Henning Marx

Mitgefühl kann tödlich sein


Скачать книгу

      Die drei Männer schauten sich etwas ratlos an. Keiner wusste dazu etwas. Keiner hatte bisher gesehen, dass Bea von einem Mann abgeholt worden wäre. Keiner hatte sie je von einem Mann sprechen hören. Keiner hatte sie bisher mit einem Mann in der Stadt getroffen.

      »Welche schwerwiegenden Probleme versuchen denn unsere Herren hier wieder zu lösen?«, wollte Lene wissen.

      »Wir fragen uns, ob Bea vergeben ist. Heiner scheint ein Auge auf sie geworfen zu haben, nachdem sie vor Wochen mit einem Cocktail seine Stimmung aus dem Keller ins Dachgeschoss katapultiert hat«, erklärte Horst auch ihr.

      »Das passt doch überhaupt nicht«, stellte Lene klar, bevor sie zur Toilette ging. »Bea braucht trotz ihrer elfenartigen Erscheinung etwas ... ja was? ... Eine Person, bei der sie ihre manchmal auch herbe Dominanz aufgeben kann.«

      Die drei Herren runzelten kollektiv die Stirn, während sie beobachten konnten, wie Heiner mit Bea scherzte und ihr wohl zum wiederholten Mal ein Kompliment machte.

      »Habt ihr verstanden, worauf Lene hinauswollte?«, fragte Thomas die anderen zwei.

      »Wenn du schon deine Frau nicht verstehst«, witzelte Franz, »wie sollen wir das dann können?«

      Bevor Lene wieder zurück war, gesellte sich Thomas zu Heiner an die Bar.

      »Na, du siehst hier aber ganz fröhlich aus, mein Lieber. Möchtest du dich nicht ein wenig zu uns an den Tisch setzen? Wir vermissen dich.«

      »Nur kein Neid, Herr Kommissar. Der ist auch bei mir ganz gut aufgehoben«, zwinkerte Bea im Vorbeigehen den beiden zu. Thomas entging dabei nicht, wie sich ein Glänzen auf Heiners Augen einstellte.

      »Setz dich auf ein Bier«, schlug Heiner Janetzky vor. »Euch sehe ich doch den ganzen Tag und hier habe ich sooo nette Gesellschaft«, flötete er der Barfrau hinterher.

      Sie unterhielten sich angeregt über die anstehende Vierschanzentournee. Beatrice hatte ein Pils für Heiner gebracht, Thomas hatte sich für ein Alt-Cola entschieden.

      Er hatte überhaupt nicht bemerkt, wie kurzweilig sich ihr Gespräch entwickelt hatte, bis sich Lene zärtlich an seinen Rücken schmiegte. Dezent machte sie ihn darauf aufmerksam, dass es Zeit für den Heimweg war.

      »Ich komme«, entgegnete er. »Ich muss nur Bea schnell noch etwas fragen.«

      Während Lene sich zu Heiner wandte, rief er Bea zu sich, auch um zu zahlen. Nachdem das geklärt war, brach sich seine Neugier umgehend Bahn. »Sag mal: Wem habe ich denn eigentlich die Pommes zu verdanken?«

      »Sagte ich doch: ein Geschenk des Hauses«, lachte sie ihn an.

      Aber er hatte in seinem Augenwinkel gesehen, wie Lene ganz unmerklich den Kopf geschüttelt hatte. Aha. Er wusste zwar nicht, wie die beiden das geschafft hatten, aber er ließ es gut sein, weil er etwas anderes viel dringender wissen wollte.

      »Wenn du mir das schon nicht ehrlich beantwortest ... Kann ich dich mal was fragen?«, wurde er leiser und lehnte sich zu Bea über den Tresen.

      »Solange ich entscheiden kann, ob ich antworten will«, flüsterte sie ihm zu und hielt ihm ihr Ohr hin, nachdem sie ihre blonden Haare dahintergeklemmt hatte.

      »Hast du eigentlich einen Mann?«

      »Du erinnerst dich, dass du erst geheiratet hast?«, kam es genauso leise zurück.

      Das Frauen nicht einfach mit »ja« oder »nein« antworten konnten. Er schielte kurz zu Heiner und Lene, aber die beachteten ihn gar nicht. »Ich frage eher wegen Heiner«, klärte er sie auf.

      »Ach so«, flüsterte sie verschwörerisch zurück. »Ich passe schon auf, dass der sich nicht verrennt.«

      »Danke, ... aber hast du jetzt einen Mann?«, konnte er es nicht lassen.

