Jörgen Dingler

Oskar trifft die Todesgöttin


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stand ihm offen.

      Er war angekommen.

      In diesem Moment begann er, seine neue Heimat zu lieben.

       Cork, Juli 2004

      Grün soweit das Auge reicht, wirklich eine grüne Insel. Dieses Grün war allerdings künstlich angelegt. Kurzgeschnittener Rasen wechselte mit weniger gepflegtem, naturbelasseneren Gras, dem Rough. Um das Ganze noch spannender und schwieriger zu machen, gab es zudem Bäume, Sandbunker und Teiche. Ein Golfplatz.

      Das Eisen pendelte bedrohlich hinter dem kleinen weißen Ball, der Spieler nahm Maß für den Schlag.

      »Du bist sehr wertvoll für unser Unternehmen, Oskar«, sagte der graumelierte Typ, der eine Mischung aus Jugendlichkeit und Reife verkörperte. Der Mann mit dem Golfschläger in beiden Händen war fraglos ein Frauentyp. Darüberhinaus besaß er ein weiteres Attribut, das seiner Anziehungskraft beim anderen Geschlecht nicht zwingend schadete.

      Er war äußerst vermögend.

      Der Adressat des eben getätigten Ausspruchs dachte kurz über diesen nach. Eigentlich ein Kompliment. Immer dieses vermaledeite ‚eigentlich‘.

      »Es wäre schade, dich verlieren zu müssen.«

      Der Mann holte mit dem schweren Abschlageisen aus, setzte einen Schwung, traf und verursachte dieses Klack, das den Ball in die Weiten des Courts beförderte. Die beiden Golfer sahen dem Ball nach. Er senkte sich über dem Green und kam in der Nähe der Fahne hinunter, die das nächste Loch markierte. Ein ausnehmend guter Schlag. Beide Männer nickten.

      »Wer redet davon, mich zu verlieren?«

      »Ich«, sagte der Mann.

      »Ja. Das hab ich gehört. Es geht hier nicht darum, mich zu verlieren. Ich wollte übers Gewinnen und nicht übers Verlieren reden. Und das schließt mein Gewinnen mit ein.«

      Der Mann lächelte und nickte wohlwollend. Oskar fuhr fort.

      »Es geht um eine Win-win-Situation. Ich verhelfe dem Unternehmen zu noch mehr Gewinn und dir zu noch mehr Reichtum. Daran möchte ich meinen Anteil haben.« Er pausierte. »Jeder soll etwas davon haben.«

      »Klingt einleuchtend«, sagte der Mann und grinste breit.

      Genau dieses Grinsen ließ den Blonden ahnen, dass sein Gegenüber es in der Tat einleuchtend fand, aber nicht daran dachte, es auch so geschehen zu lassen. Oskar verzog seine Mundwinkel nach unten.

      »Es war so in meinem Vertrag, Bob.«

      Der CEO und Gründer von Soft Apricot schmunzelte und sah ihm in die Augen.

      »Weißt du, was der zu seiner Zeit reichste Mann der Welt über Verträge sagte?«

      »Nein. Was sagte der?«

      »Also, Paul Getty sagte: Verträge sind nutzlos. Wenn du jemandem trauen kannst, brauchst du keinen Vertrag. Kannst du jemandem nicht trauen, wird dir ein Vertrag nicht helfen.« Er fixierte den anderen und schmunzelte unbeirrt. »Wie findest du das, Oskar?«

      »Der Spruch ist super.«

      »Ja, nicht wahr?«

      »Aber der Zustand ist beschissen.«

      Robert W. Quitte, genannt Bob, verfinsterte seine Gesichtszüge.

      »Keiner weiß, dass du die Software entwickelt hast, Oskar. Egal, ob du jemandem davon erzählt hast oder nicht. Das ist nur Gerede. Die Leute quatschen viel, wie wertvoll sie angeblich für‘s Unternehmen sind. Aber nachweisen kann man nichts. Deine grandiose Entwicklungsarbeit ist quasi spurenlos. Man kann sie mit nichts zu dir zurückverfolgen, auch nur irgendwie mit dir in Verbindung bringen. Firmenpolitik.

