Daniela Kappel

Elementa


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Stuhl und Vincent konnte sehen, wie er seine Hand aus Izzys Griff zog.

      „Ich kann es bezeugen. Auf eine Art und Weise, wie es nicht einmal du kannst. Ich bin unter den Auserwählten groß geworden, habe ihr verqueres Gedankengut mit der Muttermilch aufgesogen und doch habe ich meine gesamte Familie, meine Herkunft für euch verraten. Ich stehe dazu, so wie ich zu euch und eurem Kind stehe. Lass mich an deiner Stelle gehen. Du bist viel zu wertvoll, um dich in eine solche Gefahr zu begeben“, erklärte Raffael und fixierte ihn mit einem derart intensiven Blick, dass Vincent erst einmal schlucken musste.

      „Was soll ich dazu sagen? Du hast recht. Trotzdem erscheint es mir falsch, dir diese Last aufzubürden“, erwiderte Vincent und sah nun in Izzys unglückliches Gesicht.

      „Du hast mich gebeten, an deiner Seite zu kämpfen, und genau das habe ich vor. Es stimmt, was du gesagt hast. Ihr seid füreinander da und nun bin ich Teil dieses Wir und werde so wie alle anderen hier dafür einstehen.“ Bei seinen letzten Worten hatte Raffael den Kopf zur Seite geneigt und Izzy ins Gesicht gesehen. Sie nickte zittrig und mit glasigen Augen.

      Dem nüchternen General wurde es wohl allmählich zu gefühlsduselig. Er ergriff wieder das Wort und stellte klar, dass sie mit der Rekrutierungsmission wenigstens ein paar Tage warten mussten, um sicherzugehen, dass sie ihr Versteck nicht doch irgendwelchen Spähern preisgaben. Dann betraute er ein paar seiner Männer damit, geeignete Kandidaten für die Rekrutierung ausfindig zu machen.

      Es schalteten sich auch andere Mitglieder ein und eine rege Diskussion entstand. So wurden Unterrichts- und Trainingspläne erstellt und Aufgaben verteilt.

      Daria verfolgte das Gespräch nur mehr am Rande. Sie hatte sich an Vincents Schulter gekuschelt und warf immer mal wieder verstohlene Blicke zu ihrer Mutter, die diese stets erwiderte. Die Erleichterung nach dem Schock von Vincents Ankündigung, den Schutz der Staumauer zu verlassen, um nach Mitstreitern zu suchen, hatte ihr den Rest gegeben. Nun machten sich die Strapazen, all die Aufregung und auch der Schlafmangel deutlich bemerkbar.

      Vincent war nach wie vor in ein Gespräch mit General Forbes und ein paar anderen Mitgliedern der Garde vertieft, also lehnte Daria sich zu ihrem Vater hinüber.

      „Ich möchte auf mein Zimmer gehen“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Er nickte und wollte sich schon erheben, da legte Daria ihm ihre Hand auf den Arm.

      „Vorher will ich noch mit Mama sprechen.“

      Sofort spannte er sich an. Daria fühlte, wie die Muskeln unter ihren Fingern hart wurden, und auch die Miene ihres Vaters wirkte versteinert. Einen Moment lang starrte er sie nur an. Doch das reichte schon, damit Daria flau im Magen wurde.

      Schließlich nickte Erik knapp. Er wechselte einige leise Worte mit einem der Uniformträger hinter sich. Dieser wandte sich an ihre Mutter, die kurz darauf aus dem Versammlungssaal geführt wurde.

      Daria küsste ihren Vater auf die Wange, der noch immer verbissen wirkte, dann verließ auch sie den Raum.

      Zwei der Wachen flankierten ihre Mutter.

      „Ich möchte allein mit ihr sprechen“, sagte Daria, bemüht ihre Stimme möglichst autoritär klingen zu lassen. Wenn Vincent nun der Anführer der Garde war, dann musste sie doch auch ein wenig zu sagen haben.

      Die beiden Männer wechselten einen Blick und trollten sich dann ein paar Meter den Gang hinunter, bis sie außer Hörweite waren.

      Daria sah ihnen nach und versuchte, ihre müden, aufgewühlten Gedanken zu sammeln.

      „Ich kann noch gar nicht fassen, dass du wieder da bist“, murmelte sie. Die warme Hand ihrer Mutter legte sich auf ihre Schulter und das Kribbeln in ihrem Bauch wurde intensiver.

      „Ich auch nicht, mein Schatz. Eine Zeit lang habe ich nicht mehr daran geglaubt, je wieder bei euch zu sein. Ja, ich habe es sogar gehofft“, erklärte Iris mit leiser, sanfter Stimme.

