Leon Skip

Jesusse


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Signori, nehmen eine Mittlerrolle zwischen Gott und den Menschen ein und der Auftrag, der ihnen bevorsteht, wird ihren rechten Glauben auf die Probe stellen, soviel ist sicher.«

      Hier war eine kurze dramaturgische Pause angebracht, die der Kardinal nutzte, um die Ereignisse des letzten Wochenendes Revue passieren zu lassen. Das herrliche Machtgefühl, nachdem er seinem Laster gefrönt hatte, war durch nichts zu ersetzen.

      »Signori, die Kurie und die Theologenkommission haben mich mit einem schwierigen Fall beauftragt und ich habe sie aufgrund ihrer Sprachkenntnisse ausgewählt, ihren Beitrag an diesem Fall zu leisten. Wie sie vielleicht wissen, gibt es zur Zeit unzählige Personen auf diesem Planeten, die vorgeben, der Sohn Gottes zu sein, aber nur einige wenige von ihnen haben eine beträchtliche Anhängerschaft um sich versammelt. Nicht alle von ihnen behaupten jedoch, Christus zu sein. Bei einigen sind es ihre Anhänger, die diese Botschaft in Umlauf bringen. Sie werden nun inkognito vor Ort feststellen, was es mit diesen Gerüchten auf sich hat. Sie werden jedoch nicht erfahren, wohin die jeweils anderen reisen und sie werden ausschließlich mir Bericht erstatten.«

      Es war wiederum Moratti, der die Frage stellte:

      »Eure Eminenz, bezüglich eurer Anspielungen auf den Fortbestand der heiligen Mutter Kirche und des Ausgangs des jüngsten Gerichts-«

      Der Kardinal unterbrach Moratti. Wenn er etwas hasste, dann war das, unterbrochen zu werden.

      »Padre, wenn sie nichts dagegen haben, würde ich gerne mit meinem Vortrag fortfahren … nun, die heilige Mutter Kirche steht vor gewaltigen Entscheidungen. Nie zuvor gab es so viele Heilande mit solch großer Anhängerschaft… «

      Nun kam der schwierige Teil. Er wollte es eigentlich nicht aussprechen, aber was blieb ihm anderes übrig?

      »…sodass wir uns fragen müssen, ob der Sohn Gottes möglicherweise wie seinerzeit angekündigt bereits zurückgekehrt ist.«

      Bonboni hob seine Hände zur Brust und faltete sie wie im Gebet. Die Priester bekreuzigten sich, alle drei wurden blass um die Nasenspitze.

      »…zumal im Zusammenhang mit diesen selbsternannten Heilanden des Öfteren von Wundern die Rede ist, muss der heilige Stuhl unbedingt wissen, ob der Heiland zurückgekehrt ist. Das Schlimmste für die katholische Kirche wäre, wenn wir das als Letzte erfahren würden. Sie können sich vorstellen, wie wir in dem Fall dastehen würden.«

      Jetzt war es raus. Bonboni fühlte sich beschmutzt und wäre am liebsten davongelaufen. Eigentlich gab es nichts mehr zu sagen.

      Pater Morgenschweiß quollen die Augen aus dem Kopf. Er erinnerte Bonboni an eine Lemure.

      »Wie viele selbst ernannte Heilande gibt es denn?«

      »Wenn sich das nur in Zahlen ausdrücken ließe. Allein in der psychiatrischen Notaufnahme des Kfar-Shaul-Spitals von Jerusalem werden zurzeit siebzehn Jesusse und sieben Marias stationär behandelt. Bei der letzten Präsidentenwahl in den USA wurden über sechshundert Wahlkampfspenden von Jesussen verzeichnet. Wir haben uns also lediglich auf diejenigen Fälle konzentriert, wo es dem vorgeblichen Heiland gelang, eine große Anhängerschaft um sich zu versammeln. Das gelang bisher … siebenundzwanzig…«

      Synchron atmeten die Priester aus, als wollten sie gemeinsam eine Geburtstagstorte ausblasen.

      »…jedoch nur wenige kommen in die engere Wahl. Die Kommission hat sich nach langen Beratungen auf drei Kandidaten geeinigt. Im Zusammenhang mit dem Wirken dieser Personen wird immer wieder von Wundern berichtet. Ich werde jetzt nicht verlautbaren, wer ausgewählt wurde, da sie nur von dem Kandidaten erfahren werden, dem sie zugeteilt wurden. Alles andere hat sie nicht zu interessieren.«

      Er griff in seine Tasche und zog drei Kuverts heraus. Er reichte jedem einen Umschlag. Bonboni war mit der Auswahl ganz und gar nicht einverstanden gewesen. Jeder der ausgewählten Heilande hatte sich mit Popstar-Allüren zu dem gemausert, was er heute war. Er, Bonboni, hätte eher auf die ruhigen, unscheinbaren Selbsternannten gesetzt, das heißt, die Abstimmung der Kommission war nicht gerade in seinem Sinne verlaufen.

