Friedrich Wulf

Curry, Senf und Ketchup


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Und schon sieht Max in seinem Hirnkino, wie ein besoffener Kahlkopf den Mülleimer mit einem „Ausländer“ verwechselt oder was sonst so ein Kerl zu treten liebt. In einem anderen Film ist es eine Schar von findigen Waschbären, die den Müllbehälter kippen, um sich leichter mästen zu können. Auf die Idee ein wutentbrannter Intellektueller hätte sich dort ausgetobt, auf den Film kam Max nicht.

      Während die Maschine Kaffee in die Kanne röchelte, hatte Fritz einige Male über die Schulter geschaut, sofort aber wieder den Fortgang des Kaffeebrühens beobachtet. Endlich riss er die Kanne aus der Maschine. Max trat einen Schritt zurück und Fritz schleuderte einen Liter in seinen Krug. Fritz war ein äußerst geübter Kleckerkünstler. Und das Zeug war klebrig. Im Sommer benutzte Fritz die Kleckse als Fliegenfänger.

      „Dein Vergewaltiger wartet“, sagte Fritz.

      „Was ist das für einer?“, fragte Max.

      „Nun erzähl ihm endlich den Witz“, sagte August. Fritz Zippel mochte einen halben Liter Kaffee intus haben, als er endlich seinen Witz erzählte, wozu man ihn normalerweise nicht bitten musste.

      „Ein Mann kommt in eine Baguetterie und sagt: ‚Ich hätte gern ein Putenbaguette.’ Der Verkäufer darauf: ‚Wir haben keine Pute.’ ‚OK’, sagt der Mann, ‚dann nehme ich Hühnchen.’ Der Verkäufer: ‚Hören Sie zu Mann, wenn wir Hühnchen hätten, dann hätten Sie jetzt Ihr Putenbaguette.’”

      „Dein Vergewaltiger wartet“, sagte Fritz.

      „Was ist das für einer?“, fragte Max.

      „Bereitwillig zur Aussage, ein Rechtsanwalt. Du wirst deinen Spaß haben!“

      „Rechtsanwalt, weiß ich auch, aber hat er, was meinst du?“

      „Klar, ist ein..., nein nein, bin ich denn Hellseher?“

      Bevor du zum Verhör gehst, vergiss die Meditation nicht, war Maxens Motto. Wer sich aus der Reserve locken ließ, hatte schon verloren. Kälte und Geistesgegenwart waren vonnöten und dazu brauchte er eine Droge von anderem Kaliber als Kaffee.

      Das „Herein“ klang eigentümlich gequetscht. Gehst du zu Vorgesetzten und ähnlichen Bestien, stelle sie dir in langen Unterhosen vor, dachte Clarissa, riss die Tür auf und stürzte in das Büro von Max, der nicht hinter dem Schreibtisch saß, nicht darauf und auch nicht auf dem Boden. Er lag auch nicht auf dem Schreibtisch. Sie machte noch ein Schrittchen und stand still. Die Augen aufgerissen wie eine nachtaktive Giraffe, blickte sie zu seinen Füßen hinauf, fand seinen Kopf auf dem Boden und drehte ihren so weit zur Seite, wie Max es nur bei Gummimenschen gesehen hatte. Schon in diesem Augenblick wusste Clarissa, dass sie diesen Augenblick niemals vergessen würde und sie wusste auch, dass die Erinnerung daran immer mit dem Gedanken verknüpft sein würde, wie blöd ihr erster Eindruck gewesen sein mochte, als ihr das Maul aufgeklappt war und sie Max Berger angegafft hatte. Sie musste ausgesehen haben wie jener Dorftrottel in den tiefen Sechzigern, als er vor Staunen fast in den Fernseher gekrabbelt wäre. Hatte auf den Namen Heinrich gehört und war beim Anblick der Flimmerkiste beinahe hineingekrochen. Auf den Zuruf aus etwas größerem Abstand könne er viel besser sehen, sei er zwei Schritte zurückgegangen, um im nächsten Moment wieder drei vorzugehen. Ihr Vater liebte die Geschichte und meinte, wir hätten das Staunen vergessen. Aber das stimmte nicht, denn Clarissa staunte und lächelte endlich. Denn Max Berger stand Kopf.

      Lächerlich haarlose Unterschenkel reckten sich aus den auf die Knie gerutschten Hosenbeinen. Keine langen Unterhosen. Zwanzig Zentimeter über ihrer Augenhöhe hingen makellose Mokassins in der Luft. Seine Socken so rostbraun wie die Schuhe. Die Unterhosen waren nicht nötig, ihr Chef sorgte selbst dafür sich lächerlich zu machen, wie er da auf dem Kopf stand und die käsigen Unterschenkel zur Schau stellte. Wann würde sie wieder Gelegenheit bekommen auf ihn runterzuschauen? Es war so schön sich überlegen zu fühlen.

