Byung-uk Lee

The Night


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in dieser Einöde, die selbst den hiesigen Bewohnern den Schweiß auf die Stirn trieb.

      Wo blieb Jack nur? Er war schon eine Weile fort und sie vermisste seine dummen Kommentare.

      Mit pochendem Herzen schaltete Claire das Radio wieder aus. Hatte sie etwas gehört? Der pfeifende Wind streifte das Geäst. Es war ein Geräusch, das sich vom raschelnden Konzert hoch oben unterschied. Ein monotones Stampfen, was sich ihr näherte. Die Pupillen ihrer blauen Augen weiteten sich und ihr Herz raste. Durch den Dunstschleier des Nebels erkannte sie, wie Gestrüpp unter einer unglaublichen Last zermalmt wurde und Bäume seitlich entwurzelt wurden. Was diese hölzernen Riesen umstieß, konnte sie nicht sehen. Es musste eine unglaubliche Kraft sein. Eine unsichtbare Kraft, die von Zorn und Boshaftigkeit getrieben war.

      Claire schrie auf, als das Ding ihren Wagen rammte. Die Fensterscheibe zersplitterte und das Metall verbeulte sich, als das unsichtbare Monster mit riesigen Pranken gegen die Autotür donnerte. Claire spürte einen brennenden Schmerz im Zeigefinger. In aller Hast hatte sie versucht die Fahrertür, ihr einziger Fluchtweg, zu öffnen und sich dabei einen Nagel abgebrochen. All der Schmerz wurde aber von der kalten Angst dominiert. Ihre Sinne waren gelähmt und sie bekam nur noch alles in Zeitlupe mit, obwohl sie schnell handeln musste. Die Glassplitter waren gegen ihr Gesicht geflogen und Blut rann ihr warm von der Stirn, das auf die Sitzpolster tropfte und ihre Bluse durchtränkte. Endlich gelang es ihr, die verdammte Fahrertür zu öffnen. Das wild kreischende Monster hatte bereits die andere Tür mit unbeschreiblicher Kraft herausgerissen und gegen einen Stamm geschmettert, als sie über die andere Seite ins Freie kroch. Sie lief einfach. Alle anderen Gedanken beiseiteschiebend floh sie in den Wald, der fast genauso bedrohlich war wie das unsichtbare Ungetüm hinter ihr, dessen widerlich fauligen Atem sie gerochen hatte, als sein Gebrüll die Geräusche des Waldes übertönt hatte. Claire hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Die Wunde an der Stirn brannte noch mehr, da der eisige Wind seinen kalten Hauch darauf blies. Durch das Geäst, das durch ihr schnelles Tempo in ihr Gesicht peitschte, holte sie sich noch mehr Schnittwunden. Irgendwann stoppte sie ihren Lauf durch die Nacht. Ihr brannte jeder Muskel im Körper und Schweiß tropfte schmerzhaft in die Wunden. Eisige Luft hatte ihre Lungen gefüllt und sie verspürte einen Druck in der Brust, als würde eine schwere Steinplatte auf ihrem Körper lasten. Mehr taumelnd als laufend irrte sie zwischen den Stämmen umher. Keuchend stützte sie sich an einem mächtigen Baum, dessen kolossales Wurzelwerk sich mit übernatürlicher Kraft ins Erdinnere bohrte. Sie drohte das Bewusstsein zu verlieren. Denn sie realisierte, das an ihrer Handfläche Blut klebte. Ein ganzes Rinnsal lief die schwarze Rinde hinunter. Benommen taumelte sie weiter und rutschte auf den schlammigen Boden aus. Dann fiel sie endgültig in die tiefe Schlucht der Bewusstlosigkeit. Ihre schneeweiße Haut entstellt von Schlamm und Blut.

       ***

       Die Baumkronen brannten lichterloh wie die Spitzen von Streichhölzern. Der Feuerteufel selbst schien sie entzündet zu haben. Unterhalb dagegen war alles beim Alten. Nichts deutete auf ein Feuer hin. Die Nebelschwaden umwickelten die Stämme und der Wald war in grässliche Düsternis getaucht, die selbst das Licht der Gestirne am Himmel nicht durchdringen konnte. Claire fühlte sich wie eine hüllenlose Seele, die durch den Hexenwald irrte. Umzingelt von katzenartig schimmernden, gelb leuchtenden Augen. Obwohl sie sonst nichts sah, malte sie sich im Geist die abscheulichen Fratzen aus, die zu diesen bösen Blicken gehörten.

       ***

      Es war ein Alptraum, aber einer aus dem sie sanft erwacht war. Claire hob ihr Kinn. Dreck und Blut hatten sich auf ihrem Gesicht hart verkrustet. Fast wirkte die Schicht wie ein Panzer, der ihr die Sicht für weitere Grausamkeiten nahm. Ihr war aufgefallen, dass mehrere kleine Bäche den Wald in Abschnitte unterteilten. Einen dieser Wasseradern, die das Grünzeug mit Leben versorgten, nutzte sie, um ihr Gesicht vom Schmutz zu befreien. Die kühle Frische weckte ihren Verstand wieder. Während sie den Geräuschen des Waldes horchte, sah sie zwischen den dicht stehenden, blutenden Stämmen ein seltsam bläuliches Licht. Es war sehr schwach und es musste weit entfernt sein. Trotzdem packte sie die Neugier, sodass sie sich darauf zu bewegte. Der Heulgesang einer Eule verfolgte jeden ihrer Schritte und das knisternde Geäst steigerte wieder ihre Nervosität. Nicht mal der bleiche Mond konnte ihr sein kränkliches Licht schenken, da er von einer dichten Wolkenmasse verdeckt wurde. Nur sie, die Geräusche des Gestrüpps und die blanke Ungewissheit begleiteten sie zum blauen Licht, das immer intensiver schimmerte.

