Björn Haid

Briefe an Lisa


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hatte noch nicht einmal die ersten Zeilen gelesen, da sprang plötzlich die Türe auf.

      Mein Vater stand im Rahmen, erhob seinen rechten Arm und rief irgendein Gewäsch, zumindest nannte es Großvater so, als er auf ihn zusprang, die Türe hinter Vater zu riss und ihn einen Taugenichts nannte, der jeder kleinen Kummerfliege nachrennen würde, sollte die ihm irgendeinen Gewinn versprechen für sein Nichtstun.

      „Endlich wagt es einer die Wahrheit zu sagen!“, rief er, mit noch immer erhobener, doch sichtlich von Großvaters Tat auf seinen Überfall erschrockener Mine. „Endlich!“

      Er hielt ein Flugblatt in der Hand, welches ihm Großvater sofort aus der Hand riss um es zu lesen.

      „Bist du des Wahnsinns?“ schrie Großvater, während er wütend mit dem Papier in seiner Hand herumfuchtelte, „solche Parolen, solche Hetzschriften kenne ich nur zu gut“!

      Mit gekonntem Schwung warf er das Blatt ins Feuer.

      Glutrot flackerte es im Ofen.

      „Du wirst eine solche Bewegung nicht aufhalten können! Du und dein kleinkariertes Krämertum, du nicht und auch deine Judenfreunde nicht!“

      Dann drehte sich Vater im Schritt, öffnete die Eingangstüre mit einem kräftigen Ruck, so dass ein Windstoß das letzte Stückchen des Flugblattes aus dem Feuer fegte, welches sanft auf dem Holzboden landete, schritt hinaus und schmiss die Türe wieder hinter sich zu.

      „Kauft nicht vom Jud...“ der Rest war Opfer der Flammen geworden.

      Großvater nahm das Blatt, setzte sich wieder, als Großmutter, des lauten Lärmes wegen aufgebracht ins Zimmer kam.

      „Woher hat der Junge nur diese Dummheiten?“

      Murmelte Großvater und ich könnte schwören ich konnte eine Träne in seinen Augen sehen. Großmutter lächelte ihn an, setzte sich neben ihn, streichelte über seinen Rücken und sagte dabei kein Wort.

      Wie Großvater berichtete war Rosental am darauffolgenden Tage auch nicht erschienen und auch nicht die Woche darauf.

      Rosental war verschwunden und das blieb er auch weiterhin.

      Kein Lebenszeichen, keine Nachricht, nichts.

      Die Tage vergingen und Vater pflegte nun immer sehr lange außer Haus zu bleiben und erst spät nachts, meist begleitet von einer Fahne billigen Alkohols, wieder nach Hause zu kommen.

      In den kommenden Wochen brachte Vater, während sich Großvater um seinen Laden kümmerte, immer wieder verschiedene Männer mit nach Hause. Diese diskutierten dann den ganzen Tag, oft bis spät in die Nacht hinein.

      Das zog sich eine ganze Weile so.

      Während sich die Männer unterhielten blieben Mutter und Großmutter der Stube fern und bereiteten das Essen zu. Oftmals so ausgedehnt, dass sie es ja kein einziges Mal wagen mussten in die Stube zu kommen.

      Meinem Großvater wurde hiervon nichts berichtet.

      Das Essen wurde, wie immer um achtzehn Uhr dreißig serviert, eben dann, wenn Großvater sein Geschäft geschlossen hatte und seinen Weg nach Hause getan hatte.

      Es war ein Freitag im Mai, als angekündigt wurde, dass eine Versammlung vor der Nepumukkapelle stattfinden würde, welcher Vater unbedingt beizuwohnen gedachte.

      Er wünschte sich auch die Teilnahme seiner Frau und seines Sohnes, denn nur dort würde die freie Welt endlich die absolute Wahrheit sprechen und auch wir würden diese erkennen.

      Großvater war strikt dagegen, dass Mutter und ich auch mitkommen würden. Er, mein Vater, habe sein Leben ja eh schon verschrieben und somit weggeworfen, das müsse er nun nicht auch noch seinem Kinde antun, und damit der ganzen Familie.

      Es entbrannte ein lauter Streit, bei dem Vater Großvater als Judenfreund, Miesepeter und Hetzetreiber beschimpfte.

