Dennis Blesinger

OMMYA - Freund und Feind


Скачать книгу

      Ein kaum zu erkennendes Lächeln erschien auf dem winzigen Gesicht und die Fee schwebte langsam aus dem Raum.

      'Die anderen Aktivitäten' von Hansen bestanden in regelmäßigen Sitzungen mit Sahra, einer MIT-Absolventin und der IT-Expertin von OMMYA. Sahra war der wohl intelligenteste Mensch der Abteilung und eine der wenigen Personen, die hier angefangen hatten, ohne dazu mehr oder weniger gezwungen worden zu sein.

      Den wenigsten Menschen war bekannt, dass OMMYA überhaupt existierte. Vor circa neunzig Jahren hatte ein Vermessungstrupp der Stadt mehrere Entdeckungen gemacht. Zum einen befand sich unter der Stadt ein Kavernensystem, das jeglicher geologischen Logik widersprach. Mitten in diesem System hatte die kleine Gruppe darüber hinaus ein Tor entdeckt, das zu einer anderen Welt führte. Die dominierende Lebensart dort waren feuerspeiende Drachen und bisher war die einzige Form der Kommunikation mit diesen sagenhaften Echsen die gewesen, dass sie alles und jeden, der die Tür auch nur berührte, in ein Häuflein Asche verwandelt hatten.

      Im Laufe der Zeit hatten sie mehrere dieser Tore entdeckt, fast alle innerhalb der weitläufigen Höhlenanlage. Jeder dieser Übergänge führte in andere Welten, andere Dimensionen, die allesamt ihren Ursprung in der Phantasie der Menschheit hatten. Avalon, das Wunder­land, Shan-Gri-La und viele weitere Welten lagen nur einen Schritt entfernt, und mit ihnen all die Gegenstän­de, die in diesen Geschichten auftauchten. Im Lager von OMMYA wimmelte es von Artefakten, die sorgsam vor der Öffentlichkeit geheim gehalten wurden. Keiner ver­mochte sich vorzustellen, was passieren würde, wenn zum Beispiel die Büchse der Pandora in falsche Hände geriete.

      Sahra hatte ihren Abschluss in Informatik cum laude bestanden und hatte beim MAD gearbeitet, als sie schließlich während ihrer Arbeit auf das Netzwerk von OMMYA gestoßen war. Anstatt es ihren Vorgesetzten zu melden, hatte sie auf eigene Faust Nachforschungen angestellt und schließlich drei Wochen vor dem Eingang des Bürogebäudes campiert, das der Zentrale von OMMYA als Tarnung diente, bis René sie schließlich reingelassen und umgehend rekrutiert hatte.

      Im Moment war Sahra damit beschäftigt, Gleichungen zu entwickeln, die das Wie und Warum der interdi­mensionalen Übergänge entschlüsseln sollten. Zwar be­fanden sich mittlerweile über fünfzig dieser Übergänge in den Gewölben, aber nach wie vor wusste niemand so richtig, wie diese wirklich funktionierten und was sie dazu brachte, zu entstehen. Hansen hatte eines Tages aus Zufall einen Blick auf diese Gleichungen geworfen und wider Erwarten einen Teil davon verstanden. Seit­dem hatten er und Sahra das Projekt zusammen weiter­entwickelt. René gab nicht einmal vor, zu begreifen, was die beiden da machten. Alles, was über Integralrech­nung hinausging, ignorierte er und Begriffen wie Quan­tenphysik misstraute er zutiefst. Für ihn bedeutete die Verwendung von solchen Wörtern, dass die andere Par­tei nicht wirklich wusste, worum es gerade ging und an­fing, zu raten.

      Über die letzten Wochen hinweg hatte er ein unbestimmtes Gefühl entwickelt, dass sich das Miteinander der beiden über die berufliche Ebene hinaus erstreckte, aber das war ihm, im Gegensatz zu vielen anderen Un­ternehmensleitern, egal. Solange die Ergebnisse stimm­ten, konnte die Belegschaft seinetwegen regelmäßig Or­gien feiern. Jedoch ließ ihn der reine Gedanke an Sahra und Hansen regelmäßig schmunzeln. Während Sahra ei­nem hochklassigen Bademodenkatalog hätte entsprun­gen sein können, wies Hansen alle äußerlichen Merkma­le eines Geeks oder Nerds auf. Manchmal war Mutter Natur zum Glück für die jeweils Beteiligten einfach unlogisch.

      So ziemlich alle anderen Mitarbeiter von OMMYA hatten mehr oder weniger unfreiwillig Kontakt mit anderen Welten gemacht und die, die dabei nicht ums Le­ben gekommen waren, wie zwei der drei Entdecker des ersten Überganges – Drachen waren schon im besten Falle leicht reizbar – oder einen hysterischen Anfall erlit­ten hatten, waren vor die Wahl gestellt worden, für den Rest ihres Lebens eingesperrt zu werden, oder offiziell vom Erdboden zu verschwinden und eine neue Stelle bei OMMYA anzutreten.