      »Sie dürfen nun gehen, Signori. Möge Gott ihnen beistehen. Ich muss hoffentlich nicht extra betonen, dass sie sich nicht austauschen dürfen. Ihr jeweiliger Auftrag ist streng geheim und ein Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht hätte sofortige Exkommunikation zur Folge. Die Details zu ihrem jeweiligen Auftrag finden sie in den Unterlagen.«

      Er blickte den Priestern einschüchternd in die Augen.

      »Verstehen wir uns?«

      Sie verstanden sich.

      Morgenschweiß und Moratti standen auf, absolvierten das Knie-Kuss-Ritual und wandten sich der Tür zu. Sie wussten nicht, ob sie nun gehen sollten. Da Bonboni ihnen jedoch den Rücken zuwandte, verließen sie die Sakristei. Die Exkommunikation vor Augen, hatte niemand Lust auf Fragen oder Erklärungen und so verbeugten sie sich lediglich wortlos und gingen ihrer Wege.

      Bonboni trat ans Fenster, nahm den abgebrochenen Griff und warf ihn in den Papierkorb. Giuseppe Sardi, Barockarchitekt und Autodidakt, hatte ihn 1718 entworfen und nun ging er den Weg alles Irdischen.

      Bonboni musste an Buddha denken, als er sich wider besseres Wissen am Hals kratzte, wodurch das Jucken nur noch schlimmer wurde.

      Er war sich sicher, der Buddha hätte sich erst gar nicht gekratzt

      2 - Rom

      PATER DIETER MORGENSCHWEISS SASS AUF DER BETTKANTE seines Zimmers im Hotel Fornesino. Durch die Vorhänge konnte er die Ponte Milvio und die Kuppel des Petersdoms sehen. Seltsamer Weise hatte dieser Ausblick für ihn allerdings nicht mehr die gleiche Qualität wie gestern. Überhaupt war heute alles anders. Er hätte gerne mit jemandem über diese Sache gesprochen, aber das kam nicht in Frage. Seiner Schwester in Köln hatte er lediglich mitgeteilt, dass er eine Reise nach Russland machen würde und dass er nicht darüber sprechen wolle. Sie war beunruhigt gewesen. Hätte er jedoch gesagt, dass er nicht darüber sprechen dürfe, hätte sie sicher versucht, ihn auszuquetschen. Und das brauchte er jetzt ganz sicher nicht.

      Warum Sibirien, warum Vassilian? Er hatte schon von diesem selbsternannten Heiland gehört. Kopfschüttelnd erinnerte er sich an die Dokumentation auf Youtube. Ein junger Journalist hatte die Stadt des Himmels besucht, wo sich die Anhänger Vassilians angesiedelt hatten. Mit versteckter Kamera filmte er die Bergpredigt, dann bekam er die Erlaubnis zu einem Interview mit dem sibirischen Messias. Morgenschweiß hatte sich gewundert, dass Jesus das Wagnis einging, sich ablichten zu lassen. War es denn nicht viel zu riskant, dass ein kleiner Fauxpas beim Drehtermin das Bild des Messias nachhaltig beschädigte? Wollte man denn wirklich für alle Ewigkeit im Internet die Hautunreinheiten des Erlösers in HD-Qualität sehen, sich darüber wundern, warum Jesus sich beim Rasieren geschnitten oder warum er sich die Nasenhaare nicht gestutzt hatte? Dunkle Augenringe, Warzen, eingetrockneter Speichel in den Mundwinkeln, halb zugewachsene Piercing-Löcher in den Ohrläppchen - all das war doch gefundenes Fressen für zynische, unesoterische Zeitgenossen und Nährboden für Verunglimpfungen aller Art.

      Und wie es der Teufel wollte, sah man auf den Aufnahmen nicht nur den Messias, sondern auch zwei seiner Getreuen, die wohl darüber wachen sollten, dass der Journalist die richtigen Fragen stellte und einer der langhaarigen, nachlässig Gekleideten, die im Hintergrund lümmelten, biss an seinen Nägeln rum. Vorne der Messias, Jesus von Nazareth leibhaftig, in aufrechter Haltung, als hätte er einen Besenstiel verschluckt, mit gütig-salbungsvollem Blick, der versucht, die peinlichen Fragen des Journalisten wie: Warum haben Sie als einziger ein Auto, wenn in der Stadt des Himmels generelles Verbot für Fahrzeuge aller Art besteht?, zu beantworten, ohne die Contenance zu verlieren und hinter ihm sitzen mit hängenden Schultern und ungewaschenen Haaren seine Nächsten, zwei seiner Jünger, und einer kaut an den Fingernägeln. Passte das denn zum Bild des Wiedergekehrten, der die Last der sündenbeladenen Menschheit auf seine Schultern nahm? Würde Leonardos Abendmahl noch heute das Refektorium das weltberühmten Dominikanerklosters schmücken, wenn die Apostel nicht in just dem Moment, in dem der Meister von Pinsel und Perspektive sie verewigt hatte, auf den Griff in den Schritt oder das Bohren in der Nase verzichtet