Leon Skip

Jesusse


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ihm eine schlüpfrige Geschichte abzuringen, in der es ganz offen um Oralsex, Dildos und Einläufe mit Weihwasser ging.

      Aus all diesen Gründen war auch die Arbeit Bonbonis im Schattenreich angesiedelt. Die verdeckten Aktionen des vatikanischen Geheimdienstes und seiner Handlanger waren dem durchschnittlichen Gläubigen, der Maulaffen feilhielt, wenn Franziskus am Balkon erschien, und der an das Gute im Menschen glaubte, gänzlich unbekannt. Man konnte auch sagen, der normale Gläubige von der Straße hätte es gar nicht wissen wollen. Wollten denn die Amerikaner wissen, was damals, am Elften Neunten, wirklich geschehen war? Einen Dreck wollten die!

      Bonboni hatte zwar ein Büro im Vatikan, er hielt sich aber selten dort auf. Reine Vorsichtsmaßnahme! Seitdem Überwachungsgeräte auf das Format von Stecknadelköpfen geschrumpft waren, konnte man nie sicher sein, wer alles mithörte.

      Nein, er hatte entschieden, sich mit den Priestern auf neutralem Boden zu treffen und so steuerte er nun die Sakristei der Kirche Santa Maria in Cosmedin an der Piazza Bocca della Verità an. Die Basilika gehört heute den verrückten Melkiten, wie Bonboni für sich die Leute von der katholischen Ostkirche nannte. Ursprünglich unter Papst Hadrian auf den Resten eines Herkulestempels erbaut, bei einer Invasion der Normannen verwüstet, später barockisiert, dann romanisiert und schließlich der Jungfrau Maria geweiht.

      In der Vorhalle konnte man den so genannten Wahrheitsmund bewundern, der zugleich das populärste Ausstellungsstück der Kirche war. Es handelte sich um einen antiken Kanaldeckel der Cloaca Maxima, der den Flussgott Triton zeigt. Die Geschichte lief darauf hinaus, dass angeblich jeder, der die Hand in den Mund schiebt und dabei nicht die Wahrheit sagt, diese Hand verlieren würde und so konnte man täglich Hunderte von jugendlichen männlichen Touristen dabei beobachten, wie sie von ihren Freundinnen dazu genötigt wurden, ihre Hand in Tritons Mund zu stecken und gleichzeitig zu geloben, dass sie nur sie und keine andere lieben würden. Da kam es schon mal vor, dass sich der eine oder andere Tropfen Angstschweiß seinen Weg entlang der Schläfe eines verschreckten Jungen bahnte, der einem ernsthaft dreinblickenden Mädchen, das keine Ahnung vom Leben hatte, seine Treue schwor.

      Bonboni fand, dass dieser Symbolismus passte. Es ging bei diesem Projekt - zumindest nach außen hin - um Wahrheitsfindung und irgendwie hoffte er auf ganz und gar unchristliche Weise, dass diejenigen, die als Frevler aus dieser Geschichte hervorgehen würden, mehr als nur ihre Hand verlieren würden.

      Der Schlüssel zur Sakristei war so groß wie eine Forelle, nur etwas schwerer. Trotzdem schnappte das Schloss ohne weiteres auf und Bonboni betrat den kühlen Raum, der mit liturgischen Gewändern, Hostienschalen, Kerzen, Büchern und Paramenten vollgeräumt war. Einer der besonderen Zwecke von Sakristeien war ja auch die Vorbereitung der Priester auf ihre Aufgabe, ihre Verantwortung gegenüber den Gläubigen. Auch hier wieder ein Symbolismus, der Bonboni gefiel. Denn vorbereiten, zumindest mental, mussten sich die Priester auf das, was auf sie zukommen würde.

      Bonboni schloss die alte, schwere Tür und setzte sich an den einfachen Tisch in der Mitte des Raumes. Erinnerungen krochen von unbewussten in bewusste Regionen seines Gehirns, Erinnerungen an seine Zeit als einfacher Priester, als er in Räumen wie diesem nervös darauf gewartet hatte, dass die Kirche sich füllte und nur das hatte für ihn gezählt. Volle Sitzreihen. Er hatte es stets als persönliches Versagen empfunden, wenn seine Schäfchen nicht dicht an dicht seiner Predigt lauschten - in diesem Sinne war er Perfektionist gewesen. Das war er wohl auch jetzt noch, nur hatte die Zeit bereits lange Schatten über seinen jugendlichen Idealismus geworfen und heute war seine Berufung für ihn mehr Pflicht als Ideal. Mit einem lauten Gähnen versuchte er, diese Erinnerungen in die unbewussten Hirnareale zurückzuschieben. Dem Gähnen folgte ein Furz und das Erschrecken darüber, dass er gerade die Sakristei vollstank. Was, wenn just in diesem Moment einer der Priester den Raum betrat.

