Björn Haid

Briefe an Lisa


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fühlte sich in diesem Moment so gut an.

      All der Schmerz durch das Rennen und all die Sorge war wie weggeblasen.

      Ich fühlte mich auf einmal so leicht wie eine Feder, so tapfer wie ein Soldat, so reich wie ein König und dass, alles nur wegen einer Berührung von Lisa.

      In diesem Moment war ich wie hypnotisiert.

      „So Jakob, ich muss nun los, bevor meine Eltern kommen. Morgen um dieselbe Zeit?“ fragte sie, als sie aufsprang.

      „Ja morgen um dieselbe Zeit!“ sicherte ich beinahe automatisch, und ohne groß nachzudenken zu.

      Dann war sie hinter der Türe verschwunden.

      Nun saß ich wieder alleine auf der Treppe und starrte in den Himmel, doch ich fühlte mich wesentlich leichter als noch einige Momente zuvor, deshalb beschloss ich wieder nach Hause zu gehen.

      Den Weg von Lisas Haus versuchte ich mir gut einzuprägen, damit ich ihn morgen wiederfinden würde.

      Am nächsten Tag kam ich, als es dunkel war wieder zu den kalten Treppen, an denen ich Lisa am Tag zuvor kennengelernt hatte.

      Ich beschloss mich zu setzten und auf sie zu warten.

      Doch Lisa kam nicht.

      Zwei Stunden verharrte ich auf den Treppen.

      Als es mich schließlich zu sehr fror, diesmal war der Himmel nicht bedeckt und man konnte die Sterne sehr gut sehen, beschloss ich am kommenden Tag wieder zu kommen.

      Doch auch am kommenden Tag war Lisa nicht da.

      Ich läutete, doch niemand öffnete.

      Deshalb beschloss ich Lisa am nächsten Tag eine Nachricht zu hinterlassen und hoffte inständig, dass nichts passiert war.

      Als ich morgens aufwachte konnte ich meine Eltern im Flur streiten hören.

      Ich wusste nicht genau worum es ging, doch es hatte irgendetwas mit Großvater zu tun.

      Die Wohnungstüre flog laut in Schloss und ich beschloss nachzusehen, was geschehen war.

      Mutter saß am Esstisch, ihren Kopf in die Arme gelegt.

      „Mutter, ist alles in Ordnung?“

      Sie nahm mich in den Arm und ich spürte, dass nicht alles in Ordnung war, doch sie sagte: „Alles ist in Ordnung, mein Junge. Wir werden heute Nachmittag mit dem 12.30 Zug nach Bregenz fahren. Großvater wird morgen beerdigt.“

      Und da waren sie wieder meine Ängste, meine Sorgen und meine Wut, die ich all mein Leben über so gut verbergen konnte.

      „Dein Vater wird nachkommen, er hat noch eine wichtige Besprechung.“

      „Aber warum habt ihr euch gestritten?“ wagte ich zu fragen.

      „Wir haben doch nicht gestritten, wir waren uns nur nicht ganz einig, ob wir zusammenfahren oder nicht,“ sagte sie in sanftem Ton, als sie mir über den Kopf strich und in meine Augen schaute, „Aber wir haben eine Lösung gefunden, mein großer Junge. Wir fahren mit dem 12.30 Zug und Vater kommt mit dem 17.00 Uhr Zug nach. Die Beerdigung ist morgen, und ich möchte Großmutter mit den Vorbereitungen helfen. Verstehst du das?“

      Das verstand ich natürlich.

      Nicht jedoch verstand ich meinen Vater, was konnte wichtiger sein, als Großvaters Beerdigung.

      Was konnte wichtiger sein, als seinen eigenen Vater zur Grabe zu tragen?

      Mutter schickte mich in mein Zimmer um meine Sachen zu packen und da kam mir Lisa wieder in den Sinn.

      Ich musste ihr eine Nachricht hinterlassen.

      „Hallo Lisa,

      Ich hatte dich versucht zu treffen, genauso wie wir es vereinbarte hatten. Leider warst du nicht da. Ich hoffe es ist nichts passiert. Ich bin mit meinen Eltern für ein paar Tage in Bregenz – Großvater wird beerdigt.

