Norma Rank

Schlampe, Opfer, Schwein.


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ist Folgendes: Christoph, der zufällig mitbekam, dass ich zwischen Feierabend und einem Kinobesuch mit Freundinnen etwas Leerlauf hatte, lud mich auf einen Drink ins „Tattenbach“ (eine nahegelegene Kneipe) ein. Ich wertete das als nette Geste, ohne mir weiter etwas dabei zu denken, und da ich ihm das Gleiche unterstellte, sagte ich arglos zu.

      Selbst als Mark mich an diesem Tag kopfschüttelnd verabschiedete und giftig meinte: „Was willst du denn mit dem kleinen Säufer? Der Wicht ist doch hinter jedem Rock her!“, war ich noch nicht gewarnt. In meinen Ohren klang es vielmehr wie ein Spaß, eine belanglose Stichelei, denn dass Christoph nicht zu seinen engsten Freunden zählte, war kein Geheimnis.

      Was Mark jedoch konkret mit „Säufer“ meinte, brachte ich dann relativ schnell in Erfahrung – es war genau 18:00 Uhr, als Christoph sein erstes Weißbier orderte.

      Bei milden Temperaturen saßen wir uns in der Abendsonne an einem kleinen runden Holztisch gegenüber, außerhalb des Lokals in einer unbefahrenen Seitenstraße, mehr oder minder auf dem Gehweg. Eigentlich sehr idyllisch. Die Vögel zwitscherten, und die Menschen um uns herum wechselten gerade vom Arbeits- in den Freizeitmodus.

      Wir schauten der engagierten Bedienung dabei zu, wie sie erst die Tischplatte mit einem Lappen säuberte und im Anschluss eine winzige mir unbekannte Topfpflanze darauf stellte. Kaum einen Augenblick später eilte sie mit unseren Getränken herbei, dabei erwiderte sie mein Lächeln aufgeschlossen, während sie Christoph eher ignorierte. Dieser Umstand wunderte mich zwar ein bisschen, beschäftigte mich aber nicht weiter. Müde vom Tag freute ich mich stattdessen auf meinen Kaffee, der nach frisch gemahlenen Bohnen roch und den Koffeinschub versprach, den ich mir erhoffte. Entspannt lehnte ich mich zurück und harrte der Dinge, die da kommen würden, bis mir bewusst wurde, dass mein Begleiter sich benahm, als wäre er am Verdursten.

      Staunend sah ich dem Zwerg dabei zu, wie er das Bier in seinen Rachen kippte, als hätte er ein Loch im Bauch. Der Zucker in meiner Tasse hatte sich noch nicht aufgelöst, als Christoph bereits lauthals Nachschub verlangte. Die enorme Geschwindigkeit, in der er sich betrank, war wirklich verblüffend, und ich überlegte, ob das für eine Anmeldung bei „Wetten dass ...?“ reichen würde. Schaumreste hingen in seinem Bart, was den Grad seiner Attraktivität nicht unbedingt steigerte, weswegen – ich um Ablenkung bemüht – versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen.

      Jammerschade, auch hier: Fehlanzeige. Spannendes hatte er nicht zu berichten, nur eine zusammenhanglose Brühe, die meine Ohren strapazierte. Selbst der ausschweifende Monolog über seine Großmutter, die ihre Inkontinenz mit frischen Pfifferlingen behandelte, ödete mich bald an.

      „Zu den Pilzen gibt es immer ganz leckeren Schweinebraten, und sie ist für ihr Alter ja noch sooo knuffig!“ Davon abgesehen, dass ich eine Kombination von Pilzen und Schweinebraten pervers fand, drängte sich mir die Frage auf, ob es einen Ödipus-Komplex zweiten Grades gab oder ob mein Kollege nur vollkommen durchgeknallt war.

      Während ich einer vorbeilaufenden Frau mit ihrem Hund hinterher sah, der Ähnlichkeit mit einer überdimensionalen Heuschrecke hatte, kämpfte Christoph eisern mit dem Inhalt seines dritten Weißbieres. Wann hatte er sich das bestellt? Er musste es heimlich getan haben, um genau 18:47 Uhr, als ich mir mit Hilfe eines kleinen Taschenspiegels die Lippen nachgezogen hatte.

      Nachdem dann auch noch seine Finger wiederholt nach meinen Händen grabschten und seine Geschichten anfingen, mich ernsthaft zu langweilen, entschloss ich mich, die Zelte schleunigst abzubrechen. Dabei fiel mir das Verhalten der Bedienung wieder ein, und ich begriff, dass Christoph nicht zum ersten Mal Gast im „Tattenbach“ war. Ich zahlte und gab ihr ein sattes Trinkgeld, während mich mein Gegenüber mit ebenso schlüpfrigen wie niveaulosen Komplimenten zum Bleiben bewegen wollte. Aber so nötig hatte ich es de facto nicht! Wo kämen wir denn da hin?

      Frühmorgens zitierte Mark mich am nächsten Tag zu sich, und seine Frage nach dem gestrigen Abend – die sich etwas gepresst anhörte –traf mich unvorbereitet. Dabei wollte er ebenso wenig über den Film sprechen, den ich mir mit ein paar Mädels angesehen hatte, wie über das Foto, das via Radarfalle kurz vor Mitternacht von mir gemacht wurde.

