Myron Bünnagel

Schmutzige Hoffnungen


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und lächelte zögerlich, als ließen sich die Gedanken nur mühsam aus ihrem Kopf verscheuchen. „Sie sehen anders aus ohne die Uniform.“

      „Ich trage schon lange keine mehr.“

      „In Vaters altem Arbeitszimmer hängen ein paar Bilder, aber alle zeigen Sie nur als Soldat, Mr. Corbin.“

      Donald trat zu ihnen, trank einen tiefen Schluck und leckte sich über die Lippen. „Ira meinte, Sie wären im Krieg schwer verwundet worden?“

      Ray nickte und legte eine Hand an seine linke Seite, kurz oberhalb der Hüfte. „Das war in Frankreich, ’44. Ein deutscher Heckenschütze hat mich durchlöchert.“

      Cora sah ihn mit ihren verschleierten blauen Augen an: „Vater hat Ihnen das Leben gerettet, stimmt es?“

      „Ja. Er war ein tapferer Mann, Ihr Vater.“

      Über das Gesicht der jungen Frau huschte ein Schatten. Ray überlegte und versuchte sich an Coras Alter zu erinnern. Wenn er sich nicht täuschte, musste sie neunzehn oder zwanzig sein.

      „Zwanzig“, lachte sie, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Der Schatten war aus ihrem Gesicht verschwunden, aber eine dauerhafte Andeutung davon blieb in ihren Augen bestehen. Ein Splitter aus Trauer, Enttäuschung oder Verbitterung im klaren Blau.

      Etwas stach ihn in den Nacken und Ray schlug danach. Als er seine Hand betrachtete, war ein wenig Blut an seinen Fingern. „Verdammte Viecher“, knurrte er.

      „Die Mücken sind dieses Jahr eine Plage. Aber mir macht das nichts, sie stechen mich nicht.“ Donald reichte ihm ein Taschentuch.

      Cora knuffte dem Jungen in den Arm: „Das liegt daran, dass du selbst eine Mücke bist, Donny. Eine große, starke Mücke, die mir ins Netz gegangen ist.“

      Er errötete heftig und warf Ray einen hastigen Blick zu: „Lass das, Cora.“ Ein Hund trottete die Treppenstufen hinauf. Es war ein Dalmatiner, mit zwei großen Flecken auf der Schnauze. Er schnupperte kurz an Ray, dann legte er sich vor Donalds Füße. „Und das ist Dot“, verkündete er stolz und tätschelte dem Tier den Kopf.

      Die Tür zur Veranda öffnete sich. Ein helles Rechteck fiel auf den hölzernen Boden. Und darin zeichnete sich die Silhouette einer Frau ab. Ray betrachtete erst den Schatten, der einen Augenblick lang dalag wie gemalt, dann sah er die Besitzerin an, um sich zu vergewissern, dass der Umriss auf dem Boden kein bloßes Schattenspiel war. Das Auffälligste an Ira Reed war ihr ausgeprägter Busen, dessen Kontur noch durch ihren kleinen Wuchs hervorgehoben wurde. Das dunkelgrüne Kleid schien an seine Grenzen gelangt zu sein und spannte bedenklich darüber. Der Rest ihres Körpers war wohlproportioniert, rund und fest. Ihr Gesicht war blass, mit einigen Sommersprossen auf der Nase und blondem, vollem Haar, das sich in halblangen Locken über ihre Ohren und Stirn ergoss. Ihre Augen waren grün, mit Sprenkeln durchsetzt.

      „Mr. Corbin.“ Sie hielt sie ihm in einer zierlichen Geste die Hand hin. Ihre Haut war warm und weich.

      „Mrs. … Reed.“ Eine winzige Pause zwischen beiden Worten.

      Ira Reed bemerkte sie, legte für einen Augenblick die Stirn in Falten, um sofort darauf verstehend zu lächeln. „Nennen Sie mich Ira, das ist vielleicht besser.“

      Ray fing ihr Lächeln auf und erwiderte es: „Gern.“

      „Kommen Sie ins Haus. Sie sind sicherlich müde von der Reise.“ Sie trat zur Seite, um ihn vorbeizulassen.

      „Mein Gepäck …“

      „Tony wird sich schon darum kümmern. Sind Sie hungrig?“

      „Kaum. Ich habe während der Zugfahrt im Speisewagen gegessen.“ Er ging an ihr vorbei ins Haus, so dicht, dass er sie beinahe berührt hätte. Dabei streifte ihn ein Duft, der an frische Pfirsiche erinnerte.

      Der Flur war hellgelb tapeziert. Eine weiße Holztreppe führte nach oben, vier Türen zweigten in andere Räumlichkeiten ab. An den Wänden hingen Gemälde von Wildvögeln, Flugstudien.

      „Es ist schon spät. Ich glaube, es ist das Beste, wenn sich Donald jetzt verabschiedet.“ Ira wandte sich an Cora.

