Anna Katharina Bodenbach

Kurzgeschichten Band I


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      »Siehst du das? Der Lichtstrahl fällt genau auf einen Hügel angehäufter Erde«, sagte Jan.

      Eric kniete vorsichtig neben dem Häuflein nieder und begann, es vorsichtig mit den Händen abzutragen. Er stieß auf etwas Hartes und wischte vorsichtig über die Oberfläche. Ein schwarzer Stein kam zum Vorschein,

      durch den sich rote und gelbe Adern zogen.

      »Was ist das?«, fragte Jan und kam näher.

      »Ich glaube ein Stein«, antwortete Eric unsicher.

      Jan, der die Taschenlampe genau auf ihr Fundstück hielt, kniete nieder und zog es vorsichtig aus dem Dreck. Dann reichte er die Taschenlampe seinem Bruder und säuberte mit seinem T-Shirt ihren Fund.

      »Ich glaube, das ist kein Stein«, sagte Jan mehr zu sich selbst als zu seinem Bruder.

      »Was denn sonst?«, fragte Eric und ließ seine Hand über die Oberfläche des hühnereigroßen, fremden Dinges gleiten.

      »Ich glaube, das ist ein Ei«, hauchte Jan.

      »Lass es mich auch mal halten!«, bat Eric.

      »Einen Moment noch.« Jan nahm die Taschenlampe und leuchtete das Ei von unten an. Kein Licht schimmerte durch das Schwarz. Einzig und allein ein paar der rotgelben Adern schienen zu flimmern. »Man kann nicht sehen,

      ob etwas drin ist.«

      Er gab das Ei Eric, der es vorsichtig von allen Seiten untersuchte.

      Plötzlich hörten sie ein unheimliches Heulen.

      »Wir sollten lieber verschwinden. Wer weiß, welchem Tier dieses Ei gehört.« Eric öffnete seinen Rucksack und wickelte das Ei in eine Decke ein, bevor er es verstaute.

      Beide Jungs versuchten, so schnell wie möglich, wieder an das Tageslicht zu kommen, doch schon an der ersten Kreuzung fanden sie keine Markierung.

      »Wie kann das sein?«, fragte Jan. »Hast du das Zeichen nicht richtig eingeritzt?«

      »Doch, das habe ich bestimmt!«, gab Eric empört zurück.

      »Und wo ist es dann?«, schnippte Jan.

      Die beiden Jungs suchten mit der Taschenlampe alle Ecken ab, doch das Zeichen blieb unauffindbar.

      »Und nun?«, fragte Jan. Eric zuckte nur mit den Schultern. Da hörte man wieder dieses komische Heulen, was der Wind hervorbrachte, und Eric bekam eine Idee. Er setzte seinen Rucksack ab und fing an, nach etwas

      Bestimmtem zu suchen.

      »Was machst du da?«

      »Ich suche Streichhölzer«, gab Eric knapp zurück.

      »Und wozu?«

      »Wenn ich eins anzünde, dann wird uns der Windhauch

      sagen, welchen Weg wir gehen sollen.«

      »Ach so. Gute Idee!«, rief Jan so laut, dass von allen Seiten ein Echo zurückhallte.

      Vorsichtig zündete Eric das Streichholz an und hielt es hoch. Die Flamme zog eindeutig in Richtung eines Ganges, den sie daraufhin nahmen.

      An der zweiten Kreuzung war das hinterlassene Zeichen klar und deutlich zu erkennen, und kurze Zeit später standen sie vor dem Engpass, der ins Freie führte.

      Erleichtert schauten die Jungs an ihrem Seil auf. Allerdings schauten von oben drei Unbekannte über die Absperrung. Die Zwillinge tauschten einen Blick aus, der alles, was getan werden musste, ohne Worte sagte: so schnell wie möglich raufklettern und verschwinden. Oben angekommen, sahen sie in drei verärgerte Gesichter, die ihnen völlig unbekannt waren.

      »Seid ihr verrückt geworden?«, fragte eine junge Dame besorgt.

      Eric stand einfach nur da und blickte unschuldig drein. Jan hingegen holte das Seil ein, gab seinem Bruder ein Zeichen, und sie rannten davon. Damit hatte keiner gerechnet, und sie wurden nicht verfolgt.

