Norbert Böseler

Quick


Скачать книгу

ich diese wahnsinnigen Schmerzen. Heute Morgen fing es schon an, es wurde dann immer schlimmer. Ich habe zwischendurch geschlafen, dabei ist mein Bauch gewachsen. Dann kamen die Schmerzen und ich bin ohnmächtig geworden. Laura, du musst mich zum Krankenhaus fahren, ich brauche unbedingt einen Arzt und Gewissheit.“

      „Hattest du gestern Abend Sex?“

      „Ja, aber das ist doch erst ein paar Stunden her Laura, und außerdem haben wir ein Kondom benutzt. Eigentlich kann ich nicht schwanger sein, das ist unmöglich.“

      „Darf ich mal fühlen Janine?“

      Janine krempelte ihr T-Shirt hoch und Laura legte vorsichtig eine Hand auf den dicken Bauch. Janine glaubte, er sei in Zwischenzeit noch größer geworden.

      „Tatsächlich, du hast Recht Janine, ich kann es fühlen, da bewegt sich etwas. Unglaublich.“

      Plötzlich schrie Janine laut auf, woraufhin Laura erschrocken zusammenzuckte.

      „Die Schmerzen kommen wieder. Es fühlt sich an, als hätte ich einen Krampf im Unterleib“, sagte Janine schwer atmend.

      „Das sind Wehen, ich glaub es ja nicht Janine, du hast Wehen. Wir sollten uns beeilen, du brauchst wirklich Hilfe. Hast du, noch was anderes zum Anziehen, oder willst du so fahren?“

      „Mir passt sowieso nichts mehr, lass uns einfach fahren Laura, schnell, ich halte das nicht mehr lange aus!“

      Laura half Janine auf die Beine, die außerordentlich schwerfällig aus der Couch hochkam.

      Nur langsam bewegten sich die beiden jungen Frauen voran. Immer wieder musste Janine innehalten und nach Luft ringen. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis sie Lauras Auto erreicht hatten. Janine ließ sich völlig entkräftet in den Sitz fallen, dann startete Laura ihren Kleinwagen, und fuhr zu den städtischen Kliniken.

      Die Geburt

      Diana Rieschel machte der Wochenenddienst nichts aus. Die hübsche Dreißigjährige mit den dunklen Haaren liebte ihren Beruf. Nachdem ihr Mann im vergangenen Jahr bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, bestand ihre ganze Erfüllung darin, neues Leben auf die Welt zu verhelfen. Seit dem Unfall hatte sie sich abgekapselt, ging kaum noch aus, und hatte den Kontakt zu vielen Freunden verloren. Diese hatten immer wieder versucht, Diana neu zu motivieren, ihr neue Lebensfreude zu vermitteln, aber sie ließ alle gut gemeinten Vorschläge abprallen und zog sich weiter zurück. Ihr Leben hatte sich auf drastische Art und Weise verändert und sie versuchte, alleine damit klarzukommen. Sie hatten immer ein Kind gewollt, doch leider war es dazu nicht mehr gekommen. Einzig ihre Arbeit als Hebamme machte sie halbwegs glücklich. Wenn sie ein Baby auf die Welt verhalf, stellte sie sich vor, es wäre ihr eigenes. Sie wusste genau, dass dem nicht so war, doch Neid verspürte sie keinen. Die glücklichen Gesichter der Eltern verliehen ihr neuen Lebensmut. Irgendwann würde sie sich öffnen können, die neue Liebe finden, und in ihrem angestammten Kreißsaal ein eigenes Kind zur Welt bringen. Diese Hoffnung konnte ihr niemand nehmen.

      Sie ahnte nicht, dass sich an diesem sonnigen Sonntag, ihr Leben ein weiteres Mal verändern sollte.

      ***

      Kurz vor achtzehn Uhr erreichten Janine und Laura das Klinikum. Janine hatte während der Fahrt vor Schmerzen gestöhnt. Als sie Flüssigkeit verlor, wäre sie fast wieder ohnmächtig geworden. Laura lenkte sie ab, sprach ihr Mut zu, alles werde wieder gut.

      Laura parkte direkt vor der Notaufnahme und half ihrer Freundin aus dem Auto. Sie rief gleich hektisch nach einem Arzt. Ein junger Pfleger bemerkte die beiden und eilte ihnen zur Hilfe. Laura klärte ihn mit knappen Sätzen über die Situation auf. Der Pfleger meldete bei der Entbindungsstation einen Notfall an und half Janine auf ein bereitstehendes Krankenbett. Sie eilten den Flur entlang zu den Fahrstühlen. Die Entbindungsstation befand sich im zweiten Stock. Als sie die Station erreicht hatten, wurden sie bereits von Diana Rieschel erwartet. Sie schoben Janine zunächst in ein Behandlungszimmer. Wieder erklärte Laura den Sachverhalt, da Janine schwer atmend, kaum dazu in der Lage war. Was Diana zu hören bekam, konnte sie kaum glauben.

