Björn Haid

Briefe an Lisa


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mehr vor wie ein aufgeregtes Schulmädchen, welches über ihren ersten wirklichen Schwarm berichtete, als ein gestandener Mann, welcher sich über die politischen Ereignisse hätte unterhalten wollen.

      Am 31. Juli standen die Reichtagswahlen an.

      Hitler müsse nun endlich Gehör finden.

      Die NSDAP werde diese Wahlen gewinnen, ein anderer Ausgang sei ja schon fast Blasphemie.

      Vater sollte Recht behalten, Hitler gewann diese Wahl, wenn auch unter sehr fragwürdigen Umständen, wie meine Mutter mir im Geheimen erzählte. Vater dürfe von dieser Unterredung selbstverständlich nichts erfahren.

      Vater war glücklich.

      Und das war es, was für mich tatsächlich zählte.

      Er nahm mich wieder mit auf Veranstaltungen.

      Die Sommerspiele waren vergessen.

      Und ich durfte meine Freunde bei der Hitlerjugend wieder besuchen.

      Alles war nun gut.

      Dachte ich!

      Kapitel 3

      Erste Verluste

      Die Jahre vergingen, die Juden wurden in sogenannten Arbeitslagern untergebracht, damit sie unsere Wirtschaft nicht mehr schädigen würden.

      Was wohl aus Herrn Rosental geworden war, hatte ich mich zu jener Zeit kurzfristig gefragt. Ob dieser wohl auch in einem Arbeitslager nun Bier für das Allgemeinwohl brauen würde und ob er meinen Großvater seit jenem Tag im April 1923 wieder besucht hatte.

      Ich beließ meine Gedanken und fragte nicht weiter nach.

      Herrn Rosental ging es bestimmt Bestens.

      Nicht so meinem Großvater.

      Im Sommer 1936 musste er seinen geliebten Laden schließen.

      Die Fensterscheiben seines Krämerladens wurden von Nazischergen, wie meine Mutter sie nun nannte, beschmiert. Dann wurden sie eingeschmissen.

      Das gesamte Inventar wurde entwendet.

      Die Regale wurden umgeschmissen, die Wände wurden mit „Judenfreund“, „Verräter“ und reichlich anderen obszönen Gesten beschmiert.

      Sicherlich von Juden selbst, wie mein Vater meinte, um die Schuld auf Andere zu lenken.

      Denn Angriff sei immerhin die beste Verteidigung, das wisse nun jawohl jeder.

      Mutter schüttelte nur den Kopf.

      Tatsächlich sagte sie in den letzten Monaten und vielleicht sogar Jahren nicht mehr viel zu den politischen Vorstellungen und der beinahmen Besessenheit meines Vaters.

      Herrn Braun, bei welchem wir fortan in Bregenz Kunden waren, seit dem Streit meiner Großeltern mit meinem Vater übernahm das Geschäft, ohne Ablöse, wie es hieß.

      Die letzten Reste der Waren, welche noch vorhanden waren wurden Herrn Braun als Entschädigung überlassen, da das Geschäft neu aufgebaut hatte werden müssen.

      Zudem musste Großvater auf das gesamte Eigentum des Geschäftslokals verzichten, welches er zuvor investiert hatte.

      Außer Schulden war ihm nichts geblieben.

      Von Trauer und Kummer gedrückt machte sich mein Großvater jeden Tag auf den Weg in die Stadt, er besuchte die Nepumukkapelle, den Kornmarktplatz und sein Weg führte ihn auch immer an seinem alten Krämerladen vorbei.

      Hie und da begegnete er seinen alten Kunden, welche sobald sie ihn sahen ihren Krägen hochzogen oder ihren Hut tiefer zogen, so dass sie ihn nicht zu grüßen brauchten.

      Aus einem respektablen Mann im Geschäftsleben einer kleinen Stadt war ein Niemand geworden.

      Ein Niemand, den man nicht einmal mehr zu grüßen brauchte.