      Dann wurde ich auf mein Zimmer geschickt ohne zu wissen was an einem Judenfreund so schlimm sein sollte.

      Nur an Vaters Stimme konnte ich den Unterton der Beleidung erkennen.

      Wir nahmen alle an der Versammlung teil.

      Großvater nicht.

      Heute kann ich mich nicht mehr an die Worte, der dort lautstark schimpfenden Sprecher erinnern, wahrscheinlich möchte ich das auch gar nicht.

      Ich weiß nur mehr so viel: Mein Vater war begeistert.

      Er strahlte über das ganze Gesicht.

      „Ja genau!“ und „Richtig!“ waren die Worte die an jenem Nachmittag ständig über seine Lippen kamen. Seine Worte bekräftigte er mit einer wütenden Faust, die er über seinen Kopf stetig hin und her schwang.

      Ob der guten Laune und seines Enthusiasmus angesteckt empfand auch meine Mutter irgendeine Art des Wohlwollens und lächelte meinen Vater an, so wie sie es wohl schon lange nicht mehr getan hatte.

      Sie hielt seine Hand, welche nicht wie eine Fahne nach oben ragte, und tat ihm mit der anderen Hand gleich.

      Ab diesem Zeitpunkt ändert sich vieles bei uns zuhause.

      Vater und Großvater sprachen nur mehr sehr wenig miteinander, sofern dies überhaupt möglich gewesen war, denn viel unterhielten sie sich auch zuvor nicht.

      Vater und Mutter hingegen flammten regelrecht zusammen auf, so als ob sie einem gemeinsamen Feind endlich auf die Schliche gekommen waren.

      Alleine der Umstand meine Eltern in solcher Eintracht zu sehen machte mich glücklich.

      Die kommenden Jahre war ich, wer ich immer war.

      Klein, kränklich und sehr von meinen Großeltern umsorgt.

      Meine Eltern waren hingegen immer seltener zuhause, sie seien zu sehr mit der Partei beschäftigt, erklärten meine Großeltern, ohne jedoch weiter darauf einzugehen.

      Ich hinterfragte diese Aussage auch nicht.

      Die Winter kamen und meine Krankheiten meldeten sich zurück.

      Bei jeder kleinen Erkältung bekam ich von meiner Großmutter, ein Buch geschenkt, welches sie, bei jedem Wetter, egal wie sehr der Wind auch brauste und wie sehr es draußen stürmte, zu Fuß in der Stadt oder im Nachbarort besorgte.

      Ich las große Romane, witzige Erzählungen, amüsante Geschichten und von wahren Abenteuern.

      Mit dreizehn hatte ich eine beachtliche Sammlung an schönen Werken, auf welche ich wirklich sehr stolz war.

      Freunde hatte ich wenige, doch Robinson Caruso und Captain Ahab entführten mich des Nachts, oder bei Krankheit immer in Welten von denen ich am liebsten nicht zurückgekommen wäre.

      Die letzten Seiten eines Romans waren für mich immer mit Wehmut getragen und so hatten sie immer den bitteren Beigeschmack eines Abschieds.

      Wenn ich das Buch im Regal versorgte, versprach ich den Protagonisten immer, dass es kein Abschied auf ewig wäre, und ich ihre Reise nochmals, in naher Zukunft, inhalieren würde, obgleich wir dieselben Abendteuer zusammen nochmals erleben würden.

      Dann folgte eine Wende in meinem Leben.

      Der 30. Mai 1933.

      Inzwischen besuchte ich die Handelsschule und wollte, obwohl man mir bereits in der Grundschule keine Talente zuschrieb und keinerlei Begabung, Kaufmann werden, ebenso wie mein Großvater.

      Am Abend jenes Tages flog die Türe auf, mein Vater rannte, schnaubend und keuchend mit einer großen Kiste durch unser Haus.

      Großvater, der wohl ahnte was geschehen würde, versuchte ihn aufzuhalten.

      Er nahm ihn am Arm, zog ihn zu sich und schrie ihn lauthals an, dass dieser Unfug nun endlich ein Ende zu haben hatte.

      Vater riss sich los.

      Nicht aufzuhalten rannte er zielstrebig in mein Zimmer.