Hölle zu folgen und dass sie dies auch versuchen und am Ende sogar tun würden, dieser Gedanke war ihr nie gekommen und so war sie in dem Moment, da sie Christopher gegenüberstand mehr überrascht, als alles andere. Ein Gefühl, das sich auch nur annähernd mit Liebe beschreiben ließ, empfand sie dabei aber nicht – eigentlich.
Da die Hölle auch mit Christopher funktionierte wie immer, verliefen die nachfolgenden Stunden in der gewohnten Hektik und Härte. Erst als sie den Schutzraum erreicht hatten, so hatte sie zumindest gehofft, würde etwas Ruhe einkehren und sie konnte sich mit Christopher unterhalten.
Doch genau dem war nicht so. Christopher hatte ganz offensichtlich große Mühe, sich in der Hölle zurechtzufinden und wäre sicherlich sehr schnell getötet worden, wenn ihn nicht Razor ein ums andere Mal beschützt hätte.
Und als sie schließlich den Schutzraum erreicht hatten, da fühlte sie sich eben nicht zu Christopher hingezogen, sondern zu Razor. Dem Mann, der schon von ihrer ersten Begegnung an keinen Hehl daraus gemacht hatte, dass er sie attraktiv und anziehend fand, der sich aber niemals aufgedrängt hatte, der derjenige war, dem sie ihr Überleben hier an diesem finsteren Ort überhaupt zu verdanken hatte, weil er ihr früh ihre Illusionen genommen und ihr die Realität vor Augen geführt hatte, der ihr gezeigt hatte, wie man erfolgreich für das Überleben kämpfte. Und der letztlich sogar sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um Christopher zu retten, weil er annahm, dass Silvia ihn immer noch liebte.
All das waberte in ihrem Kopf umher, als sie den Schutzraum erreicht hatten. Auch sie hatte Razor sofort attraktiv gefunden, doch kam für sie natürlich niemals ein Betrug an Christopher in Frage. Erst die Zeit hier hatte die Verhältnisse geändert. Und deshalb war sie zu Razor in sein Zimmer gegangen. In ihrem Kopf rotierten die Gefühle für ihn und für Christopher und bauten dabei einen Druck auf, dem sie nicht mehr gewachsen war und der ein verdammtes Ventil brauchte. Und dieses Ventil war harter, feuchter, geiler Sex mit Razor, der ihn sich mit ihr mehr als verdient hatte.
Dabei spielten Gefühle eigentlich nur eine nebensächliche Rolle und Silvia war selbst sehr überrascht, wie sehr sie jede Berührung, jeden Kuss und jeden Stoß genoss.
Für wenige Minuten war sie in einer vollkommen anderen Welt, in der es keinen Kampf, keinen Krampf und keinen Tod gab, sondern nur Wärme, Licht und erregenden Rhythmus.
Bis sie merkte, wie Razor abrupt erstarrte. Erst wusste sie nicht, warum, doch als sie es erkannte, brach plötzlich alles über ihr zusammen.
Großer Gott, was hatte sie getan? Jahrelang war sie stets verletzt gewesen, wenn Christopher sie betrogen hatte und jetzt tat sie genau das Gleiche und auch noch direkt vor seinen Augen.
Schlagartig begriff sie: Christopher hatte erkannt, was er ihr all die Jahre angetan hatte. Die Jagd nach dem Dämon, die Sorge um sie, hatte ihm die Augen endlich geöffnet und ihm seine wahren Gefühle offenbart. In den so unendlich schmerzhaften Minuten, bevor sie durch das Tor zur Hölle gegangen war, hatte er es ihr gestanden und sie es klar in seinen Augen gesehen. Dann aber war Silvia nicht mehr da und für ihn musste sie gestorben sein. Nach fast einem Jahr jedoch, wurde ihm offenbart, dass es eben nicht so war und das Erste und Einzige, was er daraufhin tat, war, das Tor zur Hölle erneut zu aktivieren, um zu ihr zu kommen und bei ihr zu sein, ohne zu wissen, was folgen würde. Und dieses Verhalten war doch genau sowas von Liebe, wie es nur sein konnte.
Jetzt war Christopher es, der dieses Gefühl empfand und sie diejenige, die es mit Füßen trat.
Doch das wollte sie nicht, denn urplötzlich, da waren all diese Momente aus jener Nacht in New York, all die Gefühle, all die Liebe für ihn schlagartig wieder da.
Razor erkannte das sofort, doch er ließ sie nicht einfach nur gehen, sondern folgte ihr, um Christopher wiederzufinden, nur um feststellen zu müssen, dass alles sehr viel komplizierter war, als sie alle es sich jemals hätten träumen lassen.
Als Christopher von den Dämonen verschleppt und überwältigt wurde, glaubte sie, ihn für immer verloren zu haben, doch dann erschien ihr Großvater und alles änderte sich wieder. Hoffnung keimte in ihr auf und der Wunsch, nein das Versprechen, alles zu geben, was in ihr steckte, um Christopher zu retten und nie wieder loszulassen.
