A.B. Exner

Kollateraldesaster


Скачать книгу

      „Sie bleiben hier. Sobald es hell ist, gehen wir auf die Suche. Geben Sie mir bitte die Telefonnummer von dieser Firma, wo man hier Panzer fahren kann.“

      Immerhin hatte er bitte gesagt.

      „Weigelt, haben Sie die Personalien von der Doppelkopfrunde?“ Der Uniformierte bestätigte mit einem Kopfnicken. „Dann lassen Sie sich hier in fünf Stunden wieder sehen und suchen nach den Vorgaben von Herrn Lachmann nach Spuren der Ruhestörer.“ Und an den Rostocker gewandt: „Gute Nacht, Herr Lachmann. Sie hören von mir.“

      Der stand auf, ging zu seinen Freunden und machte sich ein Bier auf.

      Der nächste Morgen, 08:00 Uhr

      „Hier Weigelt.“, das Telefon ans Ohr geklemmt schritt Weigelt durch den Bördesand. „Herr Kommissar, wir haben drei Patronenhülsen gefunden.

       Die wurden bestimmt heute Nacht abgefeuert. Sie riechen noch. Es sind jede Menge Fußspuren zu sehen und die Spuren eines, mit Geländereifen bestückten, Fahrzeugs. Und Herr Lachmann lässt fragen, ob denn das Panzerfahren nun ausfällt?“

      „Der Lachmann soll mal schön die Füße stillhalten. Weshalb haben Sie denn nur drei Hülsen gefunden? Ich denke da fand ein regelrechtes Nachtgefecht statt?“

       Er legte die Füße auf den Tisch, langte nach seiner Kaffeetasse und wartete auf die Antwort.

       „Wir gehen davon aus, dass die Hülsen absichtlich eingesammelt wurden. Vermutlich wurde ein Hülsensack verwendet. Der wird an die Waffe gespannt um die leeren Hülsen einzusammeln. Außerdem wurde in den Himmel geschossen, um keine Spuren des Mündungsfeuers im Sand und an den Pflanzen zu hinterlassen. Das sagte mir zumindest eben der Herr Lachmann.“

      Schuh prustete seinen Kaffee auf sein Hemd. „Was macht der Mann bei Ihnen?!“

      „Er hat uns sehr geholfen. Wusste genau, wo wir lang laufen sollen. Hat die Patronenhülsen unter Blättern gefunden...“

      „Sind Sie irre?! Wer ist denn hier eigentlich der Wachtmeister? Weigelt, machen Sie Fotos, sperren Sie fünfzig Meter um die Fundstelle ab und kommen Sie mit Lachmann hier her! Aber pronto!“

       Er knallte den Hörer auf das Telefon. „Da nimmt der den Lachmann mit. Den einzigen verbliebenen Waffenexperten des Warschauer Vertrages. Ich werde irre.“

      „Weshalb wirst du irre?“ Herbert Rother, Kriminalkommissar Schuhs Vorgesetzter, stand in der Tür.

      „Herbert, ich hab eine Nacht hinter mir, das glaubst du nicht. Komm rein, ich erzähl es dir.“

      Zwei weitere Stunden später im Kriminalkommissariat Magdeburg

      „Guten Tag Herr Lachmann, mein Name ist Rother. Können Sie mir das alles Mal erklären.“

      Lachmann suchte noch nach einer bequemen Sitzposition in dem Besuchersessel. „Also, eh, darf ich rauchen?“

      „Mir wäre lieber, wenn nicht. Woher wissen Sie so viel über Waffen? Das kann doch nicht alles nur aus Ihrer NVA Dienstzeit stammen?“

       Die Brille mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf die Nasenwurzel hochschiebend, suchte der Rostocker einen Fixpunkt im Gesicht des Gesprächspartners. Er entschied sich, wie gestern Nacht, für das linke Auge des Gegenübers. Die Hand sank bis zum unrasierten Kinn und streichelte dieses mit der Innenfläche von Zeigefinger und Mittelfinger, während er zu sprechen begann.