      Ray konnte förmlich spüren, wie das Mädchen zu einer Entgegnung ansetzte, diese aber nicht aussprach. Er war sich sicher, dass ihr Blick auf seinem Rücken ruhte. „Ist gut, Ira. Wir wollen uns nur verabschieden.“ Die Wärme, die eben noch in ihren Worten gelegen hatte, war einer eisigen Kälte gewichen.

      „In Ordnung. Aber nicht zu lange.“ Die blonde Frau schloss die Tür und lehnte sich für einen Moment dagegen. Ray beobachtete sie. Schuldbewusst zuckte sie mit den Schultern und setzte wieder ihr Lächeln auf. „Das ist nicht so einfach zwischen Cora und mir, wie Sie sich vielleicht denken können, Ray.“

      „Ich habe nie Kinder großgezogen“, antwortete er.

      Sie seufzte. Dann stieß sie sich ab und kam auf ihn zu. Ihr Gang war weich, ihre Hüften wiegten sich ganz sachte im Takt einer nur ihr zugänglichen Musik. „Wollen Sie sich frisch machen? Oder lieber gleich zu Bett gehen?“ Ihre grünen Augen musterten neugierig sein Gesicht.

      Ray brauchte einen Moment, bis er antworten konnte. Wieder stieg ihm ihr Duft in die Nase. „Ich bin noch nicht müde. Aber für etwas Wasser und Seife wäre ich dankbar.“

      „Das können Sie gerne haben. Und nicht nur das. Ich habe Ihnen das Gästezimmer herrichten lassen. Zudem steht in der Küche noch etwas kalter Braten.“ Sie ging an ihm vorbei und stieg die Treppe hinauf. „Kommen Sie mit, Ray.“

      Er folgte ihr langsam. Beinahe zwangsläufig legte sich sein Blick auf ihre Beine, deren weiße Haut unter dem grünen Stoff hervorschaute. Und auf ihre Fesseln über den glänzenden, schwarzen Schuhen. Als sie die oberste Stufe erreichte, sah sie sich nach ihm um und schenkte ihm ein Lächeln. In ihren Augen glitzerte es.

      „Das Bad ist hier. Ein Handtuch und Seife liegen auf der Anrichte.“ Sie öffnete eine Tür und winkte ihn in ein geräumiges Badezimmer. Hellgrüne Fliesen, eine gusseiserne Wanne auf Löwenfüßen, ein schwerer, brauner Tisch mit eingelassener Waschschüssel und ein mannshoher Spiegel gegenüber dem Eingang.

      „Ich warte unten auf Sie, Ray.“ Wieder klang es, als bette sie seinen Namen auf ihrer Zunge. Dann schloss sie die Tür.

      Sein Ebenbild im Spiegel warf ihm einen fragenden Blick zu. Er zuckte die Schultern und ließ kaltes Wasser in die Schüssel laufen. Er erinnerte sich daran, dass Jasper Reed viel Geld dafür ausgegeben hatte, fließendes Wasser und Strom in dieses Haus zu kriegen. Nach den Schützengräben in Frankreich hatte sich Jasper geschworen, niemals mehr einen Tag lang ungewaschen zu bleiben. Ray wusch Hände und Gesicht und versuchte sich seinen Freund in diesem Badezimmer vorzustellen. Es fiel ihm schwer. Sieben Jahre verwischten die Bilder in seinem Kopf. Er ließ die Hände im kalten Wasser und legte die Stirn gegen das kühle Glas des Fensters über dem Waschbecken.

      Die Anstrengungen der Reise machten sich bemerkbar. Als wäre er zu Fuß die Jahre bis vor dem Krieg zurückgegangen, um festzustellen, dass es das Damals nicht mehr gab. Erinnerungen an Jasper und Eve stiegen in ihm auf, aber sie blieben unscharf, wie ein schlechter Film, und stumm. Er konnte keinen Ton dazu finden, keinen Klang und kein Gefühl dazu.

      Von draußen hörte er Stimmen. Worte, die in seine Gedanken sickerten und ihm die unsteten Bilder unweigerlich entgleiten ließen. Lautlos öffnete er das Fenster einen Spalt weit und blickte hinaus. In der Dunkelheit glomm das Licht der Veranda, aber das Fenster lag zur östlichen Seite des Hauses, so dass er Cora und Donald nicht sehen konnte.

      „… keine Lust auf deine ewige Eifersucht, Donald!“

      „Ich und eifersüchtig? Ja, vielleicht. Aber ich habe auch allen Grund dazu. Du schmeißt dich an jedes Hosenbein, das vorbeikommt.“

      „Du bist gemein. Und es stimmt nicht. Er ist ein alter Freund der Familie.“

      „Das bedeutet nicht, dass du ihm schöne Augen machen musst.“ Donalds Worte waren voller Wut.

      „Ich habe nun einmal schöne