      Als sie an der Hütte, an der sie mit ihrer Mutter Rast gemacht hatten, ankamen, blieben sie stehen, um zu verschnaufen.

      »Wie viel Uhr haben wir?«, fragte Eric seinen Bruder atemlos.

      »Kurz nach vier.«

      »Nicht gut. Wir müssen uns beeilen.«

      Als sie bei ihren Eltern ankamen, war es bereits halb fünf.

      Ihre Mutter war sauer, doch ihrem Vater war es egal, er wollte einfach nur einen ruhigen Urlaub haben.

      »Lass die Jungs doch in Ruhe, Jenny! Sie sind alt genug, um auch mal einen Tag alleine zu verbringen. Das nächste Mal müssen wir ja nicht für sie mitkochen, dann kannst du dich nicht über kalt gewordenes Essen ärgern.«

      Jenny schnaubte, und die Jungs schlangen die kalten Nudeln mit Tomatensauce hinunter.

      Kurze Zeit später saßen Jan und Eric vor dem Laptop ihres Vaters und versuchten, im Internet herauszufinden, von welchem Tier das Ei war. Doch egal, auf welcher Seite sie suchten, auf den Bildern war keines wie ihres abgebildet.

      »So, noch fünf Minuten, dann macht ihr das Ding aus!«, riss ihre Mutter sie aus der Suche.

      »Warum?«

      »Das Wetter ist zu schön, um vor dem Ding zu hocken, außerdem ist es der erste Tag, und wir gehen alle früh schlafen.«

      Die Jungs rollten mit den Augen und klappten den Laptop zu.

      Am nächsten Morgen frühstückten alle zusammen.

      »Können wir nach dem Frühstück an deinen Laptop, Papa?«, fragte Jan.

      »Warum denn?«, wollte Daniel wissen.

      »Wir müssten etwas herausfinden«, sagte Jan knapp und sprach nicht weiter, als ihm Eric unterm Tisch gegen das Schienbein trat.

      »Okay, aber nur kurz. Wir wollen heute einen Ausflug mit euch machen.«

      »Wohin denn?«

      »Bogenschießen im Nachbartal. Ihr habt doch beide schon so oft davon geschwärmt.«

      Beide nickten, doch sie wollten lieber herausfinden, was das für ein seltsames Ei war, anstatt irgendetwas anderes zu unternehmen.

      Nach einer halben Stunde waren sie immer noch nicht fündig geworden, und die Zeit wurde knapp, denn ihre Mutter fing schon an, einen Rucksack zu packen.

      »Gib am besten bei Google Bildlexikon Eier ein«, flüsterte Eric.

      »Nein, das hatten wir schon«, sagte Jan.

      »Wie wäre es mit: schwarzes Ei mit gelb-roten Adern?«, fragte Eric.

      »Das hatten wir auch schon«, gab Jan resigniert zurück.

      »Gib es noch mal ein, was hatten wir da gefunden?«

      »Nur Bilder und Texte über Raupeneier.«

      Für einen kurzen Moment sah es so aus, als seien die beiden Jungs vor dem Laptop eingefroren.

      »Dann probiere mal: Ei schwarz rote Adern in Höhle«, sagte Eric.

      »Das bringt doch nichts.«

      »Mach es trotzdem.«

      Jan tippte die Suchanfrage bei Google mit seinem Zwei-Finger-Such-System ein und drückte auf Enter. Der zweite Link sah vielversprechend aus.

      »Öffne den da mal!«, forderte Eric ganz aufgeregt und zeigte auf den Bildschirm. Und tatsächlich, dort war ein Bild von ihrem Ei abgebildet.

      Die Augen der Jungs weiteten sich, als sie den Text lasen.

      … Es handelt sich um ein versteinertes Ei, das 1830 in Zentralasien entdeckt worden ist. Dieses Ei wurde in einer Höhle mit Malereien entdeckt. Die Höhle ist heute nicht mehr aufzufinden, doch die Bilder wurden auf Papyrus übertragen. Sie erzählen die Geschichte des Phoenix. Seltsamerweise wurde der Fund nicht ernst genommen,