      Alle Daten werden auf zentralen Servern gespeichert. Kein Computer ist personalisiert, keiner erlaubt das Anstecken von Wechselmedien, das Lesen oder Schreiben von CDs oder DVDs. E-Mails mit Anhängen oder einkopierten Programmcodes? Auslagern auf Internetserver? No way! Aber das weißt du selbst alles. Dafür kann jeder Mitarbeiter mit seinem persönlichen Passwort auf jedem Rechner arbeiten und seine Daten von überall im Haus abrufen und mit ihnen arbeiten. Nur: Unser Haus verlassen sie nicht. Niemals und in keiner Form. Das Beste daran ist, dass wir das als Transparenz und brüderliche Gleichheit verkaufen. Glasnost, wenn du so willst«, amüsierte er sich. »Wie gesagt: Klar kann jeder seine Daten per Passwort vor den anderen schützen…«

      »Aber du kannst auf alle Daten zugreifen, stimmt‘s?«

      »Hmmm…« Bob stülpte die Unterlippe vor. »Lass es mich so formulieren: Ich hab den Fortschritt deiner Arbeit in den letzten Monaten sehr genau verfolgt – und sehr wohlwollend.«

      »Kann ich mir vorstellen. Wahre Glasnost also nur für dich. Perfekt um Mitarbeiter, die etwas Großes zuwege bringen, über den Tisch ziehen zu können«, entkam es den Lippen eines Mannes, der sich um die Früchte seiner Arbeit gebracht sah.

      »So wie dich jetzt.«

      »Ja, so wie mich jetzt.«

      »Stress dich nicht allzusehr. Du bist nicht der Erste, bei dem wir das so händeln.« Bob legte den Kopf schräg und überlegte. »Aber zugegeben: Es hat sich selten so gelohnt wie bei dir. Du hast wirklich etwas Großes zuwege gebracht. Etwas, mit dem wir zusätzliche Marktmacht generieren und sehr viel Geld verdienen werden.« Er blickte Oskar kalt an. »Wir, Oskar. Dieses ‚Wir‘ schließt dich nicht mit ein. Du bist kein Member of the board und somit auch kein Shareholder.«

      Der nächste Satz von Robert W. Quitte, dessen Mittelinitial dem ungewöhnlichen zweiten Vornamen ‚Wagner‘ entsprach und der seinen ursprünglich französischen Nachnamen wie das englische ‚quite‘ aussprechen ließ, war ein Todesurteil.

      »So leid es mir tut, mein Lieber.« Er sog hörbar Luft ein. »Nachdem du dieses Große für uns geleistet hast, brauchen wir dich nicht mehr. Besseres wird schwerlich nachkommen, das musst du doch zugeben.

      Du wirst die übliche Abfindung bekommen. Aber auch nicht mehr.«

      »Und was ist der Entlassungsgrund?«, presste Oskar eine überflüssige Frage durch die Zähne, die nur der Vollständigkeit halber einer Beantwortung harrte.

      »Hmm… gute Frage. Wie wär‘s mit Differenzen mit deinem Chef?

      Ja, das klingt plausibel! Wie du siehst, haben du und ich gerade Differenzen. Schwerwiegende. Oder vielleicht nicht?«

      »Ja. Die haben wir.«

      Der Blonde mit dem Kurt Cobain-Look wirkte nun in der Tat so unpassend wie der ewig junge, weil früh verstorbene Nirvana-Frontmann auf einem Golfplatz – mit diesem angewiderten Gesicht. Er sah sich um. Kein Mensch auf weiter Flur. Sein Ball lag abschlagbereit auf dem Pin. Nun war er mit Abschlagen dran. Und genau das tat er. Da er im Gegensatz zu seinem Chef ein Golfanfänger war, hatte er die Richtung zum nächsten Green nicht annähernd so gut erwischt. Dennoch stimmte die Richtung. Auch der Schlag war hervorragend. Genug Schwung, der Ball wurde voll getroffen. Nicht nur der Ball. In wenigen Minuten würde er den Ambulanz-Notruf wählen. Sobald die Ambulanz einträfe, kniete er bei seinem blutüberströmten Chef auf dem Abschlagpunkt, würde ihn verzweifelt im Arm halten. Er würde sogar weinen, dazu brauchte er nur vergangene Seelenqualen wieder aufleben zu lassen. Oder die soeben geschehene Tragödie verinnerlichen. Oskar hatte einen Menschen getötet und realisierte damit den Scherbenhaufen seines eigenen Lebens. Er brauchte keine Supervorstellung abzuliefern, sobald die Hilfe für den tödlich getroffenen Bob einträfe. Seine Verzweiflung war echt. Als ob ein innerer Knoten in ihm platzte, schaltete sein verzweifelter Blick plötzlich auf kalt und entschlossen um. Nun musste er wohl doch eine schauspielerische Glanzleistung abliefern. Das Leben seines Chefs war beendet, er hatte es beendet.

      Bob war ein gewissenloses Schwein. Ein Unersättlicher, der trotz allen Reichtums nicht mit jemandem teilen wollte, der diesen Reichtum weiter vermehren konnte. Wegen dem sollte Oskars Leben nicht zerstört sein.

      Er sah auf den Toten mit dem zerschmetterten Gesicht.

      »Wer