      Erschrocken über ihre Worte sah Daria auf.

      „Mit ihm“, Iris ließ ihren Blick über Darias Unterleib schweifen, „ist mein schlimmster Albtraum wahr geworden.“ Ihre Stimme brach und Daria spürte, wie sich alles in ihr zusammenzog.

      „Und gleichzeitig ist mein sehnlichster Wunsch in Erfüllung gegangen“, setzte ihre Mutter in kratzigem Ton nach. „Alles, was ich jemals wollte, war dich zu beschützen. So ist das, wenn man ein Kind hat.“ Ein trauriges Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.

      Darias Augen füllten sich mit Tränen. Auch wenn das alles noch nicht greifbar schien, verstand sie, was ihre Mutter meinte. Langsam nickte Daria.

      „Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll“, gestand sie.

      „Das gehört ebenfalls dazu. Aber lass mich dir eines sagen, mein Schatz: Die Liebe, die du für dein Kind empfinden wirst, wiegt alle Sorgen, alle Ängste und Zweifel auf.“

      Als Daria den Schlafraum betrat, erwartete sie dort ein Tablett mit einer Karaffe und zwei Schalen Suppe. Der Geruch der Brühe stieg ihr in die Nase und ließ ihren Magen knurren. Daria runzelte die Stirn. Izzy war doch mit ihrer Mutter und ihrem Bruder untergebracht worden. Wer also würde mit ihr das Zimmer teilen?

      Kaum hatte Daria den Gedanken beendet, schwang die Tür hinter ihr auf und Vincent betrat den Raum. Er schenkte ihr ein schiefes Grinsen.

      „Du schläfst bei mir?“, entfuhr es ihr.

      Vincents warmer, amüsierter Blick brachte auch sie zum Schmunzeln.

      „Jetzt schau doch nicht so entgeistert. Ich sehe keinen Grund, warum wir uns nicht ein Zimmer teilen sollten. Bei allem …“ Vielsagend ließ er den Satz in der Luft hängen.

      „Du willst sagen, dass du hier der Boss bist und mich ohnehin schon geschwängert hast.“ Bei ihren unüberlegten Worten wurde ihr Gesicht ganz heiß.

      Vincents Lächeln verblasste, doch er kam zu ihr und nahm Daria in den Arm. „Genau“, flüsterte er in ihr Ohr.

      *

      „Warum?“ Izzys Stimme klang eigenartig fremd in ihren eigenen Ohren. Verzweifelt und viel zu schrill. Sie hatte sich nie für eine rührselige, klammernde, unsichere Person gehalten. Doch das schien sich nun geändert zu haben.

      Raffael stieß sich von der staubigen Kiste ab, an die er sich gelehnt hatte, und schloss mit drei großen Schritten den Abstand zwischen ihnen. Seine Hand streichelte über ihre Wange.

      „Es ist das Richtige. Ich werde meinen Beitrag leisten“, erwiderte er ruhig.

      „Das kannst du doch auch, ohne dass du dich in eine solche Gefahr bringst! Ich …“ Izzy entzog sich ihm und musterte sein mittlerweile so vertrautes Gesicht mit hitzigem Blick. „Ich will dich nicht verlieren.“

      „Ich habe nicht vor, dass das passiert.“ Nun war Raffaels Stimme eine Nuance tiefer und erneut legte er seine Hand auf ihre Wange.

      Izzys Lippen bebten, als sie vergeblich versuchte, etwas darauf zu erwidern, ein Argument zu finden, das ihn umstimmen würde. Sie starrte an Raffael vorbei, unfähig seinem Blick standzuhalten.

      „Du hast dich in mich verliebt“, hauchte er und ließ seine Hand über ihren Hals nach hinten wandern. Sanft umfasste er Izzys Nacken und brachte sie dazu ihn anzusehen. Röte stieg ihr ins Gesicht.

      „Ja, verdammt!“, sagte sie etwas zu laut. Raffaels intensiver Blick verstärkte die Wärme in ihrem Inneren.

      „Ich wollte nie etwas, hatte kein richtiges Ziel. Mein Leben war irgendwie“, er suchte nach dem passenden Wort, „bedeutungslos. Bis du darin aufgetaucht bist. Plötzlich wollte ich nur noch eins. Dich.“ Ehe sie seine Worte auch nur im Ansatz realisieren konnte, trafen seine Lippen auf ihre und machten es ihr unmöglich, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

      *

      Die Tür schloss sich mit einem leisen Klicken hinter Iris. Sofort suchten ihre Augen den Raum nach Erik ab. Er saß mit dem Rücken zu ihr an dem kleinen Tisch. Seine Schultern hoben und