      Ein Niemand.

      Der Winter begann 1936 recht früh, die Tage wurden kürzer, die Nächte länger und auch kälter.

      Meine Großeltern hatten keinen Heller mehr, seit ihr Geschäft an Herrn Braun übereignet wurde.

      Schweren Herzens beschlossen Sie in diesem Winter ihr geliebtes Haus am Pfänder zu verkaufen, um sich am Rande der Stadt nach einer kleineren Wohnung umzusehen.

      Als ich von diesem Entschluss gehört hatte, brach eine kleine Welt für mich zusammen.

      Immerhin war ich in diesem Haus geboren und hatte auch dort einen großen Teil meines bisherigen Lebens verbracht.

      An dieses Gespräch zwischen Mutter und mir kann ich mich noch heute gut erinnern. Vater war bei einer Parteitagung und Mutter erzählte mir was in Bregenz geschehen war.

      Unter Tränen versuchte ich eine Lösung des Problems zu finden.

      Wie ein kleines, in die Falle geratenes Tier versuchte ich verzweifelt mit meinen kleinen, bescheidenen und doch tatsächlich nicht vorhandenen Möglichkeiten meinen Großeltern zu helfen.

      „Ich schicke Ihnen mein Taschengeld!“

      „Ich gehe Arbeiten, jeden Tag und schicke das Geld Großvater!“

      „Ich esse nichts mehr, schickt alles was ihr Euch wegen mir spart Großvater!“

      Doch es half nichts.

      Ich hatte keine Möglichkeit meinen Großeltern von München aus zu helfen, deshalb bat ich meine Mutter umgehen, oder zumindest an Weihnachten zu den Großeltern fahren zu dürfen, damit ich ihnen vor Ort helfen könne.

      Wir könnten Ihnen ja auch Geld schicken oder Essen oder irgendetwas, wiederholte ich meine Vorschläge, immer und immer wieder.

      Mutter hatte Tränen in den Augen.

      Mit den Händen machte sie eine Geste, die mich wissen ließ, dass ich ihr näherkommen soll, dass ich sie in den Arm nehmen soll.

      Und das tat ich dann auch.

      Wir hielten uns eine kleine Ewigkeit in den Armen und weinten beide.

      Aber Lösung fanden wir keine.

      Später ging ich zu Bett.

      Kurz vor Weihnachten erhielten wir ein Telegramm aus Bregenz.

      Ich war ganz aufgebracht und wusste es konnte nur von Großvater sein.

      Sicherlich hatte er seinen Laden zurückbekommen.

      Sicherlich war Rosental wieder mit einer Lieferung Bier bei Ihm, denn es war ja Mitte Woche.

      Ich war mir so sicher, dass Großvater genau dieses berichten wollte.

      Ich nahm das Telegramm vom Postboten entgegen.

      Es war verschlossen in einem kleinen Kuvert, welches ich freudestrahlend meiner Mutter übergab.

      „Mutter, Mutter, Nachricht von Großvater!“ rief ich, als ich die Treppen zu unserer Wohnung hocheilte.

      „Großvater geht es sicher wieder gut!“, kaum, dass ich die Treppen nicht nach oben stolperte, so aufgeregt war ich.

      Mutter stand schon im Flur und nahm mir das Kuvert aus der Hand, dann ging sie damit ins Esszimmer, setzte sich auf einen Stuhl und öffnete es.

      „Was schreibt er?“

      „Wie geht es Ihnen?“

      „Mutter, was schreiben sie denn?“

      Im Gesicht meiner Mutter konnte ich sehen, dass es keine guten Nachrichten waren. Sie hatte das Telegramm lange in der Hand, und ich konnte durch das dünne Papier sehen, dass nicht viel darinstand.

      „Mutter?“

      Langsam, mit tief nach unten gezogenen Mundwinkeln und feuchten Augen nahm sie mich am Arm, zog mich sanft zu ihr.

      Dann