Nina Waitz

MANGOKNÖDEL


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gar nichts mehr alleine tun. Je mehr Zeit sie hatte – und davon hatte sie sehr viel – desto mehr grübelte sie über ihr zerstörtes Leben nach und wurde verbitterter und verbitterter. Daran konnte auch ihr Sohn nichts ändern, obwohl er sich rührend um sie kümmerte.

      Und es wurde sogar noch schlimmer. Als Wilhelm ihr die Geschichte über die gefährliche Fahrt ins Krankenhaus erzählte, rief sie laut aus: „Hattets mi doch sterben lassen, dann hatt i es endlich hinter mir!“ Und das meinte sie auch wirklich so. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr verfestigte sich der Gedanke, dass ihr Bruder und ihr Sohn die ganze Schuld an ihrem Elend trugen. Gott wollte sie erlösen, er wollte, dass sie stirbt. Doch Josef und Wilhelm behinderten die Ausführung des göttlichen Plans. Und jetzt musste sie wieder dafür büßen. Dieser sei er auch noch so absurde Gedanke verfestigte sich in Idas Gehirn und wurde für sie Wirklichkeit.

      Nach einigen Wochen wurde Ida entlassen, im Krankenhaus konnte man nichts mehr für sie tun, sie konnte wieder nach Hause. Alle hofften, dass sich ihr Gemütszustand in den eigenen vier Wänden bessern würde und sie versuchten, es ihr so bequem und angenehm wie möglich zu machen. Josef hatte das Erdgeschoß des Bauernhauses ein bisschen umgebaut und es behindertengerechter gestaltet. Idas Bett stand nun in der Stuba, dem Wohnzimmer. Ein Rollstuhl stand daneben, der im Bedarfsfall zur Toilette umgebaut werden konnte. Sie hatten den Tisch fein gedeckt und mit Blumen geschmückt und Wilhelm hatte sogar ein „Willkommen daheim, Mama!“ – Schild gebastelt. Den ganzen Tag hatte er schon in der Küche verbracht und Mutters Lieblingsspeisen gekocht – Käspressknödel mit Suppe, Gröstel und zum Nachtisch ein selbst gemachtes Eis.

      Josef trug Ida ins Haus hinein und betrat frohen Mutes die Stuba, wo Wilhelm schon gespannt wartete: „So, Ida, schaug wie viel Mühe der Wilhelm sich gmacht hat und wia schian er alles für di hergrichtet hat. Freusch di, dass wieder daheim bisch?“

      „Warum soll i mi gfreien? Für an Krüppel ist es egal, wo er lebt“, erwiderte Ida zum großem Entsetzen aller. Bestürzt setzte Josef seine Schwester in den Rollstuhl und versuchte es noch einmal: „Na kimm, jetzt tun wir erstmal essen, dann schaug die Welt glei viel besser aus“. Griesgrämig murmelte Ida: „Man hat keinen richtigen Appetit, wenn man nur herumliegt und sich nit rühren kann, aber woher sollsch du des wissen“.

      Josef wollte nicht aufgeben und bemerkte: „Der Appetit kimmt sicher, wenn siehst, was der Wilhelm Gutes gezaubert hat”, und zu Wilhelm gewandt: „Na kimm, Bua, lass dei Muater nit verhungern, bring mal die Vorspeis!”

      Der Junge lief hinaus in die Küche. Ida murmelte weiter: „Wenn es wüsstets, welche Freud es mir machats wenns mi verhungern lassen würdets”. Da wurde es sogar Josef zuviel. Er setzte sich seiner Schwester gegenüber hin und schaute ihr scharf in die Augen. „Wir wissen alle, dass es nit leicht für di isch, aber für uns a nit. Und vor allem dei Bua hat sich des nit verdient, er hat für di die Stelle beim Goldenen Adler in München aufgeben und damit seinen großen Traum. Er bemüht sich so fest, dir das Leben wieder etwas lebenswerter zu machen, schätz des wenigstens a bissl!”

      Durch den scharfen Ton in Josefs Stimme wagte es Ida nicht, noch einmal dagegenzureden und verhielt sich den ganzen Abend ruhig. Aber die Argumente ihres Bruders waren an ihr abgeprallt, war es in ihren Augen doch die Schuld der zwei Männer, dass sie jetzt in diesem jämmerlichen Zustand den hoffentlich nicht mehr großen Rest ihres Lebens verbringen musste.

      Kapitel 9

      Nachdem endgültig klar war, dass Ida nie wieder ganz gesund werden und immer auf Hilfe angewiesen sein würde, kam Josef zu Wilhelm, um über die Zukunft zu reden. Er erzählte ihm, dass Idas ehemalige Arbeitsstelle im benachbarten Alpengasthof Pitztal immer noch frei wäre und der Wirt Wilhelm gerne anstellen würde.

