Angelika Storm

Der Tanz mit der Kobra


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ich sehr guten Kontakt.“ Ich ging wütend weg vom Messestand und überlegte, ob ich nach Hause fahren sollte. Doch ich beruhigte mich wieder und ging zurück. Mit meinem Verhalten zeigte ich ihm aber deutlich, dass er so nicht mit mir umgehen durfte.

      Seine so genannte Ehrlichkeit sollte mir noch manchmal Schmerzen bereiten. Wir bauten die Messe gemeinsam ab und ich half Jo später die Aufträge zu schreiben und zu packen.

      ***

       Verächtlich schaute mich meine Tante an. Es fiel dem kleinen Mädchen schwer, der Tante freundlich die Hand zu geben, da die Ablehnung sehr deutlich war. Die Angst und Wut des kleinen Mädchens hatte keine Chance. Hilflos biss es die Zähne zusammen und machte brav einen Knicks.

      ***

      „Wie lange warst du verheiratet“, fragte Jo. Ich fragte zurück: „Meinst Du meine erste, zweite oder dritte Ehe?“ Nun stutzte er. „Du warst dreimal verheiratet?“ Es war mir immer wieder unangenehm, dieses zu erzählen. Aber mein Leben verlief nun mal so, und wenn ich mit diesem Mann zusammen leben wollte, musste ich ehrlich sein. Das war jedenfalls meine Grundhaltung, die ich für selbstverständlich hielt. „Wie kam das?“ fragte Jo. Ich erzählte ihm, dass ich damals mit 16 Jahren mit meinem damaligen Freund eine Schwangerschaft plante, um heiraten zu können um von zu Hause wegzukommen. „Somit habe ich mit 16 Jahren das erste Mal geheiratet und war mit 19 schon wieder geschieden.“ „Eine Kinderehe“, sagte Jo wegwerfend, „das zählt doch nicht.“

      Neugierig fragte er: „Warum wolltest du denn von zu Hause fort?“ „Mein Vater hat mich über Jahre sexuell missbraucht. Damals schien es die einzige Möglichkeit von zu Hause weg zu kommen, ein Kind zu zeugen um heiraten zu können.“ Jo fragte nach Details. Nein, ich wollte keine Details erzählen. Das hatte ich noch nie getan.

      „Dann hat er dich auch noch als du schon 16 Jahre alt warst, sexuell belästigt?“ Ich nickte verschämt. „Wieso hast du dich nicht gewehrt?“ Wieder stieg ein altes Schuldgefühl in mir auf. Wie sollte ich einem Außenstehenden erklären, dass es mir nicht möglich war mich zu wehren. Durch meine Therapie und Kontakte zu anderen Missbrauchsopfern wusste ich, dass es keiner möglich war, dem Missbrauch zu entgehen. Das hatte mit der Struktur der Familie zu tun. In meiner Familie war gehorchen oberste Priorität. „Es ging nicht“, sagte ich abweisend. „Ich war nur froh, als meine Tochter ihrem Vater ähnlich sah.“ Das ließ ich so in der Luft hängen. Jo merkte endlich, dass ich dieses Thema mit ihm nicht diskutieren wollte und schaffte es tatsächlich, nicht weiter zu bohren.

      ***

       Mein Vater stand bettelnd mit Tränen in den Augen vor mir. „Dieses Kind bekommen wir gemeinsam groß. Bitte heirate nicht.“ Er tat mir leid. Ihm war scheinbar nicht bewusst, dass dieses Kind, welches ich in unter meinem Herzen trug, mir endlich die Flucht aus dem Elternhaus ermöglichte.

      ***

      „Und deine zweite Ehe?“, fing Jo wieder an. „Woran ist die gescheitert?“ Ich überlegte, wie viel ich ihm erzählen wollte. Ich lachte über meinen Schmerz hinweg, den ich nach so vielen Jahren wieder spürte. „Meine zweite Ehe dauerte nur zwei Monate.“ Neugierig sah Jo mich an. Flapsig sagte ich: „Mein zweiter Mann hat den Vater seines besten Freundes erschlagen. Bei der Scheidung war er in Hand-schellen. „Oh,“ sagte Jo erstaunt, „das war ja ein kurzer Ausflug. „So kann man es auch nennen“, antwortete ich trocken.

      Nein, ich erzählte ihm nicht, wie sehr ich diesen Mann geliebt hatte. Auch nicht, dass er mich schlug und demütigte und neben mir andere Frauen hatte. Wir lebten ungefähr ein Jahr zusammen. Vielleicht war ich ihm sogar hörig gewesen. Jedoch durch seinen Gefängnisaufenthalt bekam ich den nötigen Abstand, um diesen Mann zu verlassen. Viel später erfuhr ich, dass dieser Mann meine Tochter missbraucht hatte. Lange haben mich Schuldgefühle heimgesucht obwohl dieser Missbrauch in einer Zeit stattfand, in der ich im Krankenhaus war und ich es wirklich nicht mitbekommen konnte. Dass dieser Mann meine Tochter mit einer Waffe bedrohte und sie damit zum Schweigen brachte, erfuhr ich erst Jahre später.

