Henning Marx

Mitgefühl kann tödlich sein


Скачать книгу

letzte Stück musste der Oberkörper ins Boot fallen. Das ließ sich leider nicht ändern, weil der Kleine das Boot in seiner Lage stabilisieren musste. Anderenfalls wäre er wohl auch zu schwach gewesen, das enorme Gewicht einer bewusstlosen, sich im Fallen befindenden Frau überhaupt zu halten.

      Mit einer Geste signalisierte Thomas Sprengel dem Jungen, sich von der Yacht abzustoßen. Ein kurzer Blick zeigte ihm, dass andere Boote inzwischen in der Nähe waren und ihnen helfen konnten. Leider sah er keine Möglichkeit mehr, unter Deck nachzusehen, ob sich dort noch jemand befand. Hinter allen Luken wüteten Flammen oder waberte Rauch. Weiter im Süden sichtete er ein Schnellboot, das mit hoher Geschwindigkeit ebenfalls auf sie zuzuhalten schien. Ob das aufgrund von Lenes Benachrichtigung im Hotel aus Bridgetown herüberkam? Endlich sprang er selbst über die Reling und schwamm zum Schlauchboot des Jungen, der erst wenige Meter zurückgelegt hatte. Das Rudern war inzwischen erheblich schwieriger, weil die Frau viel Raum in dem kleinen Boot einnahm. In seiner Not benutzte der kleine Kerl nur eines der Ruder wie ein Paddel.

      Thomas Sprengel hielt der Bewusstlosen kurz seine nasse Hand dicht unter die Nase, auf der er zu seiner großen Erleichterung einen ganz leichten Lufthauch spürte. Immerhin.

      Eine Person auf einem Jet-Ski verlangsamte ihre Fahrt erst auf den letzten Metern und drehte neben dem Gummiboot bei. Große Freude breitete sich auf Thomas´ Gesicht aus, als er Lene erkannte.

      Die wiederum sah mehr als besorgt zu ihm herunter: »Alles in Ordnung, Schatz?«

      »Bei mir schon. Die Frau im Boot muss schnellstens in ein Krankenhaus.«

      Lene nickte. »Ich weiß auch wie! Nimm die Leine da vom Boot und knote sie hier an den Jet-Ski. Ich ziehe das Boot an den Strand. Das geht schneller.«

      »Meinst du, das klappt?«, war sich Thomas nicht sicher, ob der Einfall so einfach umzusetzen war.

      »Ich werde vorsichtig fahren«, versprach Lene ihm, sich der Problematik bewusst.

      Thomas befestigte die Leine so gut, wie er das eben als Nicht-Segler konnte. »Fertig.«

      »Willst du noch aufsteigen?«, wollte Lene eigentlich nur wissen, ob sie ihn alleine im Wasser zurücklassen konnte.

      »Fahr! Das hält nur unnötig auf. Die Frau atmet übrigens«, gab er ihr noch mit.

      »Okay. Bis gleich.« Vorsichtig beschleunigte sie bis zu einem Punkt, an dem das Schlauchboot leicht zu schlingern begann.

      Thomas Sprengel war gerührt, als er sah, wie der kleine Junge den Kopf der verunglückten Seglerin achtsam auf seine Beine bettete. Dem Surfer waren inzwischen zwei Boote zu Hilfe gekommen. Hoffentlich hatte auch diese Person Glück gehabt. Langsam schwamm er zurück zum Strand, wobei er seinen Gedanken nachhing. Eine Woge der Dankbarkeit erfasste ihn angesichts seiner eigenen Situation. Wie schön war sein Leben doch, seitdem er es mit Lene teilen durfte.

      Lene Huscher war inzwischen am Strand angekommen, wo Thomas Sprengel sie mitsamt dem Jungen und der Bewusstlosen in einer Menge Helfender verschwinden sah.

      Kapitel 4

      »Gefällt es dir so, mein Lieber?«, hauchte Ekaterina, während sie ihrem Besucher tief in die Augen schaute. Nur ganz sanft stützte sie sich mit beiden Händen auf dessen Brust ab. Der Angesprochene antwortete ihr wie meistens nicht. Selbst seinem Gesichtsausdruck konnte sie nicht entnehmen, wie es ihm gefiel. Lediglich seine Hände streichelten die Innenseiten ihrer Oberschenkel. Nachdem er allerdings über die letzten Jahre immer wieder für ganze Nächte große Summen gezahlt hatte, konnte sie wohl auch an diesem Abend davon ausgehen, dass er keinen Grund zur Klage haben dürfte. Insgesamt gefiel ihr dieser Mensch einigermaßen: Er war gebildet und hatte kultivierte Umgangsformen. In der Regel behandelte er sie, als sei sie eine Dame des gesellschaftlichen Lebens. Sie hätte sich allzu gerne eingebildet, aus seinem Verhalten auf eine gewisse Wertschätzung schließen zu können. Wenn sie ehrlich war, traf das jedoch nicht zu. Es waren immer wieder Situationen aufgetreten, in denen er ihr gegenüber unmissverständlich ausgedrückt hatte, was er tatsächlich über sie dachte. Manchmal waren es nur kleine Nebensätze, in denen er betonte, dass sie zu gehorchen habe. Ganz selten hatte er sich rücksichtslos gezeigt und Dinge getan, die ihr Schmerzen bereitet hatten. Das eine oder andere Mal, wenn ihrem Gesicht diese Schmerzen anzusehen gewesen waren, hatte er das nur abfällig grinsend mit »das Arbeitsleben ist nicht immer ein Zuckerschlecken, mein Häschen« kommentiert und sie zur Professionalität ermahnt. Aber im Großen und Ganzen wollte sie sich nicht beklagen. Ihr ging es immer noch bedeutend besser als Kolleginnen, die in billigen Bordellen oder auf dem Straßenstrich arbeiten mussten. Auch hielt sich bei ihr bisher die Zahl der Herren in Grenzen, die aufgrund der Höhe ihres Honorars der Ansicht waren, alles ausleben zu können, was ansonsten keine Frau erdulden würde. Zum Glück hatte ihr – anders als bei ihrer Freundin May Lin – bisher noch nie jemand ernsthafte Verletzungen zugefügt.

