Utina Kiani

Marokko


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als das halbe Geld gab, nicht gnadenlos über den Tisch gezogen? Marokko, so das zweite Bild in unserern Köpfen, steht auch für Terrorismus und Islamismus, zumindest jedoch für Kriminalität, Gaunerei und Betrug und es macht, so gesehen, ein wenig Angst.

      Beides ist Marokko natürlich so nicht; andererseits enthalten Bilder im Kopf oft auch einen Funken Wahrheit. Marokko erscheint jedenfalls voll von Gegensätzen und Widerspüchen: Es ist ein kaltes Land mit heißer Sonne, ein armes Land mit großem Reichtum, ein gastfreundliches Land hinter hohen Mauern. Es ist modern und rückwärtsgewandt, arabisch, afrikanisch und europäisch und dabei irgendwie immer auch auf der Suche nach sich selbst. Im Reiseführer heißt so etwas gern 'Land der Extreme', aber selbst Marokkaner fragen sich angesichts all dieser Widersprüche schon manchmal, ein wenig ironisch zwar, aber doch auch ernst gemeint: „Wie kann man Marokkaner sein?“ und dies durchaus nicht nur im Buchtitel des marokkanischen Autors Abdesselam Cheddadi (2009).

      Eine Antwort darauf, wie man überhaupt Marokkaner sein kann, soll und kann natürlich ausgerechnet hier auch nicht gefunden werden. So gesehen scheint aber auch schon ein Ratgeber für ein besseres Verstehen des Landes und einen pflegeleichten Umgang mit Marokkanern, eine Art Reise-Knigge für Marokko als Anleitung für richtiges Verhalten in allen Fällen, ein aussichtsloses Unterfangen zu sein, das eigentlich nicht gelingen kann. Andererseits tut Orientierung not, gerade angesichts der Widersprüchlichkeiten. Ein Fettnäpfchen ist da nämlich sonst schnell gefunden. Höchste Zeit also dennoch ein paar Erfahrungen und Tipps aus den nun mehr als fünfzehn Jahren, die ich hier in Marokko verbracht habe, aufzuschreiben. Dies geschieht mit großer Zuneigung für das Land, bisweilen auch mit einem leichten Augenzwinkern und alles dank der Einsichten und Ansichten, die ich durch meine marokkanische Familie, als auch durch die Studenten, mit denen ich hier arbeiten durfte, gewonnen habe. Dem großen Vorbild aller Ratgeber durchaus ähnlich, kann ich vorab schon einmal sagen, dass man mit Freundlichkeit, Respekt und Fingerspitzengefühl, aber auch mit Wissen und Verständnis sicher am weitesten kommt und eine wirklich schöne Zeit in Marokko verbringen kann.

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      Foto: Marokkaner, Graffiti in Marrakesch

      Mosaik aus Marokko

      Zellige sind kleine Mosaiksteine, unscheinbare, glasierte Terrakotta-Stücke in einfachen geometrischen Formen und wenigen Farben, die zusammengesetzt eines jener faszinierenden Mosaikbilder ergeben, wie man sie in Marokko in allen Städten, an Brunnen, Wänden und Böden finden kann. In den Palästen und schmucken Riads in Fes, Meknes und Marrakesch, aber auch in der groβen Moschee Hassan II. in Casablanca präsentieren sie sich ihrer künstlerischen Hochform, quasi als Inbegriff maurischer Architektur und Baukunst. Ein Stern mit acht, sechzehn, achtundvierzig und mehr Ecken dient ihnen als Ausgangsmuster. Es ergibt eine Welt der Sterne, unendlich, schön. Reisende aus aller Welt haben sich schon in ihre geniale Einfachheit verloren und Mathematiker in ihre komplexe Geometrie. Die miteinander verbundenen Muster können in Unendlichkeit fortgedacht werden, sie sind also immer Teil eines alles überragenden Ganzen. Dabei sind die Zellige-Mosaiken einerseits in all ihren Teilen absolut perfekt, erlangen andererseits aber erst durch leichte Unebenheiten ihre unbeschreibliche Kraft und Lebendigkeit. Diese Welt der Sterne ist alles in allem vielleicht die beste Wahl, sich dem Land Marokko zu nähern, denn sie nimmt bei all ihrer Perfektion und Schönheit doch auch schon die Widersprüchlichkeiten in sich auf. Denn die wunderbar glänzenden Keramikteile für das Gesamtmosaik werden nach wir vor in mühevoller Handarbeit gefertigt und bringen doch auch viel Staub und wenig Lohn mit sich.