      Er sprang auf und riss die Tür auf. Leider regte sich kein Windhauch. Er dachte an die Cloaca Maxima. Und natürlich erinnerte er sich an die letzte Sitzung der internationalen Theologenkommision am vergangenen Dienstag. Warum konnte man die Dinge nicht einfach belassen, wie sie waren? Die katholische Kirche war über Jahrhunderte gut ohne solche Projekte gefahren, warum also jetzt plötzlich diese Panik?

      Aber er wusste die Antwort: Das Internet war schuld daran. Früher hätte man sich mit solchen Fragen gar nicht erst beschäftigt. Kein Hahn hätte danach gekräht, ob … er roch noch einmal extra stark, so dass seine Nasenhaare die Schleimhaut seines Riechorgans kitzelten. Der Gestank hatte sich noch immer nicht verflüchtigt. Was hatte er eigentlich gegessen? Er streckte sich hoch zu einem winzigen Fenster, brach jedoch beim Versuch, dieses zu öffnen, den barocken Verschluss ab und stand nun etwas verunsichert mit dem Griff in der Hand da, als er Schritte hörte.

      »Eure Eminenz, es ist mir eine Ehre ...«

      Kaum einen Augenschlag später stürzte ihm ein junger Priester entgegen, der ihm sogleich kniend seinen Kardinalsring küsste. Bonboni berührte ihn an der Schulter, was einerseits als Segnung, andererseits aber auch als Aufforderung zum Aufstehen verstanden werden konnte.

      Bonboni hatte es schon immer tuntig gefunden, wenn Männer sich gegenseitig die Hände küssten. Mit den jungen, den ganz jungen, da war das schon was anderes. Ein schwacher Impuls seiner Libido projizierte die entsprechenden Bilder auf die Leinwand seiner Phantasie und er musste an das vergangene Wochenende denken. Er verscheuchte diesen Gedanken jedoch sofort, als der zweite und der dritte Priester in die Sakristei eintraten und das Knie-Kuss-Ritual absolvierten. Verlegen standen alle im Kreis. Die Priester waren nicht oft in Gesellschaft von Kardinälen und Bonboni war schon gar nie alleine in Gesellschaft mit einer Runde von gewöhnlichen Priestern.

      Wie auch immer, er musste die Initiative ergreifen.

      »Signori, setzen sie sich doch bitte. Sie kennen sich noch nicht. Darf ich vorstellen: Pater Morgenschweiß aus Köln, Prêtre Langlois aus Avignon und Padre Moratti aus Mailand. Verzeihen Sie die ungewöhnlichen Umstände, ich werde ihnen sogleich erklären, warum wir uns an diesem Ort treffen und vor allem, warum sie mich hier alleine antreffen.«

      Er hob bedeutungsvoll seinen Kopf und fummelte nochmals an seinem Ring.

      »Doch vorher muss ich sie bitten zu schwören, dass alles, was in diesem Raum besprochen wird, unter uns bleibt.«

      Alle drei hoben die rechte Hand. Morgenschweiß schwor auf Deutsch, Moratti stellte sein Latein auf die Probe, Langlois schwor auf Französisch. Bonboni nickte kurz mit dem Kopf.

      Es widerte ihn an.

      Er war von der Kommission verpflichtet worden, den Priestern diesen Schwur abzunehmen und gleichzeitig war ihm klar, dass man diese Geschichte nie und nimmer würde geheim halten können. Und genau das war der wunde Punkt an der Sache. Irgendjemand würde früher oder später plaudern und was dann? Nein, es konnte nicht gut gehen.

      »Also gut, ich komme gleich zur Sache. Patres, sie werden verreisen. Jeder von ihnen hat einen äußerst wichtigen Auftrag zu erfüllen, von dem vielleicht der Fortbestand der heiligen Mutter Kirche abhängt.«

      Zugegeben, er pflegte einen Hang zur Dramatik und es entsprach sicher nicht den Tatsachen, was er hier zum Besten gab. Trotzdem würde er deswegen nicht schlechter schlafen als sonst. Ganz im Gegenteil. Er legte noch ein Schäuflein nach.

      »Und nicht nur der Fortbestand unserer heiligen Mutter Kirche. Vielleicht auch der Ausgang des jüngsten Gerichts.«

      Wenn die Priester vorher die Augen aufgerissen hatten, so begannen ihnen jetzt die Pupillen auszutrocknen, da sie wie versteinert den Kardinal anstarrten. Bonboni liebte es, Menschen zu verunsichern. Und schon gar, wenn es so weit ging, dass jungen Priestern der Schweiß in Strömen hinter den Collarkragen sickerte.

      Moratti fing sich als Erster. Er hatte einen knallroten Kopf, da er völlig auf das Atmen vergessen hatte.

      »Eure Eminenz erlauben sich doch hoffentlich keinen Scherz mit uns?«

      Wie zur Bestätigung nickten die beiden anderen synchron mit den Köpfen. Sie erinnerten an Spielzeughunde mit gelenkig gelagerten Köpfen auf der Ablage mancher Autos.

      »Padres, es war mir nie ernster«, log Bonboni. Er wollte die Situation noch ein bisschen auskosten