      „Wie war es mit deinem dritten Mann?“ fragte er weiter. „Ich würde sagen, wir haben uns auseinander entwickelt. Oder anders ausgedrückt, ich habe mich von ihm wegentwickelt. Wir waren 14 Jahre verheiratet. Dies war meine beste und längste Beziehung, die ich hatte. Wir haben heute noch losen Kontakt.“ „Das ist schön“, sagte Jo. „Ich habe zu meiner Exfrau auch noch losen Kontakt. Man hat sich ja mal geliebt.“ „Wie lange warst du verheiratet?“ fragte ich. „20 Jahre. Wir hatten eine sehr gute Ehe und auch eine wunderbare Sexualität.“ So genau wollte ich es nun auch wieder nicht wissen. Da gab es bei Jo keine Grenzen, wie ich schon öfter bei ihm erlebt hatte. „Warum war denn deine Ehe vorbei, wenn sie so schön war?“ Er wand sich ein bisschen. „Na ja, da gab es andere Frauen. Aber ich habe mich geändert; Menschen ändern sich im Laufe der Jahre, “ setzte er hektisch hinterher. Er muss meinen entsetzten Blick gesehen haben. Wie lange wird es dauern, bis es neben mir andere Frauen gibt?

      ***

       Mutti sagte zum kleinen Mädchen: „Hole Papa zum Mittagessen, er ist bei der Nachbarin.“ Ich hüpfte über die Straße zur Nachbarin. Papa und die Frau hielten sich im Arm. Als ich eintrat, ließen sie sich schnell los. Das kleine Mädchen war noch nicht mal sechs Jahre alt und konnte die Situation nicht einordnen. Also wurde es schnell wieder vergessen.

      ***

      Erstes Misstrauen

      Es war Samstag. Wir wollten gemeinsam bei mir das Wochenende verbringen. Jo wollte noch mit einer jungen Frau reden und mich danach besuchen. Ich wartete mit dem Mittag auf ihn. Die Kaffeezeit nahte und bald war es Zeit zu Abend zu essen. Um 21 Uhr entschied ich wütend ins Bett zu gehen und ihn nicht mehr herein zu lassen. Gegen 23 Uhr klingelte es an meiner Tür. Ich zog meinen Morgenmantel an und öffnete entgegen meiner Entscheidung doch die Tür. Frostig ließ ich ihn ein. Strahlend nahm Jo mich in den Arm. Ich wand mich heraus und setzte mich im Wohnzimmer auf das Sofa. „Was ist los?“ fragte er erstaunt. Fassungslos sah ich ihn an. Dann stand ich auf und legte los: „Du hast dich den ganzen Tag damit aufgehalten, einer Person ein bestimmtes Thema mitzuteilen. Diese Frau muss ja so interessant für dich gewesen sein, dass du vergessen hast, dass ich auf dich warte. Das wenigste, was ich erwartet habe, ist, dass du mich anrufst. Und bevor du mich mit deinen therapeutischen Fragen wieder auskillst: Ist das ein Benehmen eines Mannes in deinem Alter, mich Stunde um Stunde warten zu lassen, während du mit einer hübschen jungen Frau den Tag verbringst?“ Jo ging aufgeregt im Wohnzimmer auf und ab. „Mir ist schlecht, fast kotzübel. Diese Frau muss so interessant für mich gewesen sein, dass ich vergessen habe, dass du auf mich wartest?“ wiederholte er zynisch. „Das impliziert, dass du erwartet hast, dass ich sage, ach, du hast erwartet, dass ich dich anrufe. Es impliziert weiter, dass du diesen Satz als auskillen erlebst, des Weiteren, das du diesem Auskillen vorbauen musst in diesem Kampf, der für dich so eine Art kalter Krieg zu sein scheint. Du sprichst aber aus deinem Modell. Und dein eisiger Ton und die eisige Stimmung, die hier zu spüren ist, entsteht nur aus dem, was in deiner Fantasie entstanden ist.“

      Müde setzte ich mich wieder aufs Sofa. Nun schlug mein Sarkasmus wieder zu. „Stell dir vor, du bist es, der sich Stunde um Stunde darauf freut, dass seine Partnerin wohl irgendwann mal auftauchen wird. Natürlich weißt du, wie attraktiv der Mann ist, mit dem sie sich trifft. Aber das stört dich ja nicht, denn du hast absolutes Vertrauen und bist nach Stunden glücklich, sie in die Arme schließen zu können.“

      Nun stemmte Jo die Hände in die Hüften: „Na, das ist ja nun Sarkasmus pur. Ich kenne den Film nicht, der da bei dir ablief, aber deine Befürchtungen hast du zumindest angedeutet. Das fehlende Vertrauen, dann der Film-Wechsel zu dem wieder sarkastischen Ton.“ Er holte tief Luft: „Dein innerer Film bringt dich zur Weißglut, nicht mein Handeln. Und dann unterstellst du mir noch, das ich dich bisher mit therapeutischen Fragen ausgekillt habe!“

      Fassungslos schaute ich mir diesen Mann an. Konnte das wirklich angehen, dass ihm nicht klar war, wie unwürdig er mit mir umging? Ich bat ihn zu gehen.

      Jo