sie länger geblieben, so hätten sie zusehen können, wie der Mann innerlich zusammenbrach. Mewen war seine Hoffnung gewesen, die letzten Jahre seines Lebens nicht alleine verbringen zu müssen. Diese Hoffnung war in den letzten Minuten erloschen.
Kapitel 10
Das Wetter hatte ein Einsehen mit den beiden Kommissarinnen. Ein wolkenloser, strahlend blauer Himmel empfing sie beim Verlassen der Récidence Vauban. Sie verließen die Ville Close durch die Rue Vauban, die zwar immer noch recht spärlich besucht war, aber immerhin hatten einige Geschäfte ihre Kleiderständer bereits wieder vor die Türen gestellt.
„Das Gespräch mit Bolloc´h hat sich gelohnt. Jetzt wissen wir definitiv, dass in dem Grab eine Menge Geld gewesen ist. Das könnte das Motiv für den Mord sein. Dann suchen wir also einen Raubmörder“, meinte Monique als sie durch die Gasse zum Ausgang der Altstadt gingen.
„Das Motiv für den Mord wird das Geld gewesen sein. Da stimme ich dir zu. Und wie finden wir den Täter? Immerhin liegt die Tat mindestens 19 Monate zurück. Wir haben bis jetzt keinerlei DNA oder Fingerabdrücke des Mörders gefunden, wir haben keine Zeugen, keine Hinweise, wo sollen wir suchen?“
„Vielleicht gibt es doch einen Hinweis“, meinte Monique und sah Anaïk verschmitzt an.“
„Was meinst du?“
„Lass uns herausfinden, ob die Banknoten für die Bargeldlieferung registriert worden sind. Wenn das der Fall ist, könnten wir gezielt nach Euroscheinen suchen, die in den letzten Monaten aus der Beute in Umlauf gebracht worden sind.“
„Das ist eine gute Idee. Auf einen Versuch können wir es ja ankommen lassen.“
Die Fahrt zurück nach Quimper war deutlich angenehmer als die Hinfahrt. Am Rande der Voie Express erglänzte jetzt im Sonnenschein ein dunkelrotes Buchweizenfeld, das herrlich mit dem Grün des Nadelwaldes und dem Blau des Himmels kontrastierte. Das war das Wetter in der Bretagne. Es konnte so schnell wie Ebbe und Flut wechseln.
Als sie vor dem Kommissariat eintrafen stand ein Citroën DS auf Anaïks Parkplatz. Sie unterdrückte ein leises Fluchen und den Ärger, dass ihr reservierter Parkplatz besetzt war und stellte den Dienstwagen auf einen freien Stellplatz, etwas weiter entfernt.
„Wer steht denn auf deinem Parkplatz?“, fragte Monique und stieg aus.
„Bestimmt irgendein Besucher des Kommissariats, der nicht gelesen hat, dass der Platz reserviert ist. Wenn er länger hier stehen bleibt, lassen wir ihn abschleppen.“
Der Polizist am Eingang grüßte freundlich und ließ die beiden Kommissarinnen ohne Kontrolle ins Gebäude.
„Eigentlich könnte die Wache auch auf die Parkplätze achten“, meinte Anaïk. Sie stiegen die Treppe in die zweite Etage hoch.
Anaïk betrat ihr Büro und staunte, einen ihr völlig unbekannten Mann vor der Pinnwand stehen zu sehen, der sich in aller Ruhe die Eintragungen und Fotos ansah.
„Wären Sie so freundlich und erklären mir, was Sie in meinem Büro suchen?“ Anaïk war noch von der Besetzung ihres Parkplatzes verärgert und jetzt das ungenierte Verhalten dieses Fremden in ihrem Büro. Wie konnte ein Mann einfach so das Kommissariat betreten, vorbei am Wachpersonal und sich frei im Haus bewegen?
„Oh, verzeihen Sie, Madame, ich darf mich Ihnen vorstellen. Kerber, Ewen Kerber, ich habe, zugegebenermaßen ohne Genehmigung, ihr Büro betreten. Es ist über viele Jahre mein Büro gewesen. Der kriminalistische Instinkt hat mich beim Eintreten sofort zur Pinnwand geführt. Viele Jahre lang habe ich davorgestanden.“
„Monsieur Kerber? Mein Name ist Anaïk Bruel, ich habe ihre Nachfolge angetreten, es freut mich Sie zu sehen. Ich habe Sie einmal in der Klinik gesehen als Sie angeschossen worden waren. Später habe ich nur mit Ihnen telefoniert. Ich habe Sie heute nicht wiedererkannt. Es ist mir eine Ehre, dass Sie mich hier im Kommissariat besuchen. Dann ist es wohl ihr Wagen, der auf dem Stellplatz des Leiters der Mordkommission steht?“
Ewen griff sich an die Stirn und nickte.
