Tabea Thomson

INGRATUS - Das Unerwünschte in uns


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der Frage auf ihren Lippen schlug sie erneut die Stelle auf. »Computer Balken entfernen«, schoss es über die vor Wissbegier brennenden Lippen.

      Gleichlaufend mit Eingabe der geforderten Geheimkennziffern verschwand der Sichtschutz. Mit weit aufgerissenen Augen las sie, was darunter stand:

      ~

       Ich nahm einen Duft wahr, ich empfinde diesen als sehr angenehm. Der vorzügliche Wohlgeruch entströmt Mister Pavelli. Sein Duft, er berauscht mich. …

       ~

      Bei diesen Textzeilen blitzte vor Melinas innerem Auge noch eine andere Textpassage auf:

       Ich nehme einen stark konzentrierten Duft wahr. Er bereitet mir arge Probleme.

      ~

      Eine Handfläche schlug erkennend an die Stirn. »Pheromone. … Hier reagieren, schlicht und ergreifend zwei passende Gatten ahl pii aufeinander.« Melinas Gesichtsausdruck sagte dazu ganz deutlich Volltreffer. Aber der Verstand sagte ihr: »Das kann so nicht stimmen. Schließlich war Adrian einige Jahre mit einem Vollblut Weib zusammen. An seiner Einstellung ändert sich ganz bestimmt nichts; bloß weil sie ihm den Laufpass gab.« Abrupt stutzte Melina. »Obwohl als Knabe, von drei Jahren, schmuste er nur mit Artgenossen. Und später, als er im Schulalter war, fand er den Schweißgeruch seiner Geschlechtsgenossen einfach nur faszinierend. Es erstaunte mich so manches Mal, was ihm diese Ausdünstungen alles offenbarten ... Sollte er etwa wirklich auf beide Geschlechter abfahren ... Hmm?! – Und nun wird er tatsächlich zeitgleich von beiden Geschlechtern umworben. Da er aber noch nicht bereit ist eine neue Beziehung zu beginnen, lehnt er, aus verständlichen Gründen, derzeit den Kontakt zu einem neuen Verhältnis ab. Nur er konnte es nicht verhindern, dass er dennoch auf einen umwerbenden ahl pii reagiert ...« Am Ende der Erkenntnis stand für Melina die Diagnose fest: »Adrians Psyche sträubt sich gegen eine neue Beziehung. Es geht soweit, das er mit Phantom Schmerzen darauf reagiert. Ein kräftiger ahl pii Blocker sollte genügen, um die Kolik-Anfälle zu unterbinden. Und damit das Pheromon des störenden Kandidaten auch Ruhe gibt, müsste er ebenfalls diesen erhalten. Nur wer ist es?«

      Melina atmete mehrmals kräftig durch, hierauf blätterte sie bis zur letzten virtuellen Seite.

      »Neiiin!«, ihr Tonfall kochte vor Unverständnis. Dort, wo für gewöhnlich ein Name steht, stand lediglich:

      – diensthabender Offizier. –

      ~

      Niedergeschmettert vergrub Melina ihr Gesicht in den Händen. Frustriert stellte sie fest: »Ich bin wieder ganz am Anfang meiner Recherche.« –

      Melinas nachfolgende Handlung rührte mit ziemlicher Sicherheit nicht von den Virus Blockaden, sondern es lag an ihren sturen Schädel. Ihr Stolz verhinderte sogar, bei Captain Albion den Namen vom besagten Offizier zu erfragen. Was verständlich war: Beide fochten seit ihrem ersten Blickkontakt einen offenen zudem scharfen Wortkampf aus; daher ist es mehr als unwahrscheinlich, das Albion den Namen so einfach herausrückt.

      Ob Melina nun einen Gedanken daran verschwendete, sei dahingestellt. Jedenfalls schlug sie übel gelaunt mit den Händen auf den Tisch. Lauthals schellte sie sich: »Hätte ich doch nur freigenommen und Adrian mit abgeholt, dann wüsste ich jetzt, wer der großzügige Pheromon "Versprüher" ist.«

      Dem Gedanken widersprach allerdings der offene Anreisetermin. Sofern es von ihm erwünscht worden wäre, hätte Melina einen fixen Termin erhalten. Aber es war nicht erwünscht und Melinas damaligen Wochendienstplan fädelte "Jemand" ganz geschickt ein. So bot dieser, was oft vorkam, drei verschiedene Möglichkeiten. Sie hatte die Wahl zwischen einer Woche frei, – langweiligen Nachtdienst oder genauso lange die Vertretung eines erkrankten Kollegen zu übernehmen. Melina entschied sich für die dritte Variante, welche einen Beisitz der praktischen Zwischenprüfungen von Heiler Studenten im letzten Ausbildungsjahr vorsah.

      Bei dem Prüfungsmarathon hing als Lockmittel noch eine zusätzliche Vergütung dran, welche in Form von in goldgefasstem Agamenon ausgezahlt wurde. Dieser Anreiz war letztendlich ausschlaggebend, weshalb sie unbedingt persönlich bei diesen Studenten die "Spreu vom Weizen" trennen wollte.

