Nina Waitz

MANGOKNÖDEL


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öffnete die Türe zur kleinen Kammer, in der Ida reglos auf ihrem Bett lag. „Ida – Madla – was machsch’ denn für Sachen?“ sagte er. Keine Reaktion, sie starrte weiter an die Decke. Roman nahm einen Stuhl und setzte sich neben sie. Er begann zu erzählen – von dem Tag an, als er und Matthias sich aufmachten, um das Vaterland zu verteidigen. Von der anfänglichen Euphorie, als sie mit Hunderten anderen Burschen im Zug – das erste Mal in ihrem Leben – saßen und deutsche Soldatenlieder sangen. Von den ersten Einsätzen, wo sie schon gleich mit der Grausamkeit des Krieges, des Todes von vielen Kameraden konfrontiert waren. Von der Angst in den Schützengräben und den grausamen Schlachten, die er und Matthias nur durch einen Schutzengel überlebten, von der eisigen Kälte – noch viel kälter als im Pitztal, an der Freunde neben ihnen verreckten. Und dann von der Gefangenschaft, als sie in ein Lager gesperrt und zu härtesten Arbeiten gezwungen wurden. Matthias war lange stark, am Abend betrachtete er immer ein Foto von seinem „Idale“ und versprach durchzuhalten. Doch dann bekam er plötzlich hohes Fieber, Roman sah den grau-weißen Belag auf seiner Zunge – jeder im Lager wusste, was das bedeutete – Typhus! Matthias wurde in die Typhusbaracke verlegt, aus der fast niemand wieder lebend herauskam. Roman schlich sich nachts zu ihm und erschrak jedes Mal mehr. Sein Freund wurde immer blässer, dürrer und apathischer. Nach einer Woche kam er wieder ans Krankenbett und Matthias war bei Bewusstsein. Er erkannte ihn und sagte: „Wenn du wieder daheim bist, musst du dich um die Ida kümmern, und sag ihr, dass ich sie sehr lieb habe!“ Er drückte ihm das Foto in die Hand und schlief ein – für immer.

      Während Roman an Idas Bett saß und das alles erzählte, flossen immer wieder Tränen aus seinen Augen. Nach seinen letzten Worten legte er ihr das Schwarz-Weiß-Foto, das Ida als kleines Mädchen zeigte, und das ihrem großen Bruder bis zum Ende Kraft gegeben hatte, in ihre Hände. Plötzlich sah er Tränen über ihre Wangen laufen. Sie blinzelte, sah ihm in die Augen, richtete sich auf und umarmte ihn inbrünstig. „Oh Roman, was habt ihr nur alles durchgemacht“, schluchzte sie so laut, dass sofort die Mutter und der Vater in der Türe standen, die ihren Ohren nicht trauen wollten – Ida hatte wieder gesprochen!

      Von diesem Tage an verbrachten Ida und Matthias viel Zeit miteinander. Sie wollte alles ganz genau über die letzten Jahre ihres geliebten Bruders erfahren, und auch Roman tat es gut, von den schrecklichen Erlebnissen zu erzählen. Sie heirateten 1950 und Ida zog nach nebenan in den Hof der Zischgn und übernahm mit Roman den landwirtschaftlichen Betrieb. Ihre Schwiegereltern waren schon alt und kränklich, Ida pflegte sie bis sie knapp nacheinander 1956 starben.

      Kapitel 3

      Das Schicksal meinte es nie wirklich gut mit Wilhelms Mutter.

      vier Jahre nach dem Tod ihres geliebten Gatten Roman stand eines Tages der Direktor der Raiffeisen Bank in der Türe. Ida hatte vor zwei Jahren einen Kredit aufnehmen müssen - der alte Traktor bedurfte einer kostspieligen Reparatur und das Dach des Heustadels war undicht. Der darauffolgende Sommer war katastrophal. Die erste Ernte - das Friahah - fiel durch starken, späten Schneefall und gefrierende Böden bis Anfang Mai vollkommen aus. Alle Hoffnung lag nun beim Gruamet - der zweiten und letzten Ernte. Doch auch diese war durch viel Regen und kühle Temperaturen nicht zufriedenstellend ausgefallen. Ida erkannte, dass sie niemals das ganze Vieh durch den Winter bringen könnte und musste 3 gute Milchkühe verkaufen. Das wenige Geld, dass sie dafür bekam - der Viehpreis war natürlich durch die miserable Ernte im ganzen Tal im Keller - musste sie für Futter ausgeben, damit die restlichen Tiere über den Winter gebracht werden konnten. Die Rückzahlung des Kredits musste warten.

      Im Jahr darauf das nächste Unglück - bei einem schweren Gewitter auf der Hochalm stürzte eine von Idas Kühen mit ihrem Kalb einen steilen Felshang hinab. Die Hirten fanden am nächsten Tag nur mehr die von Geiern zerfressenen Überreste der Tiere. Ida bekam zwar eine kleine Abfindung der Gemeinde, doch um im Winter überleben zu können, brauchte sie mindestens noch zwei Tiere, die sie vom letzten Er

      sparten kaufen musste. Und wieder war kein Geld mehr für die Kreditrückzahlung übrig.