      „Das wär doch ideal, du machst die Frühschicht und in dieser Zeit könnt mei Frau, die Inge, bei deiner Muater sein. Sie würd’ des gerne machen. Ihr ist eh langweilig, seit die Kinder in der Schul sind und mir die Bauernschaft verkauft haben”. Josef hatte eine gute Stellung beim Riffelseelift bekommen und hatte keine Zeit mehr für die Landwirtschaft. Außerdem verdiente er so viel, dass sie diese nicht mehr brauchten. „Du muast a bisserl unter die Leit, Wilhelm. Immer mit der Muater zusammen sein, macht di triabsinnig”. Wilhelm musste seinem Onkel insgeheim recht geben, das Zusammenleben mit der kranken Ida war nicht einfach. Und obwohl er doch so viel lieber in die weite Welt aufgebrochen wäre, wusste er, dass er seine Mutter nicht im Stich lassen konnte. Und er musste einsehen, dass er wirklich in den letzten Wochen, die er mit seiner Mutter Großteils allein im Haus verbracht hatte, immer trauriger und trauriger geworden war. Also biss er in den sauren Apfel und heuerte im provinziellen Gasthof in Neurur an und kochte Schnitzel mit Pommes statt Entrecote mit Kartoffelgratin. Er war ja noch jung - machte er sich Mut – die große weite Welt lief ihm ja nicht weg.

      Kapitel 10

      Jung war Wilhelm noch, aber man musste zugeben, keine Schönheit. Er glich eher einem damals gerade berühmt gewordenen Michelin-Männchen, war klein gewachsen, dafür aber breit. Sein Gesicht glich einer roten Kugel mit blonden Haaren. Früher war es ihm egal gewesen, wenn ihn seine Mitschüler gehänselt hatten, er glaubte ja zu wissen, dass er bald weg aus dem Tal sein und sie nie wiedersehen würde. Seit damals war er ein in sich gekehrter Einzelgänger, er wollte nie sonderlich viel mit anderen Menschen außer seiner Familie und seinem Lehrer zu tun haben. Doch nun mit 20 Jahren war sein Interesse am anderen Geschlecht erwacht und irgendwie sehnte er sich nach weiblicher Gesellschaft.

      Im Gasthof arbeitete auch Hartls Gitti, sie war die Tochter des Besitzers und für die Bar und Getränke zuständig. Wilhelm kannte sie natürlich schon seit Kindertagen, sie war zwei Jahre jünger als er und am Nachbarhof aufgewachsen. Bis jetzt hatte er sie nur als kleines Nachbarmädchen gesehen. Doch nun fiel ihm auf, dass jedes Mal, wenn er beobachtete, wie sie sich zu den Getränkekisten am Boden hinunterbückte und ihm ihr Hinterteil entgegenstreckte, sein kleiner Willy in der Hose zum Leben erwachte. Auch bemerkte er jetzt die weiblichen Rundungen, welche Gittis Körper über Nacht – so schien es ihm zumindest – angenommen hatte. Sein Blick blieb immer öfters am tiefen Ausschnitt ihrer eng anliegenden weißen Kellerinnenbluse hängen und wie zum ersten Mal sah er ihr engelsgleiches blondes Haar. Ganz zu schweigen von ihrem Gesicht – plötzlich erkannte er, wie faszinierend tiefgründig das Blau in ihren Augen war, wie zart und rosig die Haut, die ihre Wangen umspannte und wie weich und rot ihre Lippen lockten. Irgendetwas hatte sich geändert. Irgendetwas Seltsames, das er nicht kontrollieren konnte.

      Eines Tages stand er im Gastraum hinter der Bar und holte eine neue Packung Milch aus dem kleinen Kühlschrank unter der Theke heraus. In dem Moment, als er die Kühlschranktüre schloss und sich aufrichtete, kam Gitti schnellen Schrittes mit einem Tablett voller Gläser um die Ecke geflitzt. Da er sich zuerst hinunter gebückt hatte, war er für sie nicht sichtbar gewesen. Das Unvermeidliche geschah – sie prallten aufeinander und die Gläser fielen mit lautem Geklirre zu Boden. Jeder im gut gefüllten Gastraum schaute jetzt zu ihnen hin. Gitti schrie zornig: „Kannsch nit aufpassen, du Elefant im Porzellanladen?“. Wilhelm lief hochrot an, er konnte spüren, wie das Blut in seinem Gesicht kochte. Kein klarer Gedanke ließ sich fassen und er stammelte nur leise: „Tsch-Tsch-Tsch-Tschul-dige“ und rannte schnurstracks in die Küche, wo er sich gedemütigt auf einen Edelstahltisch setzte. Er verbarg sein Gesicht in seinen Händen und dachte: ‚Nun weiß ich, was Gitti von mir hält – ich bin ein Elefant, der tollpatschig im Porzellanladen Scherben macht’. So gerne wäre er etwas Anderes für sie gewesen. Plötzlich hörte er Schritte näherkommen. Er schaute auf und blickte direkt in diese tiefblauen Augen. Wieder glühten seine Wangen und nahmen die Farbe einer reifen Tomate an. Gar nicht mehr zornig, sondern sogar irgendwie liebevoll, sagte Gitti: „Es tuat mir load, Wilhelm. Du hasch ja nix dafür kennen, i hätt di nit so anschreien dürfen.“ Sie nahm seine Hand und fuhr fort: „I hoff, du kannsch mir noamol verzeihen“. Wilhelm wusste nicht, was er sagen sollte, sein Herz schlug wie ein Hammer in seiner Brust, seine Kehle war wie zugeschnürt. Das Einzige, was er hervorbrachte war ein stotterndes „J-j-ja s-s-s-s-icher, k-k-k-kua Pro-pro-problem“. Gitti strahlte ihn an, drehte sich um und ging wieder hinaus. Wilhelm blieb mit immer noch laut klopfendem Herzen und hochrotem Kopf zurück.