Joachim Seidel

HimbeerToni


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female hormones.«

      »Aber wir haben doch aufgepasst!«, werfe ich in die Expertenrunde.

      »Nicht verhütet?«, fragt Holgi ernst.

      Ada schüttelt den Kopf und blickt hilfesuchend von mir zu unserem neuen Nachbarn – was geht den das überhaupt an? –, dann zu Holgi, den jetzt offenbar ein neuer Geistesblitz gestreift hat.

      »Nur mal angenommen – also gesetzt den Fall – vielleicht ist Toni ja gar nicht der Vater?«

      Ada, der Puppenspieler und ich setzen feindselige Mienen auf.

      »Ich mein ja bloß«, sagt Holgi, er fühlt sich offenbar in die Enge getrieben. Ich fixiere die drei, beiße mir auf die Unterlippe, balle die Rechte zur Faust, schiebe den angewinkelten Arm rasch vor und zurück und rufe: »Leute, was zieht ihr so lange Gesichter? Ich werde Vater! Und das wird gefeiert.«

      »Meinst du das ernst?«, fragt Ada und sieht mich ungläubig an.

      »Ich hab nie was ernster gemeint.«

      »Happy birthday, Adä, Toni«, kräht Milo, die hässliche Bauchpuppe, und schüttelt den Kopf. »We have to go upstairs: rehearsal. Hope you come all to my show tonight. I will put you on the guest list. Eintritt frei. You will see last time my old Kosovo-program.« Dann stakst er nach oben ab in seine Wohnung.

      Auch Holgi wird unruhig. Er hat genug gesehen und gehört. Sein Interesse an Ada, mir und dem Embryo in ihrem Bauch scheint verflogen: »Noch mal die allerherzlichsten Glückwünsche«, singsangt jetzt Holgi Helvis, die alte Rampensau. Er zielt mit dem Zeigefinger auf Ada und mich: »See you later, old Holgi muss auf Sendung. And please do not forget to listen to Holger-Helvis-Räädiioo – hört mal rein nachher, Leute, wie jeden dritten Freitag im Monat, wenn es wieder heißt: Welcome to Helvis-Räädiioo mit dem einzigen one and only true Holgi Helvis, hail, hail, Punk ’n’ Roll!«

      »Komm endlich rein«, sage ich zu Ada und nehme meine Geliebte fest in die Arme.

      »Toni. Ich liebe dich, und ich will endlich einen Schlüssel für deine Wohnung«, flüstert sie.

      »Kriegst du, und ehrlich – wir packen das mit dem Baby!«

      Ada schaut immer noch etwas skeptisch, und dann rollen ihr wieder Tränen über die Wangen. Sie geht in meine Küche und setzt sich.

      »Ich muss Schachting in der Redaktion Bescheid sagen, dass ich schwanger bin, Toni!« Ich reiche ihr ein Tempo.

      »Das hat doch Zeit«, erwidere ich.

      »Nein, ich finde es nur fair, dass die rechtzeitig planen können. Ich fahr gleich noch bei ELLA vorbei.«

      Während sich Ada weiter die Tränen abwischt, suche ich im Küchenschrank vergeblich nach dem Zweitschlüssel.

      »Ich finde das Teil nicht.«

      »Toni, du musst dich ändern, bis das Kind da ist. Zumal, wenn wir dann zusammenwohnen!«

      »Aber Ada, das Kind ist ja noch gar nicht auf der Welt!«

      Ada lässt ihren Tränen wieder freien Lauf. Ich reiche ihr das nächste Papiertaschentuch.

      »Woher kennst du eigentlich den Bauchredner?«, frage ich Volltrottel.

      »Toni. Ich will einen Schlüssel zu deiner Wohnung, und wenn wir es nicht schaffen zusammenzuziehen, dann…«

      Ada geht ohne Abschiedskuss und schlägt die Tür hinter sich zu.

      Während ich meine Küche nach dem verdammten Schlüssel auf den Kopf stelle, höre ich vom Treppenhaus noch Adas Schluchzen. Dabei müsste ich sogar noch einen dritten haben. Verdammt. Ganz plötzlich wird mir flau im Magen. Und völlig unvermittelt tut sich der Boden unter meinen Füßen auf. Ich, Anton Hornig, blicke in die Abgründe meines bisherigen Lebens. »I’ve got Angst in my pants«, wie die Sparks diesen Zustand mal so treffend besungen haben. Wieder mal befällt mich diese diffuse Angst vor Bindung und Verantwortung. Zu wenig Geld, kein fester Job und seit Jahr und Tag an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Andere kriegen ihr Leben doch auch gebacken – und das viel früher. Und jetzt bekomme ausgerechnet ich ein Kind. Ich muss mich ablenken, haste in den Flur, sehe mich um. Der Anrufbeantworter blinkt. Scheißblechelse. Ich drücke auf Wiedergabe, Herrn Blümchens Telefonstimme quäkt: »Blümchen hier. Ich freu mich auf Hamburg und die Remo-Smash-Party. Und bring mal was zu lesen mit von deinem selbstgeschreibselten Kram. Ankomme Hauptbahnhof, zwanzig nach zwölf, und tschö.«

      Noch mal verdammt. Es ist fünf nach zwölf.