      Der Bankdirektor, der Ida schon seit ihrer Geburt kannte und natürlich über ihre Schicksalsschläge Bescheid wusste, musste ihr schweren Herzens die schlechten Nachrichten überbringen - da keine einzige Rate des Kredits gezahlt worden war, stellte die Zentrale in Innsbruck den Gesamtbetrag fällig. Ida musste nun entweder das Geld irgendwie auftreiben, oder der Hof, der der Bank als Sicherheit übertragen worden war, würde versteigert werden. Ida lief weinend zu ihrem Bruder Josef, Wilhelms Tet, und erzählte ihm von der Misere. Josef konnte ihr zwar selbst nicht helfen, auch er konnte nach den letzten schlechten Jahren nur mit Mühe und Not seine Familie durchbringen, aber er wusste Rat - ihr Nachbar, „Hartls Rochus“, hatte es durch seine Bergführer- und Schilehrer-Jobs zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht und spielte schon länger mit dem Gedanken, seine Landwirtschaft zu erweitern. Es wäre möglich, dass Rochus Ida den Stall und das Land abkaufen würde. So könnte sie den Kredit zurückzahlen und das Bauernhaus behalten - ein kleiner Betrag würde sogar noch übrig bleiben, den Ida für die Ausbildung von Wilhelm verwenden könnte. Ida müsste sich zwar irgendwo eine Arbeit suchen, aber es eröffneten immer mehr Gasthäuser und Pensionen im Pitztal, die Personal suchten, so sollte dies kein großes Problem sein. Rochus war auch gleich begeistert von dem Vorschlag, für ihn war der Zischgn-Hof ideal, nur zwei Häuser von seinem entfernt, auch die Felder lagen gleich neben den seinen. Er bezahlte einen sehr anständigen Preis und so kam es, dass Ida sogar einen neuen Fernseher kaufen und dann immer noch etwas Geld für Wilhelm zur Seite legen konnte. Im neugebauten „Alpengasthof Pitztal“ fand Ida auch gleich eine Anstellung als Köchin und alles schien gut zu sein.

      Kapitel 4

      Auch für Wilhelm änderte sich einiges zum Guten - er musste nicht mehr mit seiner Mutter die harte Arbeit am Feld und im Stall verrichten, er ging zur Schule und hatte am Nachmittag etwas nie Gekanntes - Freizeit nannte man das neuerdings. Er konnte tun, was er wollte - mit seinen Freunden spielen, Fernsehen oder - was er fast am liebsten tat - hinüber in den Gasthof gehen, seiner Mutter beim Kochen zusehen und natürlich von allem zu kosten.

      In dieser Zeit war es auch, als er eines Tages mit seiner Mutter im Postbus ins benachbarte Ötztal fuhr, um seine Tante Zita, die dort arbeitete, zu besuchen. In Sölden sah Wilhelm das erste Mal in seinem Leben einen richtigen, lebhaften Wintersportort. Als er aus dem Fenster des Busses blickte, während sie durch das Dorf fuhren, bekam er seinen Mund vor Staunen gar nicht mehr zu. Schon damals, es musste so um 1969 gewesen sein, hatte Sölden mehr Gästebetten als Einwohner. Wilhelm hatte noch nie so viele Leute mit so fröhlichen Gesichtern gesehen, alle strömten lachend und schwatzend mit ihren Schiern auf den Schultern und den schweren klobigen Schischuhen an den Beinen durchs Dorf. Sie verschwanden in riesigen Hotels, lauten Bars oder feinen Restaurants. In eines der letzteren führte ihn dann Zita. Sie arbeitete dort als Köchin und zeigte stolz ihrer Verwandtschaft aus dem Pitztal ihren Arbeitsplatz. Als Wilhelm die große, blitzsaubere Küche aus glänzendem Edelstahl und die dampfenden Töpfe auf dem Herd sah, als er den köstlichen Geruch von gerade fertiggebackenem Apfelstrudel einsog, wusste er, dass er soeben seine Berufung gefunden hatte. Er bewunderte die Geschäftigkeit der Köche. Einer nach dem anderen tat seines dazu, um schließlich der Kellnerin einen Teller zu reichen, auf dem ein Kunstwerk aus Speisen, Beilagen und Garnierungen arrangiert war. Wilhelm starrte wie hypnotisiert und vergaß fast darauf, die ihm angebotenen Häppchen zu verkosten. Er fühlte sich wie im Schlaraffenland und wollte gar nicht mehr mit seiner Mutter in ihr graues, kaltes, ödes Tal zurück. Aber er musste, schluchzend wurde er wieder in den Postbus gezerrt und zwei Stunden später waren sie wieder in Neurur. Aber er hatte einen Entschluss gefasst: Er wollte Koch lernen und sein eigenes Restaurant eröffnen - nicht im Pitztal, sondern irgendwo, wo es aufregender war, wo immer lachende Menschen um ihn herum waren und er die Kälte des Tales und seiner Mutter nicht mehr ertragen musste. Sein Heimatdorf kam ihm plötzlich so langweilig und dunkel vor, dass er am liebsten gleich mit der Kochlehre irgendwo in der Fremde angefangen hätte. Doch er musste zuvor noch fünf Jahre Schule hinter sich bringen, was ihm wie eine Ewigkeit vorkam.

      Er verbrachte nun jede freie Minute bei seiner Mutter in der Küche des Gasthofs und schaute ihr zu, wie sie Tiroler Greaschtel – Gröstel - verschiedene