Henning Marx

Mitgefühl kann tödlich sein


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einem ganzen Berg Speck kaum mehr auszumachen war.

      »Sie scheinen einen guten Appetit zu haben«, stellte Frau Dunkerbeek fest, ohne dass er der Bemerkung eine Wertung hätte entnehmen können.

      »Mein Schatz, bei dir herrschen bald Münchener Verhältnisse vor«, kam es von rechts, noch bevor er der älteren Dame hatte antworten können.

      Wieder einmal verstand er nicht sofort, worauf seine Frau anspielte. Die ältere Dame hingegen hatte offensichtlich begriffen, was seine Gattin ihm sagen wollte. Auch wenn sie keine Miene verzog, konnte er ein gewisses Amüsement in ihren Augen erahnen. Münchener Verhältnisse? Matte auf dem Kopf? »Aber ich war doch erst vor dem Urlaub beim Friseur«, war er ratlos.

      Frau Dunkerbeek lachte klar wie ein junges Mädchen und tätschelte daraufhin liebevoll den Bauch ihres Mannes: »Nein, Herr Sprengel, Ihre Frau meint den Münchener Speckgürtel.« Zu Lene gewandt setzte sie fort: »Mein Gatte hat auch zeit seines Lebens die guten Dinge sehr zu schätzen gewusst.«

      Thomas schaute zu Lene und spürte, wie sein Ärger anschwoll, wollte aber auch nicht vor dem netten Paar mit einer harschen Bemerkung retournieren. Wenn er ehrlich war, hatte sie völlig recht. Außerdem war sie mehrfach von ihm aufgefordert worden, ihn darauf hinzuweisen, falls er sich mal wieder vergaß. Nichts anderes hatte sie gerade getan. Er schielte zu dem gleichermaßen Gescholtenen, der aber nur schmunzelnd in seinem Stuhl saß und über allem zu stehen schien. Und jetzt? »Möchte noch jemand von diesem vorzüglichen Speck? Ich habe genügend für alle mitgebracht«, bot er mit gönnerhafter Miene an.

      »Für mich nicht, danke«, antwortete Lene, sich ein Grinsen verkneifend.

      »Oh, selbstverständlich helfe ich Ihnen«, erklärte sich Herr Dunkerbeek bereit. »Wir Männer sollten immer zusammenhalten.« Entspannt zwinkerte er Thomas Sprengel zu.

      »Wie ich bereits sagte«, konstatierte seine Frau lakonisch und zuckte nur mit den Schultern.

      Ihr Mann legte ihr eine Hand auf den Arm und lächelte sie voller Wärme an. »Ich weiß es durchaus zu schätzen, dass du so um meine Gesundheit besorgt bist, meine Liebe. Morgen halte ich mich wieder daran.«

      Ein Seufzen war die einzige Antwort, die er darauf erhielt.

      Sie hatten sich noch ein ganzes Weilchen angeregt unterhalten, bis sich die anderen Tische zunehmend gelehrt und der Strand gefüllt hatte. Das Ehepaar Dunkerbeek hatte sich schließlich verabschiedet, nachdem Lene Huscher und Thomas Sprengel eine Einladung zu einem Abendessen gerne angenommen hatten.

      »Ein sehr sympathisches älteres Paar. Findest du nicht?«, stellte Lene erfreut fest.

      »Sehr«, stimmte Thomas zu, bevor er stöhnte: »Nur werde ich noch mehr leiden. Frau Dunkerbeek hat sofort gewusst, was du vorhin gemeint hast.«

      »Hast du mir das übel genommen?« Bei Lene regte sich ausnahmsweise doch Reue. »Es war mir so herausgerutscht.« Sie schaute ihn unschuldiger als jedes Lamm an.

      Thomas gab ihr einen Kuss. »Mein Ego hat schon ein bisschen den Aufstand geprobt. Aber ich liebe dich halt auch, wenn du mir große Niederlagen beibringst.« Er rieb kurz seine Nase an ihrer.

      »Und ich liebe dich auch mit Wampe, wenn es sein muss«, klimperte sie mit ihren grünen Augen und streichelte über sein dezentes Polster.

      »So schlimm ist es wohl noch nicht.« Er wackelte unwillig mit dem Kopf. »Sollen wir uns mal an der Rezeption erkundigen, ob die wissen, in welches Krankenhaus sie die junge Frau gebracht haben?«, wechselte er das für ihn derzeit unvorteilhafte Thema.

      »Dann los.«

      Sie standen auf und machten sich auf den Weg zur Rezeption, wobei sie zärtlich nach seiner Hand griff. In ihrem lilafarbenen Strandkleid hätte sie problemlos als glücklicher Teenager durchgehen können.