Doch als sie das Messer in der Hand ihres Großvaters sah und wie er es so unfassbar eiskalt in Christopher Herz rammte, da explodierte in ihr alles, woran sie je geglaubt hatte. „Nein!“ Der unendliche Schmerz musste hinaus, bevor er sie erstickte. Das Wort klang so entsetzt, so gequält, so schmerzhaft, dass alle anderen eine Gänsehaut überkam. Doch Silvias Welt brach endgültig ineinander. Ihr Großvater, den sie stets geliebt hatte, dem sie stets vertraut hatte, ihr eigen Fleisch und Blut, hatte gerade den Mann getötet, den sie mehr als alles in dieser und jener Welt liebte und sie spürte deutlich, wie ihr Verstand für immer aus ihr zu weichen drohte.
*
Ihr Aufschrei vermischte sich mit dem Zischen des Projektils aus der Panzerfaust und wurde schließlich übertönt von der wuchtigen Explosion hinter der Nebelwand auf der anderen Seite der Halle. Während die Flammenfaust hervorquoll, war das Brüllen des Dämons zu hören und es schien nicht nur zornig zu sein, sondern auch überrascht, doch vor allem auch irgendwie schmerzhaft. In dem gleichen Maße, wie die Flammen den Nebel verzehrten, begannen die Konturen der Kreatur zu verschwimmen und sich schließlich aufzulösen.
Razor war zufrieden mit seiner Aktion, doch nickte er Horror kurz zu, als dieser zwei Handgranaten hervorholte. Mit einem diebischen Grinsen löste der Zwilling zeitgleich beide Splinte und ließ sie dann locker über die Brüstung in die Tiefe fallen, wohlwissend, dass sich dort das gut eine Dutzend anderer, normaler Dämonen befand.
Einen Augenblick später wurde die Halle von zwei Detonationen erschüttert, die weitaus wuchtiger und wilder waren, als zu erhoffen war. Neben den schmerzhaften Schreien der Untiere, war mehrfaches Krachen zu hören, als das Inventar dort zerlegt wurde. Eine überraschend große und dicke Qualmwolke stieg auf und verteilte sich in der Halle. Als sie das Dach erreichte, mussten sie alle für eine Sekunde in Deckung gehen, bevor sie sich wieder einigermaßen verzogen hatte.
Als dann ihre Köpfe zurück zuckten, war ein ohrenbetäubendes Brüllen zu hören, doch es kam dieses Mal eindeutig vom anderen Ende der Halle, wo noch immer Flammen zuckten und sich mit dem Nebel vermischten. Aus dem Brüllen wurde ein tiefes Grollen und die Intensität ließ keinen Zweifel an der Größe seines Verursachers. Nur einen Wimpernschlag später durchstieß der mächtige Schädel einer furchterregenden Kreatur die Mischung aus Flammen und Nebel und verharrte, als würde ihr die Hitze nichts anhaben können.
Es war Samael – der richtige, der echte Dämon. Ein Abbild der Bestie, die noch vor wenigen Augenblicken in der Mitte der Halle gestanden hatte, doch nicht mehr von waberndem Rauch umgeben, sondern kristallklar zu erkennen. Die dunkle Haut in einer Mischung aus Schwarz, Rot und einigen gelben Flecken schimmerte seltsam feucht. Erst bei genauerem Hinsehen, konnte man erkennen, dass seine Haut an vielerlei Stellen auf dem gesamten Körper aufgeplatzt war und die gelben und jetzt teilweise auch weißen Bereiche gaben einen Blick in sein Innerstes preis. Es schien fast so, als wäre die Kreatur mit flüssiger Lava gefüllt. Als der Dämon sein Maul zu einem weiteren Schrei weit aufriss, begann die Luft ob seines heißen Atems zu flirren und ein brodelndes Knistern war zu hören. Seine tiefschwarzen Augen funkelten und es war unverkennbar, dass Samael stinksauer war.
Mit wenigen, mächtigen Schritten schob er sich vollständig in die Halle hinein und überall dort, wo seine gewaltigen Pranken den Boden berührten, verätzte er ihn und ein versengendes Zischen war zu hören.
Razor und der Rest des Trupps war fasziniert und angewidert zugleich. Ein kurzer Seitenblick verriet dem Schwarzen, dass Moonlight vollkommen abgeschaltet hatte und hier nichts mehr mitbekam. Cynthia kümmerte sich um sie, ebenso Heaven, die jedoch mit einem Auge das Geschehen sorgsam im Blick behielt. Moonlights Augen waren tränenfeucht, ihr Blick starr nach vorn gerichtet. Für einen Moment tat sie ihm furchtbar leid, dann aber wurde ihm klar, dass ihre Reaktion nur bestätigte, was er eigentlich doch längst schon wusste: Er hatte Moonlight für immer verloren.
Ein zorniges Brüllen riss ihn zurück in die Wirklichkeit und er drehte seinen Kopf