Joachim Seidel

HimbeerToni


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bei uns beiden der Stress los?«

      Judith schweigt, sie überlegt.

      »So nach drei Jahren.«

      »Vielleicht liegt’s ja daran: Ada arbeitet im Moment richtig viel. Nach dem Praktikum bei ELLA verdient sie jetzt als feste Freie zum ersten Mal gut Geld mit dem Schreiben. Sie ist ja auch schon fast siebenunddreißig.«

      Im Hintergrund heult etwas auf.

      »Wart mal, Toni, Bruno braucht was zu trinken, ich geb ihm rasch die Brust…«

      Das Pumpgeräusch erstirbt, und Bruno schluchzt, wahrscheinlich schnappt er gerade vergeblich nach Judiths Milchbar. Dann läutet es an meiner Tür.

      »Mal ehrlich, Toni. Wenn ihr beiden sowieso keinen Sex mehr habt, dann könnt ihr euch auch ein Kind anschaffen.«

      »Danke für den Tipp, Judith, bist ’ne echte Freundin, dann bis heute Abend.«

      Ich lege auf. Wovon redet die Frau eigentlich? Ich und ein Kind. Meine Türschelle bimmelt weiter, und in der Wohnung über mir donnert und kracht der Stelzenläufer. Überall Baustellen in meinem Leben, ich denke an mein Problem Nummer eins und gehe gemessenen Schritts zur Tür. Bereits bei unseren ersten Dates vor ein paar Monaten hatte sich bei Ada und mir offenbart: Wir ziehen uns magnetisch an, verfügen aber über diametral entgegengesetzte Temperamente. Ich höre am liebsten Punk-, Indie- und Glamrock, Ada Klezmer und Klassik. Sie trinkt Wein, verträgt nichts und ist Frühaufsteherin, ich bin Langschläfer und Biertrinker, und meine Mutter Piia Hornig, geborene Sinisalo, ist Finnin, und die können bekanntlich saufen, bis der Arzt kommt.

      Außerdem belastet eine extrem unharmonische Planetenkonstellation unser Zusammensein. Das jedenfalls wurde uns an einer schäbigen Astro-Bude auf dem Hamburger »Dom« für zehn Euro von einem ratternden Nadeldrucker schwarz auf weiß attestiert. Kurzum – zwischen Ada und mir ist es die… GANZ GROSSE LIEBE.

      2. Der ultimative Chartbreaker: Von null auf eins und fünf nach zwölf!

      Baby love – Supremes

      Ich öffne die Tür. Vor mir steht Ada. Und ein Stockwerk über uns ruckelt der Kosovare vor seiner Tür auf dem Treppenabsatz herum – auf Stelzen.

      »Adä, you come to my show tonight?«, krächzt Milo von oben, während gegenüber die Wohnungstür aufgeht und Holgi zu uns auf den Flur schlurft. Mein Nachbar schaut zu Ada und mir, dann hoch und blökt: »Was geht ’n hier wieder für ein Punk ab?«

      Welch ein Anblick: Obenherum trägt Holgi seine vollständige Elvis-Montur. Und zwar nicht Elvis, Memphis, Tennessee, 1956, rank, schlank, gut aussehend, sondern Elvis, Las Vegas, 1976/77, mit weißem, paillettenbesetztem Jackett plus chromglänzender Breitwandsonnenbrille in der gedunsenen Gesichtsmaske. Sein öliges Langhaar hat Holgi zusätzlich mit Pomade gebändigt und zu einem schulterlangen Pferdeschwanz verknüpft, sodass uns seine freigelegten Frühsiebzigerkoteletten regelrecht ins Auge springen.

      »Kann i vielleichd mol naikomma, odr sollet dia Babbnohsa do älles midgriaga?«

      Dass Ada schwäbisch spricht, werte ich als schlechtes Zeichen: »Äh, klar doch, ich mein, was gibt’s denn so Wichtiges, ich denke, du bist bei der Arbeit…«

      »Schwätz koin Bäbb, Buala. Lass mi nai, sonsch gibd’s Ärgr, Toni, so isch des.«

      Holgi spitzt die Ohren. Ärger in der engeren Nachbarschaft wittert er spürsicher wie ein Zollhund am Flughafen die Kokapaste im Handgepäck eines kolumbianischen Drogenkuriers.

      »Ada, Toni, ich will euch ja nicht zu nahe treten, so ein Streit bringt nichts! Ihr müsst vernünftig reden miteinander«, sprudelt es aus ihm heraus.

