieder Bronze. Na, beleidigt? Reizt dich die Stopptaste nicht? Bei drei Schnallen bekommst du zehn neue Chancen auf den Hauptgewinn, auf Technik, Möbel, Vegas...

      Zu spät. Ich mache Schluss. Na sowas: noch eine Schnalle. Hipphipp Täterätertäterä! Wie schön, dich lächeln zu sehen.

      Trink doch lieber Kaffee, den kriegst du kostenlos, während du für das Bier deine schönen Münzen opfern musst. Ja, setz dich wieder zu mir. Wir verstehen uns, nicht wahr? Achtung, Achtung! Mittlerweile schwankst du ganz schön. Nun ja, halte dich ruhig an mir fest, ich gebe dir Halt. Aber reiß mich nicht aus der Verankerung, falls du doch umfällst.

      Ach, nun guck doch nicht auf die Uhr! Länger als eine Stunde sind wir heute noch nicht zusammen. Höchstens zwei. Das ist praktisch nichts. Und immer noch liegen Münzen in der Schale. Klopf dir auf die Schulter, denn du hast oft gewonnen. Heute ist eben dein Tag, ich wusste das und du auch.

      Nun wirf nach! Du willst doch mit einem ordentlichen Gewinn nach Haus gehen, oder etwa nicht? Und sind wir etwa kein perfektes Team, wir beiden Goldseeker? Irgendwann werde ich dich reich machen, du weißt das. Bestimmt.

      Gut gemacht. Neues Spiel, neues Glück.

       Der Bahnhof

      So früh am Morgen war nicht viel los am Bahnhof. Sabine war dennoch beunruhigt. Sie folgte ihrer Tochter Anna heimlich und in einigem Abstand. Keine Sekunde ließ sie das Mädchen aus den Augen, denn die 9jährige war das einzige Kind im Dorf, das mit dem Zug zur Schule fuhr. Von den anderen Schülern besuchte keiner die gleiche Schule, deshalb nahmen sie alle den Bus in die andere Richtung.

      Sabine verbarg sich hinter einem Mauervorsprung und betrachtete ihre Tochter mit einigem Stolz. Anna war ein hübsches Mädchen: zierlich, blond und trotz ihrer jungen Jahre reichlich modebewusst. Ihr hilfsbereites Wesen und ihre Freundlichkeit wurden in jedem Zeugnis mit einem A in Sozialverhalten gewürdigt.

      Aber Sabine blieb nicht verborgen, dass sie heute nicht so fröhlich war, wie sonst. Im Gegenteil, sie machte sogar einen bedrückten Eindruck. Ihr Gesicht war ernst. Und während sie langsam durch die schmutzige Bahnhofshalle schlenderte und wie jeden Tag neben der Tür auf einer