      „Ach wissen Sie, das ist ganz einfach. Nach der Wende fand ich ein paar Jobs, die mich nicht so recht befriedigten. Dann suchte eine Firma, die Computerspiele herstellt, einen kompetenten ehemaligen Soldaten für einen Ego-Shooter. Also, so ein Ballerspiel, was halbrealistisch, aber dennoch für den Spieler zu lösen sei. Ich bestand in meiner Arbeit darauf, dass die Geräusche explizit den Waffen zu entsprechen haben, welche im Spiel zum Einsatz kommen. Sicher war das etwas penibel von mir. Doch wir merkten bei unseren Recherchen nach diesen Geräuschen, also Durchladen, Schussknall und so weiter, dass es schwer war, dort das Richtige zu finden. Also gründeten wir eine Geräuschdatenbank, die auch Panzergeräusche und vieles mehr beinhaltet. Das ist ein Riesending geworden. Jetzt halten wir Europas größte Geräuschdatenbank mit militärischen Tönen. Übrigens nutzen viele Ihrer Kollegen auch diese Datenbank für ihre Lehrvideos, weil Platzpatronen nun mal nicht echt klingen. Und an dieser Datenbank bin ich beteiligt. Meine Idee, mein Geld.“

       Ein kurzfristiges, bestätigendes Leuchten der Zufriedenheit in seinen Augen. Er fuhr fort.

       „Wir sind überall auf Europas Panzerfahrstrecken und Schießplätzen unterwegs. Immer mit Mikrofon und Videokamera. Dafür, dass wir dem Team hier in Mahlwinkel etwas Geld gegeben haben, damit wir deren Geräusche aufzeichnen dürfen, erhielten wir nicht nur die Freifahrttickets, sondern auch die Genehmigung, in der Nähe der Fahrstrecke zu übernachten. Es war absoluter Zufall, dass wir heute Nacht dort waren.“

       Er nahm einen Schluck Wasser. Der Kopf wollte immer noch nicht so wie er. Einfach zu viel gesoffen und jetzt hatte er einen Doppelkopf. Doppelkopf? Der Joke gefiel ihm. Zum Grinsen keine Zeit.

      Rother stand auf, holte die Flasche und schenkte nach.

       „Und Sie erkennen also die Geräusche jeder Waffe? Und das auf die Entfernung?“

      „Nein, nein so toll bin ich nun auch wieder nicht.“ Lachmann hob abwehrend die Hände und grinste.

       „Die Standardwaffen der NATO und der Polizei Westeuropas kenne ich schon. Die Schützenwaffen des Ostblocks, also der Russen, Chinesen, Tschechen und Jugoslawen sind mein Metier. Da kenn ich mich aus. Und zwar richtig gut. Mit Entfernung hat das gar nichts zu tun. Wenn es so ruhig ist, wie heute Nacht im Wald.“

      Es klopfte. Schuh ging zur Tür und nahm von einem Uniformierten einen Zettel in Empfang.

      „Unsere Kollegen aus Magdeburg bestätigen, dass es sich um eine Gewehrpatrone 7,62mm russischer Bauart aus DDR Produktion handelt. Hergestellt in Suhl 1978. Fax ist eben reingekommen.“

       Kommissar Schuh setzte sich wieder. „Na Sie sind mir ja ein Experte.“

      „Ich bevorzuge Fachmann.“ Diesen Nasenstüber musste er Schuh jetzt versetzen.

      Rother verkniff sich ein Grinsen. „Also gut, Herr Lachmann, wenn wir noch was wissen wollen, melden wir uns.“

      „Okay, gern. Auf Wiedersehen. Können wir denn nun heute mit den Panzern fahren?“

      „Laut Wachtmeister Weigelt ist der Platz wieder freigegeben. Viel Spaß!“, antwortete Schuh.

      Lachmann verabschiedete sich und schloss die Tür.

       Die Seitentür zu einem Nebenraum wurde, fast zeitgleich, geöffnet. Zwei Männer in Schlips und Kragen traten ein. Schuh war sichtlich überrascht. Rother winkte ab.

       „Die beiden Herren gehören zum Staatsschutz. Konnten Sie alles mithören?“ Bevor einer der beiden antworten konnte, klopfte es kurz und Lachmann stand wieder in der Tür. Irritiert, dass plötzlich vier Herren im Raum waren, räusperte er sich.

       „Eh, mir fiel gerade noch ein, dass, wenn also, eh, wenn Sie aus einem PKT Gewehrlauf in so kurzer Abfolge fünfhundert Schuss raus jagen, also dann ist der Lauf Schrott. Es gab, zumindest bei den in Panzern eingebauten MGs, immer einen Ersatzlauf. Aber ich frage mich, weshalb jemand so viel Munition verbraucht, um dann die Hülsen einzusammeln und wieder zu verschwinden? Davon hat er nichts. Den Lauf kann er nicht mehr benutzen. Der müsste dann neu gezogen werden, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

      Der eine Schlipsträger lächelte, nickte.

       „Ich verstehe was Sie meinen. Da waren keine dummen Jungs am Werk, die ein MG und fünfhundert Schuss gefunden haben. Da wollte