      Holgi als Fachmann in Sachen Beziehungsberatung? Meines Wissens hat er seit Jahren keine Frau mehr in die Nähe seiner Wohnung gelassen, zumindest seit seine Messie-Höhle fast ausschließlich aus Autoprospektestapeln besteht.

      Entsprechend beachtet Ada Holgi nicht weiter. Und ich vergesse schlichtweg, den Türrahmen freizumachen und meine Geliebte hereinzubitten. Ada neigt den Kopf zu meinem Ohr.

      »Ich war gerade bei Frau Gerstung.«

      Ada sieht mich durchdringend an, und ich heuchle interessiertes Erstaunen an ihrer hochdeutschen Feststellung.

      »Ach, Frau Gerstung. Wie geht es ihr?«

      Schon ist Ada den Tränen nahe, und ich habe leider nicht die leiseste Ahnung, wer Frau Gerstung ist.

      »Geht’s ihr nicht gut? Ich mein, Frau Gerstung.«

      »Wie’s ihr geht? Frau Gerstung ist meine Frauenärztin, und ich bin in der zehnten Woche schwanger.«

      Mir schwindelt.

      »Moment mal?«, sagt Holgi. Und das denke auch ich.

      Sofern mir mein Gehörsinn nicht gerade einen ganz üblen Streich gespielt hat, toppt in diesem Moment gerade ein neues Problem, mit Namen zehnte Woche, die Spitze meiner persönlichen Problem-Charts.

      »Wie, zehnte Woche?«, stammle ich und sehe Ada flehend an.

      »Ich, Ada Teßloff, bin in der zehnten Woche schwanger!«

      Irgendwas stimmt hier nicht.

      »Von wem?«, entfährt es mir.

      »Von dir, du Schwachkopf!«

      Schwangerer Altpunk-Schwachkopf will aber kein Kind, schießt es mir durch den Kopf. Und jetzt bin ich wirklich platt und bewege die Lippen wie ein Fisch.

      Holgi gibt den Elvis und richtet seinen Zeigefinger auf Ada.

      »Du bist schwanger?«

      Dann zielt er auf mich.

      »Von Toni?«

      »Jungs, wenn ihr schon alle da seid. Mehr schwanger geht gar nicht«, sagt Ada.

      »Dann schon mal alles Gute von meiner Seite.« Holgi Helvis, unser Paartherapeut, nimmt einen tiefen Schluck aus seiner Astraknolle.

      »Horni Hornig wird Vater! Ich halt’s im Kopf nicht aus!«, schüttet Holgi sich aus, wobei sein Kopf wie bei einem Wackelhund auf der Hutablage im Auto hin und her pendelt.

      »Was ist denn daran so ungewöhnlich?«, will ich jetzt wissen.

      »Schon gut, Toni, versteh mich nicht falsch, hätt ich dir bloß überhaupt nicht zugetraut.«

      Holgi trottet zu seiner Wohnungstür. Schlurf, schlurf. Und seine halb offenen Original-Siebzigerjahre-Galoschen verursachen das gleiche Geräusch wie seine runtergelatschten Hausschuh-Pantoletten, die ebenfalls aus der Erbmasse seines alten Herrn stammen.

      »Alter, ich werd Taufpate, darauf geb ich einen aus.«

      Ich lächle schwach und sage: »Verdammt, Ada, du kriegst ein Kind!«

      »Wir kriegen ein Kind.«

      »Ja klar, wir kriegen ein Kind!«

      Ada fixiert mich wie einen bewegungsgestörten Autisten, dem gerade das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom diagnostiziert, das Ritalin von der Kasse gestrichen und die Pflegeversicherung gekündigt wurde. Auf jeden Fall verrät ihr Blick, dass sie sich den Vater ihres Kindes irgendwie anders vorgestellt hat.

      Unser Mann von oben hat seine Stelzen abgeschnallt und gesellt sich zu uns. Ich versuche einen kühlen Kopf zu bewahren und zähle erst mal eins und eins zusammen.

      »Ada, verrat mir bitte: Das geht doch rein rechnerisch gar nicht. Wir beide haben seit Ewigkeiten nicht mehr miteinander geschlafen!«

      »Seit genau einem Monat!«

      »Das ist aber lang!«, meint Paartherapeut Holgi, der vor seiner Wohnungstür stehen geblieben ist und mitfühlend nickt.

      »That’s totally normal for pregnant women«, erklärt der Stelzenläufer. »I, myself, hab zwei children and two