„Aus alter Gewohnheit, bitte verzeihen Sie, dass ich ihren Stellplatz belagere. Yannick hat mich angerufen und mir von einem längst vergangenen Fall erzählt. Er hat berichtet, dass Sie einen aktuellen Fall bearbeiten, der mit dem alten wohl in Verbindung steht. Da ich gerade in der Stadt gewesen bin, bin ich einfach schnell vorbeigekommen. Vielleicht kann ich ja doch noch nützlich sein.“
„Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich glaube, dass Sie uns nicht weiterhelfen können. Es geht nicht unbedingt um den alten Fall, obwohl wir gerade mit einem der drei beteiligten Männer gesprochen haben. Der Enkel eines der damals verdächtigten Männer ist bei Ausbesserungsarbeiten in der Ville Close tot aufgefunden worden. Der junge Mann ist vor ungefähr 19 Monaten ermordet und in der Ville Close verscharrt worden. So wie es aussieht, hat der Großvater unserem Opfer, seinem Enkel, das Versteck seines Anteils der Beute verraten. Damals sind 6 Millionen Euro gestohlenen worden.“
„Also 2 Millionen Euro? Konnten Sie das Geld beschlagnahmen?“
„Nein, das Geld hat unser Mörder wohl mitgenommen. Der Enkel von Monsieur Bolloc´h muss bei der Ausgrabung des Geldes ermordet worden sein. Es handelt sich übrigens nur um 1,5 Millionen. Ein Bankangestellter, der den Verbrechern den Tipp gegeben hat, hat 10% der Beute erhalten. Das hat uns Monsieur Heneg Bolloc´h gerade erzählt. Die restlichen 5,4 Millionen sind geteilt worden. Bolloc´h hat von seinem Anteil im Laufe der letzten Jahre 300.000 Euro ausgegeben. Das heißt, im Versteck lagen noch 1,5 Millionen Euro.“
„Ich kann mich noch sehr genau an den Fall erinnern. Damals ist ein Wachmann erschossen worden. Wir haben den Schützen eindeutig überführen können, und er hat seine gerechte Strafe erhalten. Monsieur Bolloc´h ist damals auch vernommen worden, aber wir haben ihm keine Beteiligung nachweisen können, und die beiden anderen haben geschwiegen. Mit dem Tod des Wachmanns hatte er definitiv nichts zu tun. Jetzt ist sein Enkel ermordet worden, sagen Sie?“
„Genau, jetzt haben wir die Leiche seines Enkels gefunden. Das Geld ist verschwunden. Wir hoffen, über das Geld unseren Täter finden zu können.“
„Ja, ja“, sagte Ewen und dachte nach.
„Über das Geld könnte man den Täter vielleicht finden“, meinte er dann.
„Das haben wir uns auf der Fahrt von Concarneau ins Kommissariat auch überlegt. Vorausgesetzt, die Banknoten sind registriert gewesen.“
„An eine Registrierung der Banknoten habe ich jetzt nicht gedacht. Eher habe ich an eine Information aus dem Verbrechermilieu gedacht. Wenn der Täter auch entsprechend jung gewesen ist, wird er wahrscheinlich nicht sehr besonnen gehandelt haben. Er hat sein Geld ausgeben wollen. Teure Autos kaufen, den Frauen imponieren und was es sonst noch so alles gibt. Vielleicht findet sich jemand im Milieu, der im letzten Jahr von einem, nennen wir ihn neureichen, jungen Burschen gehört hat, der auf großem Fuß lebt. Aber auf diese Idee sind Sie bestimmt auch schon gekommen. Ich möchte mich nicht in die Ermittlungen einmischen.“
„Wenn ich ehrlich bin, muss ich das verneinen. Ans Milieu habe ich bis jetzt nicht gedacht. Ich besitze noch nicht so viele Kontakte zur Szene von Quimper oder Concarneau.“
„Das hatte ich am Anfang auch nicht, Madame Bruel. Aber die Kollegen vom Rauschgift- oder aus dem Einbruchsdezernat haben gute Kontakte. Fragen Sie bei den Kollegen einfach mal nach.“
„Danke für den Tipp, ich werde mich darum kümmern.“
Anaïk unterhielt sich noch eine ganze Weile mit Kerber, fragte ihn nach seiner begonnenen Tätigkeit als Autor von Kriminalromanen und nach seinen sonstigen Beschäftigungen. Danach erkundigte sie sich nach seiner Frau Carla, die Anaïk im Krankenhaus kennengelernt hatte und bat ihn, ihr liebe Grüße mitzunehmen.
„Kommen Sie doch einfach demnächst zum Essen zu uns, meine Frau freut sich bestimmt“, meinte Ewen und verabschiedete sich von Anaïk.
„Die Einladung nehme ich gerne an. Ich melde mich bei