      Endlich stand sie auf einer Lichtung, ungläubig auf einen Monolithen starrend. Die schmale Steinsäule warf fluoreszierendes Licht, das zwischen seltsamen Hieroglyphen hervorschimmerte, auf das vertrocknete Gras. Eine Armee aus Pilzen bedeckte den Großteil der Lichtung und schien das bläuliche Licht zu absorbieren. Denn sie strahlten wie kleine Sterne um einen großen Planeten. Mit einem Gefühl aus Neugier und Ehrfurcht pflückte Claire einen Pilz, der nicht an Leuchtkraft verlor. Kurzzeitig wurde das Licht schwächer nur um dann wieder stärker zu strahlen denn je. Es war wie ein leuchtender Herzschlag. Sie pflückte noch mehr, bis ihre Jackentasche so ausgebeult war, dass keiner mehr hineinpasste. Das Licht war so intensiv, dass es selbst den dichten Stoff durchdrang. Nun näherte sie sich der steinernen Säule, die die Mauer der Dunkelheit durchbrach und ihr Lebenslicht in alle Richtungen flutete. Ein Raunen ging von ihr aus, das allerdings seltsam vertraut wirkte. Claire verspürte keinerlei Furcht, sondern nur noch Neugier und Faszination. Als sie mit der Handfläche über die rauen Zeichen glitt, bemerkte sie, dass es kaltes Licht war. Ein Stück des Monolithen war am Fuße abgebröckelt und sie hob den schweren Gesteinsbrocken auf. Grell war der Schein, den er von sich gab. Eine niemals erlöschende Taschenlampe, die ihr einen Weg durch die undurchdringliche Dunkelheit weisen konnte. Als sie in den Wald hineinleuchte, erschrak sie. Sie erkannte die sardonisch schimmernden Augen, die sie in ihrem Traum gesehen hatte. Das Licht schien der Schlüssel für eine Pforte zu sein, die in eine fremde Welt führte, und konnte Dinge sichtbar machen, die kein Mensch auf Erden nur erahnen würde. Die dürren, gebeugten Wesen mit ihren lurchartigen Köpfen huschten über das feuchte Moos. Ihre scharfen Reißzähne fletschen Claire feindselig an. Licht schien ihr Schwachpunkt zu sein, da sie jedes Mal flüchteten, wenn sie mit dem Strahl des Monolithgesteins auf sie zielte. Zudem waren ihre Augen so verkümmert und rudimentär vorhanden, dass Claire nur zwei seelenlose schwarze Perlen erblickte. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie die graue vernarbte Haut sah, die über diese Kreaturen gespannt war. Die unbekannten Wesen, an die zehn mussten es sein, umkreisten bedrohlich die Lichtung, wagten es aber nicht, sie zu betreten. Anscheinend war dies ein heiliger, der Gift für ihren teuflischen Wesenszug war. Fluoreszierende Licht durchtränkte nun den Rand der Lichtung.

      „Verschwindet! Lasst mich in Ruhe!“, schmetterte Claire ihnen entgegen.

      Verzweifelt rannte Mrs. Milford auf die kleinen Monster zu, die ehrfürchtig vor dem Licht zurückwichen, wie Wölfe vor einer glühenden Fackel. Dann kehrte sie wieder in die Mitte der Lichtung zurück. Umzingelt von Myriaden leuchtender Pilze. Sofort näherten sich die Lurchwesen wieder dem Rand. Ein markerschütterndes Gebrüll schlug sie schließlich in die Flucht. Etwas Großes noch Bösartigeres kam stampfend zur Lichtung. Claire vernahm zischende Stimmen. Hinter ihr knickten die gewaltigen Stämme zur Seite, deren mächtige Wurzelwerke an die Oberfläche traten. Von Panik erfasst rannte sie los, während das blaue Licht ihr den Weg wies. Im Kegel des fluoreszierenden Scheins sah sie, wie die grauen Kreaturen auf allen Vieren über den schmierig moosigen Boden flohen. Das feuchte Geäst, das die Wesen bei der Flucht mit ihren flachen Füßen und klauenartigen langen Vorderpranken unter sich zermalmten, knackte um ihr herum. Hinter den Flüchtenden ertönte das grauenhafte Gebrüll des amorphen Monsters, dessen Gestalt wahrscheinlich das blaue Licht des Monolithgesteins preisgeben würde. Trotz der blanken Furcht packte Claire auch Neugier. Die gepflückten Pilze in ihrer Tasche strahlten mit solch einer Intensität, dass der Schein durch den Stoff der Jackentaschen ihr seitliches Umfeld sporadisch erhellte. Als sie im Lauf den Gesteinsbrocken nach hinten richtete, erfasste sie das reine Entsetzen. Kurz hatte das Licht die Gestalt des hinter ihr kreischenden Wesens freigelegt. Trotz der geringen Zeitspanne hatte sich das Bild sekundenschnell in ihr Gedächtnis gebrannt. Der Anblick hatte ihr fast die Beine gelähmt. Sie dachte, sie wäre in einem schlimmen Alptraum, aus dem sie jeden Moment aufwachen würde. Neben ihr Jack in ihrem gemeinsamen Ehebett liegend, nur in Boxershorts gekleidet. Doch je schneller sie lief und