      Da es sich bei OMMYA um eine militärische Abteilung handelte, bedeutet dies, dass alle, die hier arbeiteten und eine leitende Position innehatten, einen Offi­ziersrang besaßen. Niemand hätte dies je vermutet, da keiner hier Uniform trug und Salutieren als schlechter Scherz angesehen wurde. René hatte seine Uniform das letzte Mal getragen, als sie Besuch von einem der weni­gen offiziellen hochrangigen Vertreter des Militärs be­kommen hatten, der über die Einrichtung Bescheid wusste. Aus diesem Grund hätte ein Außenstehender leicht denken können, bei OMMYA handelte es sich um ein privates und – oberflächlich gesehen – erstaunlich lax geführtes Unternehmen mit einer ungewöhnlichen Spezialisierung: Die Sicherung und Verwaltung von ma­gischen und mystischen Artefakten.

      René selbst hatte es vor mehr als 12 Jahren hierher verschlagen, nachdem er einen ungeplanten dreimonatigen Urlaub auf Shan-Gri-La verbracht hatte. Der Baum, in dem sich der Übergang befand, stand seitdem in den Kellergewölben, damit niemand, der ebenfalls zufällig dorthin gelangte, auf die Idee kam, dort Jagen zu gehen.

      René blickte auf die Uhr. Es war schon 17 Uhr durch, was bedeutete, dass er rein theoretisch gesehen Feierabend hatte.

      Das war hier allerdings so eine Sache für sich. Vierundzwanzig Stunden am Tag trafen Meldungen in der Zentrale ein, die von überall auf der Welt stammten. Diese Meldungen beinhalteten Sichtungen von Zwer­gen, Feen, Außerirdischen, Monstern und dergleichen, und sofern sich hinter einer dieser Meldungen nicht ein geistig Verwirrter oder jemand im LSD-Rausch befand, war es die Aufgabe aller Mitarbeiter, dafür zu sorgen, dass dieser Meldung nachgegangen wurde. Der Tag war allerdings einigermaßen ruhig verlaufen und Halloween war erst morgen. Entsprechend hatte René die Gunst der Stunde genutzt und sich mit Rebecca Schäfer verab­redet. Wenn das Schicksal ihnen beiden hold war, wür­den sie vielleicht sogar noch einen Film ansehen kön­nen, bevor die nächste Katastrophe über sie herein­brach.

      Besagte Freundin, Rebecca Schäfer, war einer der wenigen OMMYA-Mitarbeiter, die weder einen Offiziersrang besaßen, noch überhaupt hier angestellt wa­ren. Genaugenommen war sie die erste und wahrscheinlich auch letzte freie Mitarbeiterin der Abteilung. Als vor anderthalb Jahren eines der Artefakte kurzfristig abhanden gekommen war, hatte es keine zehn Minuten gebraucht, bis die Polizistin Rebecca Schäfer es in die Finger bekommen und aus Versehen den Weltunter­gang eingeleitet hatte.

      Die Ereignisse von damals hatten eine Bindung zwischen ihr und René entstehen lassen, die allerdings ein wenig Zeit gebraucht hatte, um sich zu entwickeln. Kei­ner der beiden hatte jemals ernsthaft eine Beziehung mit dem anderen in Betracht gezogen, und in den Wochen nach dem abgewendeten Weltuntergang hatten sie mehr Zeit damit zugebracht, sich zu streiten, als mit etwas anderem. Alle anderen in der Abteilung waren gerade wegen der Streitigkeiten lange Zeit der Meinung gewesen, dass die beiden seit den Geschehnissen von damals ein Paar wären. Als Jochen René eines Tages auf diesen Sachverhalt angesprochen hatte, war René in schallendes Gelächter ausgebrochen.

      »Bist du nicht ganz dicht?«, hatte seine Antwort gelautet. »Nicht mal ich würde mit mir zusammen sein wollen.« Bevor Jochen seine Überraschung überwunden hatte, war René fortgefahren. »Als wir uns kennengelernt haben, hatte sie gerade ihren Mann verloren. Das ist schon mal ein denkbar schlechter Zeitpunkt, um et­was Neues anzufangen.«

      »Gut, aber – «

      »Nichts aber. Danach habe ich sie mehreren traumatischen Erlebnissen ausgesetzt, die darin gegipfelt ha­ben, dass sie dachte, ihr würde der Schädel bei einem Zweikampf zerschmettert werden. Von der weißen Tür will ich gar nicht reden.«

      Die Traumata, um die es ging, hatten alle ihre Berechtigung gehabt, da sie seinerzeit unter Zeitdruck ge­standen hatten. Bis zum Ende des Universums waren es weniger als vierundzwanzig Stunden gewesen und eine einfühlsame Herangehensweise an die Dinge hätte deutlich länger gedauert. Dennoch blieb die Tatsache, dass es eine lange Zeit gebraucht hatte, bis Rebecca René voll und ganz verziehen hatte, was er damals alles mit ihr angestellt hatte. Und René konnte dies verstehen. Er hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, wenn er an die Geschehnisse von damals dachte.

      »Glaub mir«, hatte er die Diskussion damals beendet, »wenn wir uns unter anderen Bedingungen ken­nengelernt hätten, hätte da vielleicht was draus werden können. Aber so, wie die Sache gelaufen ist, kann ich froh sein, dass sie mich nicht hinterrücks niedergeschossen hat,