Helga Unger

Geistige Mitgift


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weil wir den Blick sosehr auf das Sichtbare, auf rasche Resultate und eigennützige Ziele gelenkt haben.

      In den vielen so einfach scheinenden Naturbeobachtungen liegen alle Erkenntnisse für uns bereit, etwa: Die Natur in ihrer Ursprünglichkeit kümmert sich nicht um die Norm, oder was wie zu sein hat und was die Gesellschaft vorgibt. Wenn die Natur einer Pflanze die einer Sonnenblume ist, dann lebt sie sich als Sonnenblume, auch wenn sich die Gesellschaft Schneeglöckchen als Resultat vorstellen würde.

      Die Natur folgt instinktiv ihren Lebenszyklen, ohne daran etwas komisch zu finden oder ändern zu wollen. Wenn es Zeit ist, nach innen zu gehen und auch im Inneren die eigene Göttlichkeit als Pflanze zu erfahren, dann gibt sie sich einfach ohne Gegenwehr hin und lässt geschehen, was in ihrer Natur angelegt ist (zu meinen beiden Lilien, hat sich inzwischen eine dritte gesellt).

      In der Natur fällt die Bewertung von Gut und Böse weg, denn niemals hatte ich das Gefühl, dass die Lilien die Zeit der Blüte als gut erachteten und die Zeit des Zurückziehens mit Trauer verbrachten. Sie strahlten in jedem Abschnitt ihres Seins ihre Liebe der Selbstannahme und des Friedens mit allen Ereignissen aus.

      In der Natur würde es einem Bach nicht einfallen, schnurgerade zu fließen, denn das Wasser springt gerne über Steine, es ist neugierig und bewegt sich in Mäandern fort, es weicht aus, nimmt an und auf, tanzt, umstreicht und stellt gleichzeitig ihre Kraft zur Verfügung. Im Wasserfall oder in den schäumenden Wellen des Meeres wird hier gleichzeitig die unendliche Stärke und Weite des Wassers als ein Ganzes von vielen einzelnen Tropfen bewusst. Und in jedem Tropfen ist die Quelle enthalten.

      In der Natur verhält sich eine Wildsau nicht wie ein Tiger.

      Warum leben wir so hautnah mit dieser Natur, ohne nur ein kleines bisschen davon zu verstehen, zu lernen und sie in ihrem Wesen nachzuahmen, indem wir unsere eigene Natur leben?

      Wir Menschen folgen blind der Herde, den Vorgaben von anderen, den Normen der Gesellschaft, den Dogmen und Glaubenssätzen, die man uns übergestülpt hat, den familiären Programmen und wir spielen die verschiedensten Rollen, die uns mehr oder weniger Spaß machen. Selten folgen wir unserer eigenen Natur, unserem göttlichen Wesen, dem Meister, der Heilerin in uns, den uns schützenden Engeln und Geistwesen, weil wir sie und die innere Stimme so wenig wahrnehmen, und auch nicht, was wirklich vor sich geht und wesentlich für uns ist. Daraus entstehen all die Schicksalsschläge, die uns zu uns selbst zurückführen sollen und uns zwingen mögen, uns selbst wie das Wesen der Natur kennen zu lernen und zu erforschen.

      Leben wir als Eltern fremdbestimmt, unglücklich, aufopfernd, im Stress, frustriert und genervt, krank ... dann glauben auch unsere Kinder, dass das Leben so ist oder so sein soll, was allerdings in keiner Weise natürlich, echt und wahr ist.

      Gottes Schöpfung kennt keine Hast, keine Verurteilung, keinen Widerstand und -spruch, keinen Druck und keinen Zweifel. Sie kennt Lebendigkeit, Freude, Einfachheit, Frieden, Liebe, Erfüllung, Einheit, im Rhythmus des Lebens, im Wachsen und Sterben, hin zum neuen Zyklus des neuen Seins...

      Was ist an dieser Ursprünglichkeit so schlimm oder veränderungswürdig? Warum stellen wir uns gegen oder über sie? Warum soll alles so schnell gehen? Warum erheben wir uns und meinen, dass wir es besser wissen als Gott in uns?

      Wir sind nichts und ein Niemand! Wenn uns dies einmal bewusst wird, dann können wir uns entspannen und uns unserem Sosein hingeben und es ganz und gar Gott in uns überlassen. Wir brauchen nicht besser, schneller, kompetenter, schöner, begehrenswerter, erfolgreicher, braver und genialer als andere sein. Wir dürfen einfach so sein, wie und was wir jetzt sind! Ohne Wenn und Aber, ohne Müssen, Sollen, ... – und ohne Angst, Eile, Zwang, Krankheit (Disharmonie) und Not.

      An diese Stelle möchte ich eine Weisheit von Laotse (herausgegeben von Lin Yutang) setzen, in der er uns warnt, in die Natur der Dinge einzugreifen. Die Folge davon ist Streit, Krieg, Streben, Stress, Unfrieden, ...