      »Behältst du die Antwort für dich?«

      »Logisch.«

      »Nein, mein Guter.« Dann lachte sie auf und fragte auch Lene und Heiner, ob sie noch einen Amaretto oder Ähnliches wollten. Thomas und Lene lehnten dankend ab und ließen Heiner mit einem Grappa bei Bea im »Peppers« zurück.

      Sie gingen die Plöck herunter, weil es da um diese Zeit am ruhigsten war.

      »Was wolltest du vorhin von Bea?«, erkundigte sich Lene beiläufig.

      »Sag ich dir nur, wenn du mir verrätst, wie ich zu meinen Pommes gekommen bin«, hatte Thomas sich eine aus seiner Sicht vielversprechende Taktik zurechtgelegt.

      »Du willst deine eigene Frau erpressen?«, war Lene empört.

      »Ja.«

      »Dann behalte es halt für dich«, beschied sie ihm trocken und sprach kein Wort mehr, während sie in die Nadlerstraße abbogen. Auch nachdem sie die Friedrich-Ebert-Anlage überquert hatten, schien sie sich weiterhin einer Auskunft verweigern zu wollen.

      Folglich blieb ihm keine andere Wahl, als es mit einer Vorleistung zu versuchen: »Ich habe Bea gefragt, ob sie einen Mann hat«, erklärte er ihr, gerade als sie am Adenauerplatz an der Fußgängerampel waren.

      »Du hast was?« Lene konnte es nicht fassen und blieb mitten auf der Straße stehen. »Und?«

      Thomas nahm ihre Hand und zog sie auf die andere Seite, weil die Ampel eigentlich Rot zeigte. »Sie hat keinen Mann«, eröffnete er ihr. »Sie hat mir aber versichert, auf Heiner aufzupassen.«

      »Das hätte mich andernfalls auch schwer gewundert«, war sich Lene sicher.

      »Jetzt du!«, forderte er sie auf, bekam aber keine Antwort. Erst als sie die Gaisbergstraße bereits zur Hälfte bis nach Hause gelaufen waren, erlöste sie ihn doch noch. »Bea hat deine Miene gesehen und ich habe ihr zu verstehen gegeben, dass das eine gute Idee ist.«

      Verblüfft hakte Thomas nach: »Aber wie habt ihr das gemacht?«

      »Kein Kommentar. Das bleibt ein Frauengeheimnis«, gab sie sich sofort wieder zugeknöpft und nahm ersatzweise seine Hand.

      »Das war aber sehr fürsorglich«, freute er sich lieber an seiner Frau und drückte ihre Hand zärtlich.

      »So bin ich.«

      Kapitel 15

      Dicht an die Fassaden gedrängt zog ein Austräger einen mittelgroßen Handwagen langsam hinter sich her. Vor jedem Haus griff er unter die Plane, um von den dort vor dem Wetter geschützten, bedruckten Papierbögen zu nehmen. Wenn er Glück hatte, konnte er seine Nachrichten direkt in Postfächer am Gehsteig einwerfen. In diesem Teil der Bergstraße überwog das Pech für all diejenigen, die nicht das Privileg besaßen, dort zu wohnen. Insofern musste er erst bis zu den Hauseingängen laufen, wo sich deren Briefkästen befanden. Er war zwar gegen die Kälte und den Schneeregen vollständig vermummt, so dass man in der Dunkelheit selbst in der Straßenbeleuchtung nicht einmal sein Gesicht ausmachen konnte. Aber seine Finger steckten wider Erwarten nicht in Handschuhen, weil ihm sonst das Gefühl für die einzelnen Blätter abhanden gekommen wäre. Immer wieder blieb er stehen, um sich die Hände zu reiben oder sie warmzuhauchen.

      Es war noch deutlich vor sechs Uhr. Außer ihm war keine Menschenseele auf der Straße zu sehen. Erneut nahm er einen kleinen Stapel aus seinem Handkarren, als aus der Querstraße hinter ihm das Herannahen zweier Autos zu hören war, die kurz darauf von Norden her in die Bergstraße einbogen. Ohne sich nach den Wagen umzusehen, warf der Austräger seine Botschaften in die Postkästen einer hübschen alten Villa mit Arkaden am Eingang. Als er wieder zu seinem Wägelchen zurückkam, suchte er unter der Plane nach einem Gegenstand, den er nicht auf Anhieb zu finden schien. Er konnte dabei beobachten, wie die beiden Limousinen in die Auffahrt des Grundstücks Bergstraße 65 einbogen. Es handelte sich um ein zurückversetztes Gebäude mit einem zentralen Eingangsportal, das über zwei geschwungene Treppen von beiden Seiten zugänglich war. Davor zog sich die Auffahrt elliptisch von der nordwestlichen Ecke des Grundstücks bis zur südwestlichen, so dass ankommende Fahrzeuge nicht zurücksetzen