Denise Remisberger

Fidibus und die Entführung aus dem Kloster


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hatten sie sich an einen der langen Tische gesetzt, an dem noch zwei weitere Gäste hockten, schlenderte Alfons, der Sohn Gilbrechs, daher und witzelte: «Na, Herr Mönch, schon wieder im Spunten?! Gibt Gott Euch nicht genug zu trinken zu Hause im Kloster?!»

      «Ach, Alfons, du Lausebengel. Mit Gott hat der Bierausschank wenig zu tun. Bring uns einen grossen Krug. Und schön kühl.»

      «Unser Bier ist immer kühl. Was denkt denn Ihr?!» Und Alfons, dem noch nicht einmal die ersten Barthaare gesprossen waren, holte besagten Krug und drei Tonbecher. Während er einschenkte, sprach Blage die beiden Kauze an, die noch mit am Tisch sassen: «Habt ihr zwei vielleicht mitgekriegt, wie letzte Nacht ein Mönch aus dem Kloster entführt worden ist?»

      «Was ist los?», erschrak sich der eine, der andere verschluckte sich und hustete kräftig.

      «Niesbert, mein Verwandter, wurde aus dem Kloster Sankt Gallen geraubt», ärgerte sich Siegelinde lautstark. «Wir wollen wissen, ob ihr was gehört oder gesehen habt!»

      Die beiden schüttelten die Köpfe.

      «Ich kann euch sagen, wer etwas mitgekriegt hat», mischte sich Alfons ins Gespräch ein.

      «Und wer?», wollte Fidibus wissen.

      «Einen Pfennig für die Auskunft», grinste der Kleine und hielt seine schmale Hand unter Fidibus‘ Nase.

      «Nicht nur für die eine Auskunft! Der Pfennig muss fürs restliche Jahr reichen, falls ich noch weitere Auskünfte von dir brauchen sollte», zog Fidibus den Silberling aus seinem Beutel und drückte ihn Alfons in die Hand.

      «Ja, ja.»

      «Und wer kann nun etwas zur Klärung beitragen?»

      «Der alte Kristian.»

      «Der Gärtner, welcher in einem der Häuser an der Hauptgasse wohnt?»

      «Genau der.»

      Nachdem Fidibus, Siegelinde und Blage ausgetrunken hatten, begaben sie sich in die Hauptgasse, die später einmal Marktgasse heissen würde, und klopften an Kristians Türe. Nach einer längeren Wartezeit wurde ihnen geöffnet.

      «Der Cellerar des Klosters, sein Burgfräulein mit dem schlechten Ruf und ihr schuppenbepanzerter Begleiter. Was wollt denn ihr drei Nasen mitten am Tag?!»

      «Sollen wir vielleicht in der Nacht wiederkommen?», meinte Siegelinde ironisch.

      «Die hat’s drauf!», kicherte das alte Männlein, strich sich über den struppigen Bart und liess die drei zur Türe herein.

      «Alfons sagt, du habest was bemerkt? Gestern? In der Nacht?», begann Fidibus.

      «Ja, ich denke schon.»

      «Und was?»

      «Als ich mal musste, ihr wisst schon, das Alter, und danach durch den Spalt im Fensterladen geguckt habe, sah ich, dass vier Kapuzentypen jemanden im diesigen Mondlicht vorbeigetragen haben. Eigentlich haben nur zwei getragen. Die anderen beiden sind vorausgeschlichen.»

      «Hast du gesehen, in welche Richtung sie gelaufen sind?», erkundigte sich Blage.

      «Erst, als ich nach draussen gegangen bin, um ihnen nachzuschleichen.»

      «Und?», rief Siegelinde ungeduldig.

      «Die Konstanzer Strasse rauf in den Arboner Forst. Dort haben sie die Person auf einen der fünf wartenden Maulesel gebunden, eine Fackel entzündet und weggeritten waren sie.»

      «Und wieso bist du nicht ins Kloster gekommen, um uns das mitzuteilen?», verwarf der Mönch die Hände.

      «Na ihr seid doch hier! Wo ist das Problem? Später muss ich eh in den Baumgarten, wäre also heute noch vorbeigekommen. Wer ist überhaupt entführt worden?»

      «Niesbert!», rief Siegelinde.

      «Was?! Mein Niesbert, mit dem ich zusammenarbeite?»

      «Genau der», bestätigte Fidibus.