      Max sah das anders. An der Schuhspitze ihres linken Fußes konnte Schuhcreme eine klaffende Schramme nicht kaschieren. Von den Schuhen, die Beine hinauf glitt Maxens Blick über Clarissas Bauch zu ihren Brüsten. Donnerwetter! Wohl fünf Sekunden lang lag sein Blick mit interesselosem Wohlgefallen auf Clarissas Brüsten. Dann blickte er in putzige Nasenlöcher.

      Langsam verlor sich die Blödheit ihres Mundes im immer weiter werdenden Lächeln, als würde sie ihn in langen Unterhosen sehen. „Noch fünfzehn Sekunden“, quetschte Max heraus.

      Er schloss die Augen und schien etwas zu murmeln. Clarissa zählte bis fünfzehn. Max klappte zusammen. Zwei drei eckige Bewegungen und seine Knie knallten auf den Boden. Er rappelte sich hoch, wie einer der Yoga nötig hatte, irgendwie winklig wie das Sony-Hündchen Männchen machte. Er streckte beide Arme in die Luft, sein rechter Arm wurde teleskopartig immer länger, als wollte er Kokosnüsse pflücken.

      Seine Strahleaugen passten nicht zu seinen Mundwinkeln, die den ausgestreckten Arm kommentierten: Keep your distance!

      „Clarissa Klabund.“

      „Mit dem Schriftsteller verwandt?“

      „Nein, ich heiße wirklich Klabund.“

      „Wie?“

      „Klabund war der Künstlername von Alfred Henschke.“

      „So, so“, sagte Max und zählte die Ringe in ihrem linken Ohr.

      „Und Sie? Verwandt mit Senta?“, fragte Clarissa.

      „Können Sie schweigen?“

      „Klar!“

      „Nein!“

      „Doch, kann ich!“

      „Nein, bin nicht mit ihr verwandt.“

      „Warum soll ich dann schweigen?“

      „Sind Sie Polizistin?“

      „Ja!“

      „Finden Sie es heraus.“

      Clarissa nahm sich vor, seinen Mund zu beobachten, wenn sie wissen wollte, was er meinte. Die Zuckungen seiner Mundwinkel verrieten ihn.

      Am rechten Ohrläppchen von Clarissa baumelte eine Art Mobile. Elf immer größer werdende Ringe liefen ihren linken Ohrrand hinauf. Das war sie. Diese durchlöcherte Libelle sollte seine neue Mitarbeiterin sein. Na Prost! Zu jung! Alles noch schön symmetrisch im Gesicht, keine einseitige Verzerrung der Schnute. Auch keine durch einseitiges Hochziehen auf die Stirn gerutschte Augenbraue. Allein zum Abküssen des Halses brauchst du 33 Minuten, dachte Max.

      Wenn sie unsicher war, stellte Clarissa sich die Leute unter der Dusche vor mit ihren Faxen und albernen Ritualen oder beim Scheißen und Abwischen. Machte die Menschen verletzlich und lächerlich. Berger gehörte wohl nicht zu den Leuten, die aus dem Duschen ein Gesamtkunstwerk machten. Und trällerte auch keine Lieder von Albers oder den Beatles. Exaktes Einseifen und dann mit dem Strahl den Dreck runter. Basta! Effizient und ohne Brimborium.

      „Kommen Sie mit“, sagte Max, „ein Verhör, Anklage wegen Vergewaltigung.“ Er hoffte, der Kerl würde ein übler Rohling, ein aus einem Kadaverkopf gezerrter Aal sein. Glitschiger Schrecken sollte ihr ins Gebein fahren. Er würde schon herausfinden, warum Hollerkoop unbedingt wollte, dass er mit diesem perforierten Früchtchen zusammenarbeiten sollte.

      Clarissa war glücklich, dass sie sofort ernst genommen wurde, gleich mitmachen durfte, wenn es heikel wurde. Gleich ein Vergewaltiger, so ein Testosteron-Opfer, das war nach ihrem Geschmack. War ein bisschen schroff und kurz angebunden, dieser Berger, aber hinter der ersten Wirklichkeit gab es mindestens noch eine zweite oder dritte; sie war katholisch genug aufgewachsen um das zu wissen. Mit einem Wort, sie fühlte sich tief willkommen.

      „Basketball oder Rugby“, fragte Max, als er links rechts, rechts links nicht an ihr vorbeikam.

      Fritz stand in der Bürotür. „Max es wird Zeit, der Kerl wird unruhig. Und Sie, wer sind Sie?“, fragte Fritz, der natürlich wusste, wer sie war.

      „Ja aber, Sie sind doch informiert, dass ich heute anfangen würde.“

      „Junge