es wirklich tun. Das ist die Erkenntnis, die mein Leben verändert hat.
DANACH
Umso mehr Schmerz ich ihm zufüge, desto besser für ihn.
Im Grunde müsste ich ihn töten, um selbst heil aus der Sache herauszukommen. Ich weiß nicht, ob ich es tun werde. Ich habe es nicht vor, aber ich schließe es auch nicht aus.
Wir haben keine Ahnung, wer wir sind. Ist das Schicksal gnädig, wirst du nie erfahren, ob du in der Lage bist, einen anderen Menschen zu töten. Oder dich selbst.
WER IST HUBERTUS LINK, 53?
Er würde es so nie sagen, aber was er denkt, ist:
Es ist unglaublich einfach, Erfolg zu haben. Wenn man ohne Aufhebens darum zu machen die Standards erfüllt, die Basics. Regel eins ist, fleißig zu sein, diszipliniert, fokussiert. Statt darüber zu lamentieren, früh aufstehen zu müssen: früh aufstehen. Statt darüber zu jammern, die Nacht für eine Präsentation durcharbeiten zu müssen: die Nacht durcharbeiten für eine Präsentation. Statt sich davon vergiften zu lassen, im Meeting von einem Vorstandskollegen ungerecht behandelt zu werden: es akzeptieren, abspeichern, den nächsten Schritt gehen. Regel zwei ist, den eigenen Kopf sauber zu halten von all dem Mist, der draußen in der Welt ist und dauernd bei dir anklopft. Ignoriere die falschen Träume, die dich bedrängen, denke nicht darüber nach, wie du bist, wer du bist und was die anderen von dir halten. Regel drei lautet, auf die Macht des Vorwärtsstrebens zu vertrauen. Wie ein Baseball-Spieler, der ständig angerempelt wird und sich davon einfach nicht beeindrucken lässt. Jeder Sieg erkauft durch Schmerzen.
Hubert Link kennt sein Opfer. Sebastian Molitor, ein hübscher Junge mit einem Gesicht, dem fehlt, worauf es ankommt. Links irrer Gedanke ist, es sei seine Aufgabe, das zu ändern.
Wie kam es zu der Entführung?
Link war bis 22 Uhr in seinem Büro, es ist seine Firma, 300 Mitarbeiter, er ist einer von drei Chefs, wen ihm jemand gefällt, schiebt er ihn in der Hierarchie ein Stück nach oben, wenn jemand anfängt, ihn zu stören, sorgt er dafür, dass er das Unternehmen verlässt.
Das Vergnügen, als Letzter das Gebäude zu verlassen, ist mit Geld nicht aufzuwiegen. Er geht durch die leeren Gänge und alles, was er sieht, erinnert ihn an ihn selbst. Sein dicker, gepolsterter 7er BMW in der Tiefgarage empfängt ihn wie einen Freund.
Link fährt an diesem Abend nicht gleich nach Hause, sondern zu einem dieser legendären Events, die Friedrich Molitor in unregelmäßigen Abständen veranstaltet. Alle paar Monate bekommen Link und etwa 50 andere Männer, die unter dem Label Rough Trade eine formlose Gemeinschaft bilden, ein Mail, in dem nicht mehr mitgeteilt wird als eine Adresse und ein Datum. Obwohl Link den alten Molitor und dessen Inszenierungen verachtet, geht er hin. „Es ist etwas in uns“, denkt er, „das uns auffordert, etwas zu tun, das nicht in unser Leben passt. Wir brauchen etwas, von dem die anderen nichts wissen. Wenn wir in einem Meeting sitzen oder ein Geschäftsgespräch führen, müssen die anderen eine Ahnung davon bekommen, dass hinter unserer Straightness ein Abgrund lauert, ein Schatten, ohne den wir nicht so stark wären, wie wir sind.“
Die Zusammenkünfte finden in alten Villen oder ehemaligen Industrieanlagen statt, die Räume sind diffus beleuchtet, Räume wie Drogen, das ist das Konzept. Man bewegt sich sofort anders, wenn man das Gebäude betritt, man hat das Gefühl, Sex zu haben, noch bevor irgendeines der Mädchen einen berührt. Man hat keine Vorstellung davon, wie groß die Zimmer sind, der Eindruck ist: sie sind riesig, nahe an unendlich. Die Augen weit geschlossen, eyes wide shut, es ist wie ein billiger Nachbau des Stanley-Kubrick-Films mit Nicole Kidmann und Tom Cruise. Nicht so hart wie das Original, damit es in der Wirklichkeit funktioniert, aber immer noch mit genügend Sex und leichten Drogen, um in einen angenehmen Schwindel zu geraten.