      Kapitel 6

      Ariane und Kai blieb der Mund offen stehen, als sie die Küche von Susanne und Heiko betraten. Es roch himmlisch und der Tisch war bis ins Detail perfekt gedeckt. Hier stimmte wieder einmal alles. Selbst ihre dunkelgrüne Bluse hatte Susanne zur vanillefarbenen Tischdecke abgestimmt, auf der sich dunkelgrüne Stoffservietten befanden.

      »Meine Güte«, entfuhr es Ariane beeindruckt, »ihr hättet uns darauf hinweisen können, dass wir in Abendgarderobe erscheinen sollen. Ich komme mir mit meiner Jeans gerade etwas unpassend gekleidet vor.« Sie drückte ihre beste Freundin herzlich an sich. »Gut siehst du aus, Süße.«

      »Danke, mir geht es auch gut, aber dazu später«, wollte sie die Neugier von Ariane zwar anstacheln, aber noch nicht darauf eingehen.

      Die wandte sich in bekannter Art theatralisch schmollend an Heiko. »Hallo, Meisterkoch, was gibt es heute Leckeres?«, zeigte sie hier ebenfalls größeres Interesse.

      Heiko drückte sie und lachte: »Das wirst du schon rechtzeitig mitbekommen.«

      »Hey, habt ihr euch gegen mich verbündet?«, protestierte sie nun lautstark nach der zweiten Abfuhr.

      Kai gab ihr einen Kuss. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«

      »Das ist schon viel besser. Ich höre?«, strahlte Ariane ihn an.

      »Ich liebe dich«, löste Kai sein »Geheimnis« auf.

      »Blödmann«, kommentierte sie seinen Scherz frustriert, setzte aber zu den anderen beiden gewandt fort: »Ist er nicht ein edler Prinz!«

      Susanne und Heiko grinsten in sich hinein. Kai hatte inzwischen diverse Versuche unternommen, Ariane davon abzubringen, ihn ihren »Prinz« zu nennen. Ihm war das in Abhängigkeit von den anwesenden Personen immer noch mehr oder weniger peinlich. Aber sie hatte ihm jedes Mal nur lapidar beschieden, dass das nun mal der Wahrheit entspreche und sie nicht vorhabe, ihre wahren Gefühle in ganz niedlichen Kosenamen zu verleugnen. Zu seinem eigenen Leidwesen war ihm bisher gegen diese Begründung kein überzeugender Einwand eingefallen. Es war schließlich der ganz persönliche Ausdruck ihrer Liebe zu ihm.

      »Heiko, dein Süßkartoffelcurry ist himmlisch«, lobte Kai zwischen zwei Bissen das scharfe, aber auch fruchtige Essen.

      »Du hättest vielleicht doch Koch bleiben sollen«, unterstützte Ariane das Lob.

      »Nee, nee.« Heiko schaute zufrieden über den Tisch. »Möchtest du noch von dem Wein, Kai?«, ging er nicht weiter auf die Komplimente ein, die ihn aber wie üblich sehr freuten.

      »Ja, bitte.«

      Nach dem Essen waren sie in das kleine Wohnzimmer der beiden umgezogen, das auf die Schröderstraße hinausging. Sie konnten das Leben auf der Straße hören. Immer wieder kamen Gruppen vorbei, die eine der kleinen, gemütlichen Bars und Bistros um den Marktplatz ansteuerten. Susanne und Heiko hatten das Glück gehabt, in Neuenheim eine bezahlbare Wohnung zu finden, zweieinhalb Zimmer. Der Schönheitsfehler lag darin, dass es eigentlich drei Zimmer waren. Nur einer der Räume, der an das Wohnzimmer anschloss, lag parallel zu einem kleinen Flur, der zum rückwärtigen, am ruhigen Innenhof gelegenen Teil der Wohnung führte. Auch zum hinteren Ende des Flurs gab es eine Tür, aber eben kein Fenster. Ihnen war nichts anderes übrig geblieben, als darin ihr Schlafzimmer einzurichten.

      »Wie schläft es sich denn nun nach mehr als einem Sommer ohne Fenster?«, fragte Kai nach. »Ich könnte mir das wegen der Frischluft nicht so richtig vorstellen.«

      »Ach, das geht eigentlich ganz gut«, gab Susanne ehrlich Auskunft. »Wir lassen die Tür nach hinten auf. Es kommt recht selten vor, dass sich die Hitze wirklich unangenehm staut.«

      »Ja, da möchte ich doch gleich noch wissen, wann sich die Hitze dermaßen staut«, schaute Ariane ihre Freundin unschuldig an.

      Die rollte nur mit den Augen. »Woran du nur schon wieder denkst.«

      »Willst du mir etwa widersprechen?«, forderte Ariane sie heraus.

      »Könntest du vielleicht etwas dazu sagen!«, versuchte Susanne,