       „29. Warnung vor dem Eingreifen

      Es gibt solche, die wollen die Welt erobern,

      Und aus ihr machen (was sie sich vorstellen und begehren).

      Ich sehe, dass es ihnen nicht gelingen wird.

      (Denn) die Welt ist Gottes eigenes Gefäß;

      Es kann (durch menschliches Eingreifen) nicht gemacht werden.

      Wer es macht, verdirbt es.

      Wer es festhält, verliert es.

      Denn: Manche Dinge gehen vorwärts,

      Manche Dinge folgen nach.

      Manche blasen heiß (aus),

      Manche blasen kalt (ein),

      Manche sind stark,

      Und manche sind schwach;

      Manche können brechen

      Und andere können fallen.

      Daher vermeidet der Weise das Übermaß,

      Vermeidet Aufwand,

      Vermeidet Hoffart.“

      Dies gilt auch für unsere Kinder. Ich bin dafür, möglichst nicht in ihre Natur einzugreifen und sie in ihrem Wesen so zu belassen, wie Gott sie geschaffen hat. Manche sind sensibel, manche sind stark und robust, manche sind introvertiert, manche sind eher extrovertiert, manche sind still und phantasievoll und manche sind lebhaft und kreativ. Lassen wir sie wie sie in ihrem Naturell sind und erziehen, d.h. ziehen wir sie nicht in eine Richtung, die uns beliebt oder die wir auf die Kinder projizieren. Ich bin auch nicht für die antiautoritäre Erziehung, denn das ist lediglich das andere Extrem und zieht damit nur in die andere Richtung. Kinder brauchen einen Rahmen und ihrem Alter gemäß natürliche Grenzen, doch in diesem Schutz, in dieser Liebe dürfen sie so sein, wie sie sind. Sie übertreiben nur oder reagieren, wenn ihr Umfeld nicht in Harmonie ist, weil sie einfach widerspiegeln, was sie spüren, was unecht ist und was Ausgleich braucht.

      Es passierte auch mir selbst, dass ich meinen Sohn, als er klein war, stets antrieb, schneller zu sein (z. B. beim Anziehen und Waschen ...) weil ich selbst recht rasch agiere. Heute weiß ich, dass er im Wesen recht ausgeglichen, ruhiger und bedachter ist als ich es bin. Dies hat genauso seine Berechtigung und in vielen Dingen Vorzüge, da er nicht so impulsiv und spontan handelt und sich so manches Fettnäpfchen erspart. Doch es dauerte einige Jahre, bis ich dies annehmen und akzeptieren konnte, denn ich glaubte, die Welt und die anderen Menschen müssten so funktionieren, wie ich es tat oder wünschte. Wie Laotse sagt, gelang es mir nicht, mein Kind so sein zu lassen, wie es ist. Auch zerstörte ich damals dadurch sehr viel Harmonie, die wir heute durch unsere gegenseitige Akzeptanz in unserem Zusammensein genießen können. Erst viel später erlangte ich wesentlich mehr Verständnis durch das Studium der psychologischen Astrologie und verstand, was es bedeutet, dem eigenen Wesen gemäß – als Integrität bekannt – zu leben.

      Mit diesem kleinen Beispiel möchte ich Sie anregen, genau zu beobachten, wo Disharmonie in Ihrer Familie herrscht, wer was durch welches Verhalten auszugleichen versucht, was wir als Eltern fordern, und unsere Kinder nicht wirklich erfüllen können, weil es ihrem Wesen nicht entspricht und warum wir sie nicht so sein lassen können, wie sie sind. Erforschen Sie das Wesen Ihrer eigenen Natur, die des Partners und die Ihrer Kinder und korrigieren Sie die Erwartungen, Forderungen und das Übermaß zuerst bei sich selbst. Sie wurden ja auch erzogen und sollten möglichst brav und angepasst funktionieren und den Wünschen der Eltern entsprechen. Sie tun es heute noch und wenn Sie beginnen, ihre ursprüngliche Natur zu leben, dann geben Sie auch allen anderen Personen in Ihrem Umfeld, die Freiheit und den Raum, sie selbst zu sein.

      Erst als ich meine spontane und direkte Wildnatur anerkennen und annehmen konnte, durfte auch mein Sohn überlegter, diplomatischer und ruhiger an die Dinge herangehen. Ich überfiel ihn nicht mehr mit Fragen, wenn er nach einem Snowboard-Urlaub nach Hause kam, sondern wartete geduldig, was er von sich aus erzählen wollte. Er ließ mich im Winter getrost ans Meer fliegen, da ich von da immer sehr fröhlich und entspannt zurückkam. Mein Sohn lehrte mich, unsere Gegensätze anzunehmen und einander den Freiraum zu gönnen, nach unseren Wünschen