      Vorab gebrannt und emailiert werden Zellige aus einem Kachelstück gebrochen und dabei bleibt die Genauigkeit und Geschwindigkeit dieser Arbeit angesichts des kargen Werkzeugs für mich ein absolutes Faszinosum. Unglaubliche dreihundert Zellige sollen geübte Hände dabei pro Tag schaffen können. Es ist uralte Erfahrung, lange Übung, oft noch immer vom Vater auf den Sohn weitergegeben und es braucht sicher etliche Jahre, Jahrzehnte bis zur Meisterschaft. Der Name dieses Meisters, der daraus dann auch das Mosaik legt, tritt aber praktisch nie in Erscheinung. Es geht um die Schönheit des Werkes und dessen Vewurzelung in der Tradition und nicht um die Person des Künstlers und dessen Eitelkeit. Das schöne Spiel mit Sternen und Mustern ist aber nicht nur hohe Kunst. Es ist auch Verzierung des Alltags und findet sich praktisch überall, auf schnöden Fabrikflieβen, auf einfachen Tellern oder auf hennabemalten Händen.

      Eine Art Mosaik soll auch auch diese kurze ‚causerie sur le Maroc‘, diese 'Plauderei über Marokko' sein: Bunte Fragmente persönlicher Wahrnehmungen und scheinbar unscheinbare Erzählungen über das Land und seine Bewohner mögen sich zu einem ganzheitlichen Marokkobild zusammenfügen und sollen dabei gleichzeitig Linien der Orientierung und eine Ahnung von der Komplexität dahinter bieten. Vor allem aber soll das von mir hier gezeichnete Bild offen und endlos bleiben und durch Ihre eigenen Wahrnehmungen und Erfahrungen als Reisegast in diesem Land weitergeführt werden. Denn Marokko erfahren und besser verstehen, ist unbedingt eine groβe Bereicherung. Da, wo ich herkomme, wird noch immer allwöchentlich das Trottoir gefegt, die Hecken haben Fassonschnitt und die Busse kommen exakt nach Plan. Alles ist aufgeräumt, sauber, bestens organisiert und allemal überschaubar. Wie wunderbar wild dagegen wuchert hier die Bougainvillia, wie herrlich weit ist das Land und wie heiter und entspannt durcheinander ist Marokko im Vergleich dazu. Manchmal aber eben auch karg und anstrengend chaotisch. Alles ist irgendwie in Bewegung, nichts ist sicher, die Buszeiten nicht, die Paragraphen nicht und die Stromversorgung auch nicht. Viele Dinge verlieren hier ihre gewohnte Selbstverständlichkeit und Betrachtungsweise, können so aber auch einmal von einer ganz anderen Seite gesehen werden. Legt man die Angst als auch die Exotik beiseite, kann man in Marokko meines Erachtens eine ziemliche Erdung, einen Blick für Wesentliches und einiges an Zufriedenheit und Dankbarkeit mitbekommen.

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      Foto: Bereicherung Marokko: geheimnisvoll, heiter, anders

      Fahrschule für unterwegs

      Wenn man in Deutschland mit dem Auto aus einer Ortschaft fährt, kommt oft schon in Sichtweite der Ortschild vom nächsten Dorf. Alles ist gewissermaβen übersichtlich und kompakt, irgendwie aber auch beengt. Was für ein weites Land dagegen ist Marokko! Die Entfernungen sind groß, die Landschaft weit und offen und bei Fahrten über das Land kann man in der Steppe bisweilen sogar noch auf Nomaden mit ihren Zelte treffen.

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      Foto: Nomaden in der Halfagras-Steppe

      Mit dem Auto unterwegs zu sein ist da natürlich praktisch. Man muss auch nicht unbedingt gleich von Paris nach Dakar oder von Hückeswagen nach Erfoud rasen, denn einen Mietwagen zu leihen ist auch in Marokko gar kein Problem. Neben den großen internationalen Autovermietern an Flughäfen und in den Touristenzentren findet man in vielen Städten an jeder zweiten Hausecke ein Auto zu mieten. Die Firmen haben da meist kleine Schilder mit ausgesprochen phantasievollen Namen wie 'Fouddy Car' oder 'Azur Car - Location de voiture' und ihr Inventar beschränkt sich im Großen und Ganzen oft auf das Familienauto des Firmeninhabers. Günstig ist das trotzdem nicht unbedingt und auch auf Abenteuer sollte man da gefasst sein, aber auch deshalb kommt man als Tourist ja vielleicht nach Marokko. Wenn Sie vorab das Gefährt in Augenschein nehmen und auf seine Fahrtüchtigkeit prüfen, sollten Sie auch nicht vergessen, die Hupe zu kontrollieren, denn die ist hierzulande mindestens so wichtig wie die Bremse. Natürlich kann man sich auch sorglos in einem alten Mercedes chauffieren lassen, indem man einfach in eines der vielen Überlandtaxis steigt. Das hat auβerdem den unbedingten Vorteil, dass man dabei schnell ins Gespräch kommt, aber man sollte vielleicht für zwei Fahrgäste bezahlen, sonst wird der Kontakt auch schnell zu eng und die Reise zur Tortur. Denn auf dem Beifahrersitz sitzen nämlich normalerweise zwei Fahrgäste, hinten quetscht man sich zu viert und ringt bisweilen um Luft, denn Abfahrt ist in der Regel erst, wenn auch alle Plätze besetzt sind.

      Bevor Sie sich dann vielleicht doch für einen Leihwagen entscheiden und mutig losfahren,