      Die Melodie eines Mobiltelefons holte sie aus ihren Gedanken zurück. Die gehörte allerdings nicht zu ihrem. Ihr Besucher machte Anstalten, sich zu erheben, doch sie schob ihn sanft, aber bestimmt wieder auf das Bettlaken zurück.

      »Nicht aufstehen! Du hast gesagt, ich soll den Ton angeben«, klang ihre Stimme etwas barsch, um dann einschmeichelnd fortzufahren. »Du fühlst dich gerade so gut an, Liebster.«

      In dem Moment, in dem sie den Satz ausgesprochen hatte, war ihr klar geworden, einen Fehler begangen zu haben. »... gotta be fresh from the fight. I need a hero. I´m holding out for a hero ´til the end of the ...«, spielte das Telefon, während sie das Funkeln in seinen Augen zu spät registriert hatte. Natürlich war immer er der Held.

      Fast brutal zog er ihre Hände an den Handgelenken von seiner Brust und stieß sie grob zur Seite. Erschrocken leistete sie keine Gegenwehr gegen diese unsanfte Behandlung und schaute ihn mit Angst in den Augen an, während er sich vor dem Aufstehen kurz ganz nah über sie beugte. »Du hast hier nur so lange etwas zu sagen, wie ich dir das erlaube. Vergiss das besser nie«, zischte er sie mit einem kühlen Blick aus seinen stahlblauen Augen an.

      Nachdem sie eingeschüchtert nur leicht genickt hatte, stand er auf, wickelte sich eine Decke um die untere Hälfte seines gut trainierten Körpers und fingerte das Telefon aus seiner Jackentasche, das immer noch musizierte: »... And he´s gotta be larger than life!«

      Das denkst du wohl von dir, ging es Ekaterina auf dem Boden der Tatsachen angekommen unwillkürlich durch den Kopf, während sie leicht am ganzen Körper zitterte. Diesen schnellen Stimmungsumschwung hatte sie nicht erwartet. Manchmal hasste sie sich und ihren Beruf.

      »Was gibt es Mausefänger?«, knurrte ihr Besucher noch ein wenig ungehalten ins Telefon. Offensichtlich war der Anrufer in seinem persönlichen Telefonbuch verzeichnet.

      Eigentlich war das immer ihr Traum gewesen: ein gut aussehender Mann mit Manieren und Geld, der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas. Davon war sie wohl Lichtjahre entfernt. Sie drehte sich auf die Seite, um ihr enttäuschtes Gesicht zu verbergen, obwohl der Besucher ihr ohnehin gerade den Rücken zuwandte.

      »Ja, du hast mich bei einer sehr anregenden Tätigkeit gestört. Also komm zur Sache«, bat er inzwischen wieder freundlich. »Ich muss hier dringend weitermachen, bevor alles kalt wird.«

      Sein Lachen ließ Ekaterina erschauern. Eigentlich hatte sie überhaupt keine Lust mehr. Lust war ohnehin der falsche Ausdruck. Am liebsten hätte sie auf das Geld verzichtet. Aber das konnte sie nicht, wenn sie ihren sehr guten Kunden nicht verprellen wollte.

      »Alles paletti, die Maus hat sich gestern die Pfoten verbrannt. Morgen oder übermorgen sollte das auch hier in der Zeitung ankommen«, gab er sich so zufrieden wie lässig.

      Ekaterina runzelte die Stirn. Was für eine Maus hatte sich die Pfoten verbrannt?

      »Gut. Wir hören uns. Ich muss jetzt, ciao.«

      Kurz darauf spürte sie, wie er sich mit einem Knie auf das Bett stützte. »Dreh dich gefälligst zu mir«, herrschte er sie wenig zimperlich an, keinen Widerspruch duldend. Seine schneidende Stimme ließ sie einen Augenblick zögern. Ihr Herz klopfte. Sie hatte