Friedrich Wulf

Curry, Senf und Ketchup


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übel.

      Er musste achtgeben, dass das feuchte Früchtchen nicht zusammensackte, mit Blut und Hirn war zu rechen. Unzumutbar eigentlich für jeden Anfänger. Er war aufgewachsen mit verblutenden Menschen. Aber den Ekel, die Abscheu vor dem schmierigen Tod hatte er kaum mindern können. Andererseits wäre das eine Gelegenheit sie abzuschrecken, vielleicht kam sie zur Einsicht, dass die Mordkommission nichts für sie war. Problem gelöst, andererseits war da dieses dralle Donnerwetter.

      Sie wolle unbedingt mit, deswegen habe sie sich ja schließlich für diesen Job entschieden, um Morde aufzuklären, hatte sie am Telefon gesagt. Und wenn sie Morde aufklären wolle, dann ginge das irgendwie nicht ohne Leichen ab. „Oder?“, hatte sie gekontert. Die Logik war auf ihrer, seine Stellung als Vorgesetzter auf seiner Seite.

      Aber das hält die nicht aus, die bricht mir zusammen, dachte Max. Er kannte sie erst seit drei Tagen. Gut, wenn sie unbedingt wollte, sollte sie doch mitkommen und umkippen. Erfahrung macht hart, ob auch klug, das war eine ganz andere Frage.

      Vor drei Tagen das Verhör des möglichen Vergewaltigers. Das war kein schlechter Anfang gewesen und jetzt ging es schon zu ihrem ersten Mordfall.

      Clarissa betrachtete Berger aus den Augenwinkeln und fragte sich, als sie bei den Schuhen angekommen war, wovon er mit den spiegelnden Tretern ablenken wollte. Überhaupt traute sie einem Mann eigentlich keinen Geschmack zu in diesen Dingen, schwule Modedesigner mal ausgenommen, und folgerte, dass hinter seiner Fassadengestaltung entweder eine Frau oder professionelle Beratung steckte. Sie würde schon dahinter kommen.

      Es gab so Sätze und Fragen, die sie sich für ihre Arbeit bei der Mordkommission zurechtgelegt hatte: Wovon wollen die Leute ablenken mit dem, was sie von sich zeigen? Will er mit seinen schlabberigen Cordhosen vom Storchengang ablenken? Was soll das Sichtbare verbergen? Zwar flusenfreie Oberfläche, aber darunter ein chaotischer Geist?

      Sie hatte Zeit und würde auch herausfinden, weshalb er so blass war und warum er jetzt Perlchen von seiner Oberlippe wischen musste. Er schwitzte.

      Max konzentrierte sich ganz aufs Fahren, folgte den Lichtbalken der Scheinwerfer, als führe er auf Schienen.

      Obgleich er ihr angespannt erschien, zuckten selbst jetzt Fältchen der Verschmitztheit in seinen Mundwinkeln, sozusagen um ihrer selbst willen, ganz ohne Wirkungsabsicht. Dass es so was noch gab. Berger tupfte seine Oberlippe trocken mit einem Stofftaschentuch. Clarissa machte einen kleinen Hüpfer in die Zukunft, in der sie sofort nach dem Taschentuch tauchen wird, sollte er es fallen lassen, um die Wette mit sich selbst zu gewinnen, dass in einer Ecke ein gesticktes MB zu finden war.

      Clarissa war kalt vor Aufregung. Sie zitterte vor Anspannung und ein kalter Schweißtropfen rollte aus ihrer Achselhöhle. So lange hatte sie darauf gewartet, auf ihren ersten Mord.

      „Sie halten sich zurück, bis die Leiche - ich möchte nicht, dass Sie umkippen“, sagte Max.

      „Nur, wenn ich mitsehe, kann mir was auffallen“, sagte Clarissa.

      „Stimmt“, sagte Max.

      „Ich kann also mit?“

      „Nein, Sie halten sich zurück.“

      „Aber wenn ich nicht sehe, wie er ermordet wurde, dann kann ich nicht...“

      „Was erwarten Sie?“

      „Wo der Professor getroffen wurde.“

      „Werde ich Ihnen sagen.“

      „Was man sieht, ist tatsächlicher, vielfältiger, genauer...“

      „Sie meinen blutiger...“

      „Der Einschusswinkel, und so...“

      „Kann man nicht sehen, müssen uns die Gerichtsmediziner liefern.“

      „Wie er liegt und wo genau er getroffen wurde, wie er kuckt, vielleicht hat er den Täter noch erkannt.“

      „Und das lesen Sie dann in seinen Augen?“

      „Ja, schon möglich.“

      Anders als seine Kollegen, die den Tod nur vom Hörensagen kannten, war Max mit dem Tod auf Du und Du aufgewachsen. Dennoch hatte er sich nicht an den Anblick von Toten gewöhnen können.