      Ich komme in drei Tagen wieder zu deiner Türe, dann können wir uns sehen.

      Jakob“

      Ich hatte zuerst „Hochachtungsvoll Dein Jakob“ schreiben wollen, das schien mir dann aber doch zu förmlich, deshalb änderte ich es kurzerhand nochmals ab.

      Den Weg zu Lisas Haus kannte ich inzwischen auswendig und musste mich nicht einmal mehr daran erinnern, denn ich hätte den Weg auch im Schlaf gefunden.

      Bei ihrem Haus angekommen, bemerkte ich, dass drinnen kein Licht brannte.

      Gut, es war ja helllichter Tag, eigentlich noch Morgenstund‘, trotzdem hatte es mich in diesem Moment ein wenig irritiert.

      Ich beschloss nicht zu läuten, sondern meinen kleinen Umschlag, mit der Aufschrift „Für Lisa – persönlich“ einfach unter der Türe hindurch zu schieben.

      Der Briefkasten schien mir keine Option, da dieser, offensichtlich schon längere Zeit nicht mehr geöffnet wurde und schon überquellte.

      Kaum hatte ich das Kuvert unter der Türe hindurchgeschoben, quälte mich der Gedanke, ob dies nun doch so richtig war.

      Es dauerte keine Minute, noch mit meinen Gewissensbissen kämpfend entdeckte ich wie unter der Türe ein kleines Kuvert wieder zurückgeschoben wurde.

      Erstaunt nahm ich es hoch.

      „Für Jakob – persönlich“ stand darauf.

      Ich war recht verwundert.

      „Lieber Jakob,

      Danke für deine Zeilen.

      Es geht mir gut. Ich denke oft an dich.

      Wir sehen uns in Bregenz – so, dass der Zufall dies so will.

      Fahnenrondell – morgen Abend – wenn die Sonne untergegangen ist.

      Lisa“

      Der Inhalt erstaunte mich noch mehr, ich versuchte jedoch die Zeilen nicht zu hinterfragen, da ich nur froh war, dass es Lisa gut ging.

      Sie hatte mir gar nicht erzählt, dass sie auch Verwandte in Bregenz hatte und auch nicht, dass sie genau am selben Tag wie ich nach Bregenz fuhren.

      Ich war mir aber sicher, dass sie mir das am nächsten Tag, beim Fahnenrondell erklären würde.

      Der Morgen begann früh.

      Bereits als es noch stockfinster war, waren Großmutter und Mutter gerichtet und begannen die Vorkehrungen für den Tag der Beerdigung zu treffen.

      Ich vermisste die Stimme meines Großvaters und dessen teilweise doch recht erheiternde Stimmung am Morgen, welcher bei jedem Tag der heranbrach und einem von Gott geschenkt wurde, etwas Gutes sah.

      An diesem Tag war es tatsächlich Totenstill.

      Zudem wirkte das, in meiner Erinnerung so fröhliche Haus, ungewöhnlich leer.

      Viele Möbel fehlten. Großmutter sollte mir dann später einmal erzählen, dass seit dieser Herr Braun das Geschäft übernahm sie und Großvater kaum über die Runden kamen, und um nicht zu hungern sukzessive jeden Besitz den sie hatten zu Geld machen musste, um überleben zu können.

      Vater wird diesen Umstand später einmal meinen Großeltern vorwerfen, da sie ja nichts zu hinterlassen vermochten für ihren Sohn und dieser ganz auf sich alleine gestellt war.

      Es war ein trüber Tag.

      Er hatte so gar nichts fröhliches, was nicht nur an Großvaters Beerdigung lag, sondern begleitet wurde von der allgemeinen Wetterlage. Die Wolken hingen tief, keine Sonne war zu sehen, und immer wieder begann es vereinzelt und sanft zu regnen. Bis sich schließlich gegen Abend das Wetter in ein ausgewachsenes Unwetter wandelte.

      Dies war meine erste Begegnung mit dem Tod und auch die erste Beerdigung derer ich beiwohnte.

      Es waren nicht viele Menschen