      Doch so einfach waren die zusätzlichen Agamenon Dukaten nicht verdient, denn man schickte ihr die falschen Studenten. Die Richtigen waren nicht besser. Deren Ausbildungsstand entsprach bestenfalls denen von blutigen Anfängern. So blieb es nicht aus, dass während der abzuarbeitenden Prüfungsaufgaben die Warnakustik nicht ein einziges Mal schwieg. Bloß gut das es sich bei diesen Patientinnen nur um holografische handelte.

      Damit die Warnakustik endlich schwieg, musste Melina ständig Behandlungskorrekturen vornehmen. Ihr – der Ausbilderin kam es so vor, dass sie die zu Prüfende sei. Dem nicht genug! Vor Prüfungsbeginn gab sie auch noch die Anordnung heraus: Unter keinen Umständen stören. Danach werte ich das Prüfungsprotokoll aus, da will ich nicht gestört werden.

      Weil alle im Team wussten, wie stressig solche Tage sind, hielten sie sich strikt an Melinas Order. Was wiederum zur Folge hatte: Die Vertretung Heiler Ralph McSalmer informierte erst am anderen Morgen über Adrians Ankunft. Mit entsetzen vernahm Melina, was dem Bruder während der Reise widerfuhr. Und auf ihre Frage: »Wer nahm den Notruf entgegen«, antwortete Ralph: ›Ich. Zum Einsatz selber schickte ich meinen Kollegen Doc Eric McAllun sowie die Heiler Studentin Marte.‹

      Darüber war Melina nicht erfreut, Erics Fachgebiet ist ausschließlich die Weiber Heilkunde. Nun ja, Ralphs nachfolgende Sätze besänftigten Melinas aufgebrachtes Gemüt. Denn entgegen ihren Befürchtungen hatte Doc Eric das richtige Medikament dabei. Und wie sie von Adrian erfuhr, half es sofort. Jetzt erst fiel Melina auf: Weder Adrian noch Ralph erwähnten, was Eric konkret injizierte. Um es im Nachhinein zu erfahren, öffnete sie erneut Adrians virtuelle Patienten Akte. Nur an dem besagten Tag wurde lediglich eingetragen: Nach dem Erhalt der Behandlung ging es Adrian Sawon wieder bestens.

      Die fahrlässige Ungenauigkeit des sonst sehr gewissenhaften Kollegen verwunderte Melina. »Wieso nennt er das Mittel nicht.« Nachdenklich schnippte sie die Patienten Akte weg. Wodurch wieder Adrians virtuelle Medikamentenakte ins Sichtfeld geriet. Ihre Augenbraue zuckte erwartungsvoll. »Da könnte es natürlich auch stehen.«

      Bloß bei dem gesuchten Zeitpunkt wurde in den angelegten Listen nichts eingetragen. Das konnte nicht sein! Aufgebracht blätterte sie um. Doch da stand nichts weiter. »Hey, was soll das? Was soll die Geheimniskrämerei.« Enttäuscht schnippte sie diese Akte weg.

      Wieder einmal hatte sie, anstatt Antworten zu bekommen, nur neue Fragen erhalten. Frustriert fuhr sich Melina durchs Haar. Diese selbstbemitleidende Geste begleitete nachdenkliches Schweigen. Es wurde abrupt von einer markanten Erinnerung unterbrochen. Die Begebenheit führte zum ersten gemeinsamen Abend an Bord. Adrian hatte sich "in Schale geworfen" um, wie er es nannte: ›Die Concordia unsicher zu machen.‹

      In Gedanken erlebte Melina den darauffolgenden Morgen noch mal. »Ralph teilte mir bei der Dienstübergabe mit, dass Adrian am frühen Morgen mit einer Kolik eingeliefert wurde.« Melina fragte sich nun: »Wo war er in jener Nacht.«

      Hätte sie den Bruder nach jeder spontanen Heilung mit strenger Bettruhe unter Beobachtung gestellt, wären ihr regelmäßig unbekannte Heiler übern Weg gelaufen. Sie versorgten Adrian mit der überbrückenden Therapie, welche seine schmerzhaften Vergiftungen unterbanden.

      Wie Melina nun so über Adrians nächtliche Ausflüge sinnierte, drifteten ihre Gedanken noch zu einem anderen Vorfall zurück. Seit seiner Ankunft auf der Concordia war genau ein Tag verstrichen. Kurz nach Melinas Dienstantritt meldete sich die Studentin Marte Blom: »Adrian wird gerade zu uns gebracht.«

      Melina nahm ihn da erstmalig persönlich in Empfang. Die Verfassung, mit der Adrian eingeliefert wurde, konnte erbärmlicher nicht sein. Er war nicht mal imstande, seiner Schwester zusagen, wo es ihm genau wehtut. Melina blieb auf die Schnelle nichts weiter übrig, als ihm mit einem neuralen Nackengriff den Schmerz zu blockieren. Vorsorglich verabreichte sie ihm ein Betäubungsmittel, und im Anschluss wollte sie Adrian vom Computer