      „Und sie hatten zuvor nie intimen Kontakt zu Männern“, fragte Diana und sah dabei Janine an.

      Diese schüttelte nur den Kopf.

      „Wir machen zunächst eine Ultraschalluntersuchung, damit wir sehen, was überhaupt los ist. Das ist doch alles sehr merkwürdig. Der Gynäkologe hat Bereitschaftsdienst und kann frühestens in einer halben Stunde hier sein, deshalb habe ich bereits einen Notarzt aus der Chirurgie alarmiert. Ziehen sie bitte das T-Shirt aus Frau Huber.“

      Diana tastet Janines Bauch ab, und trug dann ein Ultraschallgel auf. Sie schaltete das Gerät ein und fuhr mit dem Führkopf über Janines Bauchdecke. Alle starrten wie gebannt auf den Bildschirm. Laura konnte einen leisen Schrei nicht unterdrücken. Auf dem Monitor war eindeutig ein Baby zu erkennen.

      „Was ist es, Mädchen oder Junge?“, stammelte Janine.

      „Ein Junge“, antwortete Diana verständnislos. Sie konnte nicht fassen, was sie da sah, nicht nachdem, was die Frauen erzählt hatten.

      „Nick, mein Sohn soll Nick heißen“, sagte Janine wie in Trance.

      Die Krämpfe hatten zugenommen, aber sie spürte die Wellen der Schmerzen kaum noch. Sie befand sich in einer Art von Delirium, wusste nicht mehr, was um sie herum geschah.

      Diana blickte weiter besorgt auf den Bildschirm. Der Säugling war außergewöhnlich groß und seine Bewegungen unnormal. Er lag eigentlich in der richtigen Position, drückte aber mit den Füßen gegen die Gebärmutter, und versuchte einen Arm in den Geburtskanal zu bekommen. Es sah aus, als würde das Baby aus eigener Kraft auf die Welt kommen wollen. Diana war ratlos, normalerweise müsste ein Kaiserschnitt eingeleitet werden. Dazu fehlte die nötige Zeit und der geeignete Arzt. Frau Hubers dumpfen Klagelaute trieben Diana zum Handeln an. Zunächst fühlte sie nach dem Puls. Er schlug viel zu schnell, so würde die Frau bald kollabieren. Sie brauchte ein Beruhigungsmittel. Wo bleibt der verdammte Arzt, dachte die überforderte Hebamme. Sie glaubte nicht, dass noch genügend Zeit verbleiben würde, um die Frau in den Kreißsaal zu transportieren. Das Baby wollte raus. Diana erkannte auf dem Bildschirm, wie beide Arme in den Geburtskanal drangen. Solch eine Situation war ihr nicht bekannt, sie wusste nur, dass Mutter und Kind diese Art von Geburt nicht überleben konnten. Hastig zog Diana Janine die Hose und den Slip aus. Beides war klebrig und blutig.

      „Janine, können sie mich hören? Sie müssen die Beine anwinkeln und spreizen! Laura, halten sie ihren Kopf und sprechen sie ihr Mut zu!“

      Gemeinsam mit dem Pfleger brachte Diana die kraftlose Frau in Position.

      „Pressen, Janine sie müssen es versuchen. Das Kind möchte kommen, und sie können dabei helfen, indem sie pressen“, sagte Diana aufmunternd, obwohl sie glaubte, dass die Frau nicht die nötige Kraft aufbringen konnte.

      Fruchtwasser, gefolgt von Blut trat aus ihrer Scheide, und lief auf das weiße Bettlaken. Diana sah wieder auf den Monitor, konnte aber nicht mehr viel erkennen. Die Gebärmutter hatte sich verdunkelt, weil sie sich mit Blut füllte. Der Säugling musste durch seine energischen Bemühungen eine innere Verletzung an den bereits geschädigten Organen verursacht haben, die nun stark bluteten.

      „Was ist hier los?“

      Diana erschrak, als der Notarzt das Zimmer betrat, und unvermittelt seine Frage stellte.

      „Die Frau bekommt ein Kind in Armvorlage, verliert viel Blut, und ihr Kreislauf könnte jederzeit zusammenbrechen“, antwortete Diana knapp und sachlich.

      Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sich eine kleine Hand aus Janines Unterleib drückte, und ins Freie ragte.

      ***

      Janine schrie stumme Schreie. Niemand konnte diese flehenden Rufe hören. Sie war zu erschöpft, um den Schreien einen Klang geben zu können. Ihr Körper zollte den Strapazen des Tages mit seinen radikalen Veränderungen Tribut. Vor ihrem geistigen Auge drehte sich ein Kreisel, ein bunter Kreisel mit vielen