Inga Kess

Endlich einmal kurze Geschichten


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wie ich war.

      Dieses Mal wurde Flicka, eine wunderschöne 20jährige Rappstute in die Halle geführt. Sie kam meinen Vorstellungen von Winnetous Rappen sehr nahe. Wo aber waren die anderen Reiter? Wo die Abteilung? Ich blieb der einzige Reitschüler. „Sind Sie neu hier? Sitzen Sie schon mal auf, die Stute ist ganz brav", begrüßte mich eine junge Dame, ein Lehrling des großen Meisters. Sie zeigte mir an dem Sattel einen kleinen Riemen Angstriemen oder auch Maria-Hilf-Riemen genannt, an dem ich mich ruhig festhalten könne. Die Stute war wirklich brav, sie ließ sich nicht von meinen Stiefelspitzen irritieren, blieb ruhig stehen. Als sie merkte, dass ich fertig war, drehte sie mit mir gemächlichen Schrittes ihre Runden.

      Die Hilfsreitlehrerin sagte „Terapp“ und verschwand. Gehorsam trabte Flicka an und trabte und trabte, ließ sich auch gut sitzen. Während der Longenstunde hatte mir niemand beigebracht, wie ein Pferd zu bremsen war. Nur daran denkend, wie schön das Reiten war, hörte ich im Unterbewusstsein den Regen prasseln. Irgendetwas schien sich plötzlich geändert zu haben. Die Stute schnaubte und rollte mit den Augen. Mit dem ersten Donnergrollen wurde mir bewusst, dass ein Gewitter aufzog. Um Gottes willen, ich war allein in der Halle. Was nun? Als ob die Stute auf einen Startschuss gewartet hätte, raste sie los. Gott sei Dank fiel mir der Maria-Hilf-Riemen ein. Festhalten konnte ich mich schon, aber ruhig bleiben? Die Stute raste Runde um Runde, meine Beine bollerten gegen ihren Körper, trieben sie dadurch immer mehr an. Die Rappstute trabte schneller und schneller. Heute weiß ich, starker Trab ist nichts dagegen.

      Der Reitlehrer war mittlerweile höchstpersönlich in der Halle erschienen und schrie von der sicheren Tribüne herab: „Nun geben Sie doch endlich einmal eine Parade, parieren Sie das Pferd doch durch!“ Wie sollte ich eine Parade geben, ohne zu wissen, was das ist und wie das geht. Noch hatte ich Zeit zu fragen: „Was ist denn das?“. Der große Meister aber raufte sich nur die Haare, brüllte: „Halten Sie endlich das Pferd an.“ Ich kreiste weiter Runde um Runde im Trab, hielt mich am Maria-Hilfsriemen fest und dachte: „Irgendwann muss doch der Sprit zu Ende sein.“

      Es kam noch schlimmer. Am Halleingang stand ein Transformatorenhäuschen. Ein Blitz schlug ein. Plötzlich glich Flicka einem Blitz. Ein erneutes Donnern und Flicka erschrak fürchterlich. Gebannt vor Schreck blieb sie stehen. Eine Stille breitete sich aus. Das Gewitter hörte so schnell auf, wie es gekommen war. Endlich konnte ich Flickas Zügel nachfassen und absteigen. Unfassbar: Flicka war nicht einmal einziges Mal angaloppiert. „Sie hatte wohl keine Galopphilfe bekommen", lästerte der Lehrling.

      Tür frei bitte zum Nikolausreiten!

      Nach etwa der dritten Reitstunde hieß es: Am Freitag ist Nikolausreiten! Alle machen mit! An einzelne Programmpunkte erinnere ich mich nicht mehr genau, einer ist mir jedoch im Gedächtnis geblieben. Jeweils ein Reiter musste an ein Tor reiten, vom Pferd absteigen, ein Tor öffnen, wieder aufsteigen, an eine Bar reiten, absteigen, einen Schnaps trinken wieder aufsteigen und dann mit den anderen um die Wette galoppieren. Wenn ich gewusst hätte, was alles auf mich zukommen sollte, hätte ich mich sicherlich geweigert mitzumachen.

      Zum Wettbewerb wurde mir das Riesenross Freya, jene 1,80 m große Fuchsstute, die mich zum Reiten lernen animiert hatte, zugeteilt. Das Auf- und Absteigen erwies sich als Problem. Aber schlau wie ich war, machte ich mir den linken Bügel länger, um besser aufsteigen zu können. Kaum saß ich oben auf dem Pferd, riefen die Zuschauer: „Galopp!“ Freya galoppierte los, obwohl ich während meines Reitunterrichtes noch nie galoppiert war. Am Gatter schrie das Volk: „ Brr!“ Mein Pferd stand. Ich sprang ab, öffnete das Tor, stieg auf. Wieder kam das Kommando von der Tribüne: „Galopp“. Brav galoppierte die Stute an, „Brrr!“ scholl es abermals von der Tribüne. Das Pferd stand, ich stieg ab, trank den Schnaps und wollte wieder aufsteigen. Diesmal dauerte die Prozedur wohl zu lange. Unversehens raste das Pferd los. Ehe ich mich versehen hatte, saß ich auf dem Boden. Das Volk grölte und nahm an, dass mein Sturz eine Schaueinlage gewesen sei.

