Claus Beese

Wasser, Fische und Agenten


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interessiert von der mit teurem Leder bezogenen Couch her.

      »Einer deiner Vorfahren war vielleicht tatsächlich ein Wikinger. Wer weiß das schon? Wir kennen beide einen Haufen Leute, die ihren Urlaub immer wieder in einem bestimmten Winkel der Erde verbringen. Karl, zum Beispiel, groß gewachsen, muskulös, mit Adlerblick und Hakennase. Verbringt seinen Urlaub immer in den USA. Stell ihn dir mal mit Lendenschurz und Adlerfeder vor. Vielleicht ein direkter Nachkomme von Cocheese oder Winnetou? Oder nimm Dieter. Klein, fast untersetzt, aber schlank. Schwarzes, krauses Haar, fliegt besonders gern auf die Seychellen. Passt doch eher nach Polynesien und in die Südsee als nach Deutschland, oder? Und nun stell dich mal vor den Spiegel! Klein, stämmig, dunkelblond, mit rotem Vollbart, wenn du ihn wachsen lassen würdest. Dann häng dir noch in Gedanken ein Bärenfell um und setz dir ‘nen Helm auf. Halvar von Flake oder Hägar in Reinkultur, sag‘ ich dir. Das würde auch deine Vorliebe für die Ostsee erklären.«

      Ich war nachdenklich geworden, denn was er sagte, klang nicht nur sehr einleuchtend, sondern auch irgendwie beruhigend. Vielleicht war es so?

      »Schau!« fuhr er fort. »Noch heute, nach Jahrmillionen, können die Wissenschaftler die Restenergie des Urknalls messen, aus dem das Universum entstand. Und alles, was du tust, denkst, und an Erfahrungen in deinem Gehirn speicherst, ist doch nichts anderes als Energie. Es ist bewiesen, dass in diesem Universum nichts verloren geht. Alles kommt aus Energie, und alles wird zu Energie. Vielleicht hast du nur ein winziges Energieteilchen aus der Erinnerung irgendeines alten Wikingers in dir, du müsstest noch nicht einmal direkt von einem abstammen. Und bums, schon wunderst du dich über Gedanken oder Gefühle, die plötzlich in dir sind, und für die du keine Erklärung hast.«

      »Och nee, da gefällt mir die Version mit dem ollen Wikingerhäuptling als Ururururgroßvater schon besser«, stellte ich grinsend fest und schwang meine Beine von der Couch. »Unter Umständen liefert mir das sogar noch ein Argument mehr in der Diskussion.«

      »Diskussion? Du liebäugelst mal wieder mit einem Schiff, he?«

      Einem guten Freund und einem guten Seelenklempner bleibt eben nichts verborgen.

      Wie mochte es sich nun tatsächlich verhalten? Wenn es so war, wie Robert vermutete, wie mochte mein Urahn wohl ausgesehen haben? Vor meinem geistigen Auge entstand das Bild eines Wikingers, wie man sich ihn vorstellt. Groß, kräftig, rotblond mit mächtigem Rauschebart und einem gehörnten Helm auf dem Kopf. Ich musste bei dieser Vorstellung grinsen, denn heute verstand man unter einem gehörnten Mann ja eigentlich etwas anderes. Ich verscheuchte diese Gedanken aus meinem Kopf, obwohl sie anfingen mir Spaß zu machen, und wandte mich wieder der Wirklichkeit zu.

      Tatsächlich überlegte ich von morgens bis abends, wie ich meine Angetraute zu einem Bootskauf überreden könnte. Es war mir deshalb nicht gut gegangen und sie hatte es auch bemerkt. Sie sah mir immer an, wenn irgendetwas nicht in Ordnung war. Auch, wenn ich nicht in Ordnung war!

      Als ich dann eines Morgens das Haus verließ, um beim Angeln mit meinem Freund Joachim auf andere Gedanken zu kommen, hatte sie sehr geheimnisvoll getan und gemurmelt, dass sie vielleicht die richtige Medizin gegen meine depressiven Stimmungen hätte.

      »Na, wie war’s?«, wollte sie wissen, nachdem ich die Forellen in der Küche auf die Spüle gelegt hatte. Ich seufzte abgrundtief. Ich wusste, wenn ich jetzt nicht die Kurve kriegte und mich wieder dem Wassersport zuwandte, dann würde ich wohl für den Rest meines Lebens im Garten Stiefmütterchen säen und Kartoffeln pflanzen. Und dazu hatte ich, ehrlich gesagt, keine Lust. Das Problem war, wie sollte ich ihr begreiflich machen, was in meinem Kopf und in meinem Herzen vor sich ging?

      Sie schob mich behutsam vor sich her ins Wohnzimmer und drückte mich in einen Sessel.