Link gehört zu denen, die sich zurückhalten, er hat keinen Sex vor den Augen anderer, aber es ist aufregend, berührt zu werden, diese Berührungen zu erwidern und sie dann sanft zurückzuweisen, was immer sofort akzeptiert wird. Voyeure sind kein Problem bei Molitors Partys, es gibt genügend Gäste, die es zu schätzen wissen, beobachtet zu werden und das Schnaufen und Flüstern der anderen zu hören.
Es ist, wie es ist, bis zu dem Moment, als ein junger Mann ihn von hinten umarmt, und Link, nachdem er sich losgemacht hat, erkennt, um wen es sich handelt: Sebastian Molitor, der Sohn des Gastgebers. Er trägt einen Kapuzenpulli und weiße Sneakers. Link muss mit dem Jungen sprechen, sofort, und weil das gegen die Regeln verstößt, packt er Sebastian im Nacken, zieht ihn zu sich heran und flüstert ihm ins Ohr.
„Sebastian, du musst hier weg.“
Der Junge drückt sich näher an ihn, viel zu nah, es ist nichts Sexuelles, es ist besser. Link spürt Sebastians schockierend weiche Wange und fordert ihn auf, mitzukommen. Sebastian willigt arglos ein und besiegelt damit sein Schicksal.
Getrocknetes Blut am Kinn ist eine gute Erfahrung. Sebastian erwacht mit einem sanften Dröhnen im Kopf und braucht Zeit, sich zu orientieren. Er trägt die Kleidung vom gestrigen Abend, ist aber barfuß, die Bewegungen schmerzen wie nach einem harten Workout nach zu langer Pause. Er trägt Handschellen, neu und glänzend, die mittels einer Kette mit einem Haken an der Wand verbunden sind. Er setzt sich auf und lehnt sich gegen die Wand, wie ein Sportler nach einem verlorenen Spiel. Er wartet, aber es stellt sich keine Angst ein, keine Panik. Es ist ihm bewusst, dass die nächsten Stunden schrecklich werden können, die schlimmste Zeit in seinem Leben. Aber so sehr er sich das auch vorsagt, er kann nicht daran glauben. Sein Gefühl sagt ihm, dass schreckliche Dinge nicht geschehen. Das Schlimme, das passiert, passiert nicht ihm.
Sebas, wie ihn seine Freunde nennen
Link ist es gewohnt, sich zu fokussieren und Dinge, die ablenken, auszublenden. Aber das hier war anders, es war kein Akt des Willens, die komplette Abgeschlossenheit war einfach da, es war, als sorgte irgendeine höhere Macht dafür, dass er bereit war.
Sebastian Molitor, so sah es Link, war das Gegenteil, ein verfluchtes Blatt im Wind, das den Wind, den es brauchte, selber machte. Schon im Auto redete er dummes Zeug, junge Leute sind entweder verstockt oder redselig vernarrt in ihr Bescheidwissen, weshalb sie auch nicht auf die Idee kommen, sich selbst hin und wieder Einhalt zu gebieten. Sebastians Hauptthema war sein Vater, was ein ziemlich schlechtes Licht auf ihn warf. Sebas, wie seine Freunde ihn nennen, sprach von Phasen, die er hinter sich habe, in denen er gerade sei oder die unmittelbar davor seien, zu beginnen auf seinem Weg wohin auch immer. Bis vor drei Monaten habe er seinen Vater und dessen Geschäfte, also die PR-Agentur Frontpoint Communications und diese kranken Events, bei denen abgefuckte alte Männer auf dumme Hühner treffen, verachtet, inzwischen aber amüsiere ihn das alles, „ich betrachte meinen Alten wie ein Insektenforscher Insekten betrachtet“, „man muss den Feind studieren, bevor man ihn bekämpft“, es war ein unglaublich dummer und selbstgefälliger Quatsch, den Sebastian von sich gab. Link gab sich wohlwollend und interessiert, war in Wahrheit aber voller Verachtung.
Als Sebastian sich einen Joint anzündete, fragte er nicht, ob das in meiner Wohnung okay sei, sondern ob ich auch einen wolle. Er fragte es beiläufig, weil es sein Ego streichelte, keine große Sache daraus zu machen.
Ich sah alles so, wie man es sehen muss, unverstellt. Ganz anders Sebastian, er schlenderte durch mein Wohnzimmer, rauchte scheinbar selbstvergessen (in Wirklichkeit das Gegenteil von selbstvergessen) und war sich sicher, von mir betrachtet zu werden, wenn er dekorativ ins Nichts schaute. Ich empfand dieses Verhalten als Angriff, als unfreundlichen Akt, als Aufforderung, Gegenmaßnahmen einzuleiten.
„Nimm noch einen Drink, diesmal einen richtigen.“
Die Tropfen wirkten schnell und fabelhaft, als Sebastian Molitor zusammenklappte war das wie ein Naturschauspiel, berückender als ein Sonnenuntergang. Er sah mich an mit verdrehten Augen, ich lächelte freundlich zurück,