      Blätter huschten über den Parkplatz wie tanzendes Getier. Max liebte den Herbst, wenn Regen gegen die Fenster pladderte, die Vögel verstummt waren und wenn an besonderen Tagen der Geruch von Kartoffelfeuern von der Egge herunter in die Stadt wehte.

      „In welchem Zustand war der letzte Tote, den Sie gesehen haben?“, fragte Max.

      „In gar keinem“, antwortet Clarissa.

      „Hinweggeschlummert, ganz passabel anzugaffen?“

      „Nein, ich habe noch nie einen Toten gesehen.“

      „Dann bleiben Sie im Hintergrund. Sonst...“

      „Ich möchte nicht geschont werden, bin ich bei der Mordkommission oder was? Ich werde es überleben.“

      „Überleben, überleben! Sicher überleben, oder haben Sie einen Herzfehler?“

      „Ich will keine schöne, sondern eine wirkliche Leiche“, sagte Clarissa.

      „Bitte sehr“, sagte Max und Clarissa bemerkte, dass er schon wieder in die Innentasche seiner Jacke griff, zum dritten oder vierten Male.

      Vor dem Hörsaal C2, gegenüber der Bibliothek, dröhnten Studenten im Pulk. „So was gibt es doch nur in drittklassigen Krimis, Mord in der Uni“, hörte Max eine Studentin sagen. Seine spitzen Ellbogen halfen ihm ganz ungemein, sich einen Weg durch die Meute zu bahnen. Max trat in den Hörsaal und fand sich am oberen Rand einer fensterlosen Betonschachtel. Über abfallende Stuhlreihen lief sein Blick zur Plattform hinunter. Eine Leinwand verdeckte einen Teil der graugrünen Tafel. Für diese Augenblicke hatten die Yogaübungen auch nicht geholfen, sich aber selbstständig gemacht als zweimalige, dreimalige tiefe Zwerchfellatmung.

      Vor einer Stunde noch hatte der Kerl da unten seine Studenten mit Weisheiten gefüttert. Zumindest konnte Max sicher sein, dass noch keine Maden in den Augenhöhlen wimmelten, noch keine Schnecken am schleimigen Fleisch saugten. Er fasste in die Tasche, nein, er hatte sie nicht vergessen wie beim letzten Male. So peinlich, so verdammt peinlich.

      Einmal hatten sich Mäuse in die Bauchhöhle einer Leiche eingenistet. Oder hatte Benn ihm das erzählt? Entsetzlich, wenn Fliegenschwärme vom Unterleib aufstiegen und sich im matschigen Gesicht wieder niederließen. Zum Kotzen, wenn sie nur noch Stücke fanden, hier eine Hand und aus dem Tümpelschlamm zog man den abgetrennten Kopf, glitschig und angenagt.

      Eine Leiche, in einer Plastikplane eingewickelt, hatte im flachen Wasser gelegen und vermutlich an besseren Tagen zu viele Horrorfilme gesehen. Jedenfalls ließ sie es sich nicht nehmen selbst jetzt noch als mausetotes Skelett ein übles Horrorklischee nachzuäffen, indem der rechte Knochenarm aus der klaffenden Plane hoch in die Luft griff, um dann klappernd auf dem Plastikwickel zusammenzuklappen. Grässlich!

      Aber wenigstens war das Blut verschwunden, das verfluchte Blut, wenn die Leichen schon länger gammelten. Max fasste in die Innentasche seines Jacketts. Zum sechsten Mal. Clarissa hatte mitgezählt.

      Max blickte zur Seite, schaute ihr in die Augen, sah ihren Willen und ihre zusammengepressten Lippen und wusste, was zu tun war, wenn sie schlappmachte. Einfach hinklatschte. Er würde vorgehen und sich die Sache ansehen. Wenn sie dann unbedingt wollte, sollte sie doch. Zwerchfellatmung, zweimal, dreimal.

      „Ich winke Sie runter, warten Sie hier oben einen Moment“, sagte Max und nahm jede Stufe, als würde er zur Hinrichtung geführt. Die ersten zehn Sekunden oder so musste er überstehen, dann hatte er gewonnen, dann konnte er sich um die Details kümmern, und wenn er die Details hatte, konnten die Spurensammler den Rest erledigen.

      Wenn dies ein Film wäre, dann würde die Kamera jetzt den gekrümmten Mann zeigen neben der Leinwand im Kreidestaub auf grauem Linoleumboden. Der Schwenk zurück zu Max läuft über die Seitentür. Das Leuchtschild darüber