      „Wie hat sich Christoph verhalten?“, hakte er präzise nach und bohrte so lange weiter, bis ich ihm Rede und Antwort stand. Als hätte ich eine Beichte abzulegen, erstattete ich Bericht. Mark reagierte – zu meinem völligen Unverständnis – überraschend aufgebracht. Allerdings merkte ich schnell, wie sehr ihm mein Kontakt mit Christoph missfiel, wusste aber nicht weshalb, zumal das Szenario zwar unangenehm, aber ansonsten belanglos gewesen war. Und was ich in meiner Freizeit tat, war allein meine Entscheidung! Was kümmerte ihn also mein Privatleben? Und warum hörte er nicht auf, mich auszuhorchen?

      Um das Thema abzuschließen, meinte ich irgendwann betont sachlich: „Sorry, Mark, aber das geht dich alles nun wirklich nichts an!“

      Was wollte er? Und warum verhielt er sich plötzlich wie ein Rüde, der sein Revier markiert? Ich kam nicht dahinter. Ging es dabei vielleicht gar nicht um Christoph, sondern um mich?

      Das entzog sich nun wirklich meinem Anschauungsvermögen! Selbst wenn ich mein Spiegelbild ganz genau betrachtete, fand sich darin nichts, was sich auch nur entfernt mit Helga hätte messen können. Zumindest dann nicht, wenn sich die Angaben auf ihrer Webseite mit der Realität deckten.

      Unterschiedlicher hätten zwei Frauen kaum sein können! Sie: Groß, langbeinig und sicher versiert darin, mit High Heels durch einen Supermarkt zu flanieren, anstatt einfach nur einzukaufen. Ich hingegen, mit einer Körpergröße von gerade mal 1,60 Meter, vertrat mehr den sportlichen Typ, glich einem Wildfang, der gern Turnschuhe trug und sich eher kommod gab. An meinen Locken, die mir bis zu den Schultern reichten, verzweifelte jeder Friseur, und mein Gesicht mit den viel zu breiten Wangenknochen war übersät mit Sommersprossen, die ich seit meiner Kindheit verfluchte.

      Wie also käme ein Mann, der mit einer so außergewöhnlichen Frau zusammenlebte, dazu, sich für mich zu interessieren? Welch naive Vorstellung!

      Als ich nach dem Gespräch mit Mark zurück zu meinem Schreibtisch ging, lag dort ein Päckchen, liebevoll verpackt mit einer roten Schleife drum herum.

      Perplex blickte ich in die Runde und überlegte, von wem das Geschenk sein konnte, aber niemand nahm Notiz von mir.

      Ich hatte weder Geburtstag noch fiel mir sonst ein Grund ein, warum mir jemand etwas hätte schenken sollen. Weshalb aber lag dann dieses Paket da? Verwundert machte ich mich daran, selbiges umfassend zu begutachten, suchte nach Hinweisen, was es damit auf sich hatte, und rüttelte vorsichtig daran, um den Inhalt zu erraten. Keine Chance – ich tappte vollends im Dunkeln.

      Doch da sich das Geschenk auf meinem Tisch befand, musste es ja für mich sein. Also nutzte ich den Bildschirm, um mich dahinter zu verstecken, und machte es auf. Zum Vorschein kam ein Malkasten, wie man ihn aus der Schulzeit kennt, mit 12 Farben darin. Als ich ihn öffnete, fiel ein kleiner Zettel heraus, auf dem in krakeliger Schrift folgende Nachricht geschrieben stand: „Du machst mein Leben wieder bunt! Vielen Dank für den gemeinsamen Abend! Dein Christoph!“

      Sprachlos glotzte ich auf den Text. War der blöd? Außer, dass wir kurz was zusammen getrunken hatten, enthielt meine Erinnerung weder ein „gemeinsam“ noch den ganzen Abend!

      Mein Ärger wuchs! Zum einen, weil ich das Verhalten von dem Wicht als übertrieben und völlig fehl am Platz einstufte, und zum anderen, weil ich für einen kurzen Moment geglaubt hatte, das Geschenk könne von Mark sein (wofür Christoph wiederum nichts konnte).

      Peinlich berührt, musste ich zugeben, dass die Idee mit dem Malkasten an sich durchaus bestechend war, käme sie von der richtigen Adresse. Und hätte ein Mann wie Mark diesen Einfall gehabt, wäre ich vermutlich vor Freude tot umgefallen. So aber blieb ein Gefühl der Enttäuschung, gekoppelt an die Unannehmlichkeit, dass mich jemand bedrängte, von dem ich nichts wollte.

      In was für eine Bredouille hatte ich mich da nur manövriert? Ich wollte Christoph nicht vor den Kopf stoßen, musste ihm aber verdeutlichen, dass er sich keine Hoffnungen zu machen brauchte. Und das ohne Marks Argwohn zu wecken, denn dann wäre Ärger vorprogrammiert – so viel hatte ich begriffen.