      7

      Da war der Schlag gewesen. Auf seinen Kopf. Und dann? Nichts. Als er wieder aufgetaucht war, hatte er Warmes und Weiches gespürt. Mit einer Spur Struppigem. Seine Wange am Fell. Und es hatte sich bewegt. Soviel er hatte einordnen können, hatte er auf einem kleineren Reittier gesessen, den Oberkörper angeschmiegt an den Rücken des Tieres, das Gesicht ins Fell gedrückt. Irgendwie war er festgebunden gewesen. Mit einem breiten Tuch um die Mitte, die Arme darunter. Und einer Decke über sich, lose befestigt. Er hatte Schatten auf dem Waldboden tanzen sehen. Im Schein einer Fackel. Wahrscheinlich. Und als der Morgen angebrochen war, hatten sie ihn losgebunden und ihm eine Schale aus Holz in die Hände gedrückt: «Trink!» Und er hatte die herbe Flüssigkeit hinuntergekippt, durstig, wie er gewesen war. «Das Gebräu wird dein Kopfweh lindern.» Oh ja! Und Kopfweh hatte er gehabt. Und was für welches. Von dem Schlag. Sein Maulesel und ein zweiter waren vor ein Fuhrwerk gespannt worden und einer der Männer hatte sich auf den Bock gesetzt. Dann hatten ihn die restlichen drei Männer auf den mit einer Decke ausgelegten Karren bugsiert, mit einer anderen Decke halbwegs zugedeckt, und los war’s gegangen. Jetzt war es schon eine Weile lang hell. Und er lag immer noch im Halbschlaf. Dafür war wohl das Gesöff verantwortlich. Wo würden sie ihn wohl hinbringen? Sie waren nicht böse. Eher besorgt. Was hatten sie bloss mit ihm vor?

      8

      Siegelinde, Blage und Fidibus standen mitten auf der Hauptgasse und berieten sich.

      «Wir sollten mal bis zum Waldrand rauflaufen», schlug Siegelinde vor, «Vielleicht finden wir dort einen Hinweis.»

      «Und dann könnten wir Trude besuchen», ergänzte Fidibus.

      «Die Kräuterhexe», grinste Blage. «Das ist eine sehr gute Idee. Ich brauch nämlich dringend etwas für meinen linken Ellenbogen. Der schmerzt bei jeder Bewegung.»

      Also marschierten sie die Hauptgasse entlang, die in den Dorfplatz überging und zur Dorftoröffnung in der nördlichen, erst kniehohen Palisadenmauer hinaus, umrundeten die niedrige Erhöhung, auf welcher die Kirche Sankt Mangen thronte, und begannen, den waldigen Sonnenhügel beim Dorf Sankt Gallen auf der Konstanzer Strasse zu erklimmen.

      «Hier haben sie die Maulesel angebunden. Seht mal. Die Häufchen», zeigte Blage auf den Waldboden.

      «Hatten wohl recht gefressen, die lieben Tierlein», meinte Fidibus.

      «Anscheinend», lachte Siegelinde.

      Sie liefen weiter in den Arboner Forst hinein. Zuerst auf der Konstanzer Strasse bleibend, dann führte Fidibus alle über kaum sichtbare Wildwechsel zu Trudes hübschem, aus einheimischem Holz hergestellten Häuschen in der Nähe des Steigbachs. Aus dem Kamin stieg Rauch auf.

      «Trude!», rief Fidibus und klopfte an die Türe.

      «Fidibus! Und Siegelinde und Blage! Kommt herein und esst mit mir», öffnete die Kräuterfrau ihre Türe.

      «Was gibt es denn?», schnupperte Siegelinde im Wohnraum umher, der die kniehoch aufgemauerte Feuerstelle enthielt, in der ein Dreifusstopf in der offenen Glut stand.

      «Suppe mit Flusskrebsfleisch und Pastinaken. Die Krebse hat mir heute Morgen ein Kramer gebracht. Sind noch in einem Bronzekübel herumgeschwommen. Ganz frisch.»

      «Und sicher mit wunderbaren Kräutern gewürzt», lief Fidibus das Wasser im Mund zusammen.

      «Natürlich. Vor allem mit getrockneter Knoblauchsrauke und frischer Petersilie.»

      «Einen tollen Rauchfang habt Ihr hier, Trude. Mit Funkenschutz und allem», staunte Siegelinde.

      «Klar. Ich hab mir den Kamin im Kloster Sankt Gallen angeschaut. Und Hufschmied Godek hat mir geholfen, hier bei mir auch so einen einzubauen.»

      «Ihr wart in der Küche drin? Im inneren Teil des Klosters?», wunderte sich Blage.