      »Ich glaube, ich habe genau das Richtige für dich.«

      Sie legte ein kleines, grünes Dokument vor mir auf den Tisch und beobachtete gespannt meine Reaktion. Ich kam langsam aus dem Sessel hoch und griff nach dem Papier. Ich hatte es schon mal gesehen, aber irgendwann aus den Augen verloren. Lange Zeit hatte ich geglaubt, es verloren zu haben. Es war mein Amtlicher Sportbootführerschein, gültig für See und Binnen. Ich schaute meine bessere Hälfte mit großen Augen an.

      »Weißt du, was wir brauchen?«, fragte ich leise und sie nickte lächelnd.

      »Ein Boot!«, riefen wir beide wie aus einem Mund.

      Wir machten Kassensturz. Es war nicht viel, aber wenn wir noch ein bisschen bei der Bank...?

      »Kommt nicht in Frage!«, tönten die Posaunen von Jericho in meinen Ohren. »Bislang haben wir es immer so gehalten, was wir nicht bezahlen können, wird nicht gekauft. Und dabei bleiben wir! Ich habe keine Lust, mich wegen deines Spielzeugs zu verschulden!«

      Gut, das schränkte das Auswahlverfahren bei der Bootssuche erheblich ein. Eigentlich sollte es ja auch nur etwas sein, das wir auf einem Trailer mit nach Dänemark nehmen konnten. Im Geiste sah ich mich bereits mit der Dorschrute vom eigenen Boot aus fischen. Oh, Mann! Ich konnte es kaum erwarten.

      »Bist du von Sinnen? Mit der Nussschale lass‘ ich dich doch nicht aufs Meer raus! Zu klein!«

      Basta! So einfach war das: zu klein; zu groß; zu teuer; so billig, dass da irgendwo ein Haken sein muss. Irgendetwas passte immer nicht. Waren wir bislang immer von den Verkäufern der norddeutschen Bootsmakler umschwärmt worden, so schaute man jetzt kaum noch auf, wenn wir durch die Bootshallen streiften oder über das Ausstellungsgelände wanderten. Man hielt uns schlicht für Sehleute statt für Seeleute. Ich kam an den Punkt, wo ich das ganze Theater nicht mehr ernst nahm und mich von der Realität verabschiedete. Wenn ich schon kein Boot haben sollte, dann wollte ich mir das wenigstens selber aussuchen. So blieb mein Blick immer wieder an den Schiffen statt an den Booten hängen. Es war klar, dass ich bei einigen nicht das Geld für den Sprit aufbringen konnte, um die Maschinen zu starten, geschweige denn, das Personal zu bezahlen. Aber träumen wollte ich schon mal dürfen.

      Ich trieb mich jetzt öfter auf den Stegen entlang der Lesum herum und kam mit so einigen Skippern ins Gespräch. Und irgendwann landeten wir auf dem Gelände der Yachtagentur Blue Ocean. Diese Maklerfirma hatte zwar nicht die tollsten Boote auf dem Hof, aber dafür waren sie bezahlbar.

      Die Inhaberin betrachtete uns mit großem Wohlwollen und gestattete uns gerne einen Erkundungsausflug auf ihrem Gelände.

      »Kein Problem! Wenn Sie was Passendes gefunden haben, sagen Sie nur Bescheid.«

      Ich stand mit verträumtem Blick in den Augen vor einer kleinen, ziemlich heruntergekommenen Grand Banks, die sich irgendwie hierher verirrt hatte, als etwas heftig an meinem Hosenbein zu zerren begann.

      »Los, Papa! Komm mit! Mama hat ein tolles Boot gefunden. Sie sagt, du sollst dir das angucken.«

      Mit Wehmut im Blick trennte ich mich von dem stolzen, aber verrotteten Kasten und folgte brav meinem Töchterchen, das mich zielstrebig um einige Boote herum bis in den hintersten Winkel des Grundstückes lotste. Dort sah ich in der letzten Ecke, halb zugewuchert von Unkraut und wilden Brombeeren - einen Haufen dreckiger Planen. Unter den schon arg lädierten Kunststoffplanen rumorte es verdächtig und ich rief nach meiner besseren Hälfte. Unter den Tüchern sah man ein Paar Beine hin und her laufen, und der Hose nach zu urteilen musste es sich um mein treues Eheweib handeln, die unter diesem Haufen von Leichentüchern herumwuselte. Irgendwie schaffte sie es, den Ausgang zu finden und schaute mich mit hochrotem Kopf und strahlenden Augen an.

      »Das isses!«, verkündete sie strahlend.

      Es bedurfte einiger Überredungskunst von Seiten meiner Frau, bis ich mich unter die Plane traute. Ich ging ein paarmal um das Teil herum, betrachtete es eingehend von allen Seiten und kletterte schließlich an Bord. Oh, Mann! Das war ein Ding. Zwar noch kein Wrack, aber auch weit entfernt von jeder Ostseetauglichkeit. Der Aufbau des Fahrerhäuschens, anders konnte man es nicht bezeichnen, bestand aus mehreren Zentimeter dickem Panzerglas, und ich vermutete, dass der Eimer sofort topplastig werden und