      3. Herr Blümchen, die Achtziger und eine Fata Morgana

      Train kept a-rollin’ – Motörhead

      Ich trinke mein Bier aus, nehme einen Stapel meiner literarischen Ergüsse aus dem Drucker, verstaue sie in meinem Eastpak-Rucksack und mache mich auf den Weg zum Bahnhof. Ich beschließe, weder Herrn Blümchen noch sonst jemandem von meiner Vaterschaft zu erzählen. Mann, wir machen dieses Wochenende Party. Angehender Vater kann ich danach noch lang genug sein.

      Im Metrobus muss ich daran denken, wie alles begann: Holgi und Kurtchen waren längst von Hamburg nach Berlin gezogen, als Herr Blümchen und ich aus der Provinz in die Mauerstadt aufbrachen. Wir hatten schon als Teenager zusammen mit Papa Punk in unserem Kaff zusammen in einer Band gemuckt. Dann bekam Herr Blümchen seinen Einberufungsbescheid, wollte die nächsten zwei Jahre aber lieber in Berlin Schlagzeug spielen als zur Bundeswehr. Ich wurde zum Glück ausgemustert, schnappte mir meinen Basskoffer und ging mit.

      Bevor wir auf Holgi und Kurtchen trafen, entsprach unser Dasein inhaltlich am ehesten dem Schriftzug auf einem verwitterten Emailschild an einer Westberliner Fabrikhalle, das Herr Blümchen und ich kurz nach unserer Ankunft an einem bitterkalten Januartag Anfang der Achtzigerjahre im tiefsten Kreuzberg entdeckt hatten. Wir, die zwei frisch zugezogenen Wessis, hatten tags zuvor auf dem Flohmarkt am Reichpietschufer abgewetzte Anarcho-Lederjacken erworben, so, wie es sich für zugereiste Neuberliner gehörte. Nun verharrten wir andächtig, zähneklappernd in unseren schwarzweiß gestreiften Spandexhosen mit signalfarbenen Stulpen über den Waden, denn dort auf dem Fabrikschild stand geschrieben:

      Wir stellen ein:

      Und darunter:

      die Produktion

      Das entsprach genau unserem Lebensgefühl.

      Und heute? Trage ich weder Spandexhosen noch neongelbe Stulpen. Berlin ist längst keine Frontstadt mehr, aber im Winter so deprimierend wie eh und je.

      Am Bahnhof angekommen, klingle ich nochmals bei unserem ›lost Gitarrero‹ Kurtchen durch. Seit über zwei Wochen schon ist er wie vom Erdboden verschluckt. Im Kino meinte eine Kollegin, Kurtchen habe kurzfristig Urlaub genommen. Aber ob und wohin er verreist ist? Elsbeth, Kurtchens Ex, will ich deswegen nicht behelligen. So besorgt bin ich dann auch wieder nicht. Kurt ist weiterhin nicht zu erreichen.

      Herrn Blümchen erkenne ich schon von Weitem an seiner US-Marines-Brikettfrisur. Er kommt den Bahnsteig entlanggehumpelt, bleibt stehen und krümmt urplötzlich den Oberkörper nach vorn. Müde sieht er aus und fett. Wahrscheinlich hat Herr Blümchen wieder mal versucht, mit dem Rauchen aufzuhören. Er schwitzt und keucht vor Anstrengung, sein Kopf ist puterrot. Hundert Kilo Lebendgewicht muss man eben erst einmal bewegen können. Mein Freund steht nach wie vor geknickt neben sich und einem Koffer mit Rädern unten dran. Er starrt auf die Gleise. Ich fahre mit der Rolltreppe runter zu Gleis 13/14 und bleibe direkt hinter ihm stehen.

      »Blümchen, Blümchen an der Wand…«

      Herr Blümchen wendet sich um.

      »…wer hat den größten im ganzen Land!«, sagt er, ohne eine Miene zu verziehen.

      Wir nehmen uns in die Arme. Herr Blümchen zieht mich näher an sich heran und umarmt mich nach Kräften. Eigenartigerweise tut mir plötzlich der Schwanz weh.

      Auf mein »Herr Blümchen, an diesem Wochenende liegt Punkrock in der Luft« reagiert der beste