      Irgendwie kam ich, mich am Angstriemen festhaltend wieder auf das Pferd. Es galoppierte nach Anweisung des Publikums - man glaubt es kaum - als erstes durchs Ziel. Mir zitterten die Knie.

      Die Strapazen waren jedoch schnell vergessen, die nächste Reitstunde war festgelegt. Aber es sollte noch schlimmer kommen.

      Die letzte Reitstunde im Nobelstall

      Wie gewohnt, führte ein Lehrling ein Pferd in die Bahn. Es war Freya, die große Fuchsstute, die ich schon kannte. Was war mit ihr geschehen? Ihr Fell hatte überall haarlose kreisrunde Löcher. Seltsam fand ich das schon. Heute weiß ich, dass die Stute Pilz hatte. Damals bekam ich lediglich die Anweisung, kein anderes Pferd anzufassen und nach dem Reiten meine Hände zu desinfizieren.

      Die Stunde begann ganz manierlich. Aber nach etwa einer halben Stunde wurde meine Fuchsstute warm, ihr Fell schien zu jucken. Plötzlich beobachtete ich wieder dieses Augenrollen, das kannte ich schon! Gewitter? Nein, strahlender Sonnenschein. Aus heiterem Himmel begann mein Pferd plötzlich zu bocken. „Reiten Sie doch vorwärts", erscholl die Stimme des Reitlehrers. „Können vor Lachen“, fuhr mir durch den Kopf. Ohne Rücksicht auf ihre Reiterin versuchte Freya, sich an der Bande zu scheuern. Zunächst verlief die Übung im Trab, dann im Galopp. Ich schoss von einem Hallenende zum anderen.

      Nach und nach verließen die anderen Reiter teils zu Fuß, teils auf dem Pferd sitzend, die Reithalle. Ich war also wieder allein -– wenn auch diesmal nicht ganz. Der Reitlehrer saß auf der sicheren Tribüne ….. Au! Schon wieder ein Stoß ins Kreuz. Plötzlich saß ich vor dem Sattel. Irritiert hielt die Stute kurz an. Ich setzte mich wieder dahin, wo ich hingehörte. Doch wieder begann Freya zu buckeln und war mittlerweile über und über mit weißem Schaum bedeckt. Nun versuchte die Stute, mich an der Bande abzustreifen. Jetzt hatte ich die Nase gestrichen voll. Ich wartete nur ab, dass sich die Stute in Richtung Hallenmitte drehte, und ließ mich runterfallen. Der Reitlehrer brüllte: „So geht das nicht!“ Das wusste ich auch.

      Nachdem Freya ihre Reiterin los war, raste sie wie von Furien getrieben auf die Bande zu, Scheuern an der Bande, von der Bande weg. Panik, Panik nicht nur beim Pferd, anscheinend auch beim Reitlehrer: „Fangen Sie Ihr Pferd ein“, forderte er mich von der Tribüne aus auf. Freya ließ sich weder beruhigen noch einfangen. Auch dass ein mutiger Lehrling mit einem Hafereimer in die Reithalle stürzte, nützte nichts. Alle Einfangversuche waren umsonst. Irgendjemand öffnete das Hallentor. Dort im Hof hatte man in Windeseile eine Gasse aus Strohballen gelegt. Durch diese Gasse lief das Pferd in den Stall.

      Kaum war die Stute sicher in der Box, ertönte hinter mir eine Stimme. „Wollen Sie Ihr Pferd nicht trocken reiten?“ „Muss ich das denn?“ fragte ich ganz verschüchtert. „Selbstverständlich“, kam auch prompt die Antwort des Reitlehrers. Selbstverständlich war das für mich zwar nicht, aber in meiner kurzen Reitpraxis hatte ich eins bereits gelernt: Der Reitlehrer hat immer recht.

      Voller Angst mit schlotternden Knien saß ich auf einem mit weißem Schaum bedeckten Pferd, ritt Schritt, nichts passierte mehr.

      Stolz, so mutig gewesen zu sein, trank ich im Reiterstübchen mein verdientes Bier und erwartete vom Reitlehrer ein dickes Lob für meine Tapferkeit. Der aber öffnete den Mund und sagte nur einen Satz: "Sie lernen das Reiten nie, Sie haben ja Angst“. Was hörte ich da?! In mir brach eine Welt zusammen.

      Ich ließ meine restlichen vier oder fünf Reitstunden verfallen. verfallen.

      Pferdemanie - Geschichten von Pferdemenschen für Pferdemenschen, Hrsg. Christian Behrens, Pferdoman Verlag, 2010

      Erzähl mir nichts vom Pferd, Geschichten einer Pferdenärrin, Manuela Kinzel Verlag, Göppingen, 1. Aufl. 2012, 2. Aufl. 2012, 3. Aufl.