J. B. Hagen

Name unbekannt


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hielt, druckte er aus und hängte sie an die Wand, an der sein Schreibtisch stand.

      Edmund, ein rotzfrecher Rockertyp mit wilden Haaren und einer seiner beiden Mitbewohner, fand das mehr als grenzwertig.

      »Bist du jetzt unter die Nekrophilen gegangen, Alter?«, fragte er kopfschüttelnd.

      »Keineswegs. Denn es sind schließlich keine Fotos von Leichen, an denen ich mich aufgeile, sondern besonders schöne Gräber eines verwunschenen Friedhofs. Dieser Ort gibt mir viel. Ich kann dir nicht einmal erklären, warum.«

      »Dann solltest du als Totengräber oder Bestatter jobben. Da hättest du Gelegenheit, das eine oder andere kalte Händchen zu tätscheln.«

      »Red keinen Unsinn. Ich sage doch, es geht mir keinesfalls um die Leichen.«

      »Die Leichenschändung ist keineswegs eine Erscheinung der Moderne. Schon die Ägypter sollen angeblich absichtlich die Einbalsamierung der Leichen verzögert haben, um sich mit diesen sexuell zu vergnügen. Heute wird das allerdings strafrechtlich verfolgt und schwer geahndet.«

      »Kannst du nicht jemand anders mit deinem Halbwissen auf die Nerven gehen?«

      »Oh, da nimmt jemand übel. Leo, komm doch mal! Wie findest du die morbide Sammlung unseres Mitbewohners?«

      Leo rückte seine Hornbrille zurecht und strich seine aschblonden Schnittlauchlocken aus der Stirn, um anschließend interessiert die Fotos zu betrachten.

      »Jedem Tierchen sein Plaisierchen, würde ich sagen. Ich sehe da durchaus ein gewisses Talent. Warum widmest du dich nicht hauptberuflich dem Fotografieren? Oder beteilige dich mal an einem dieser Fotowettbewerbe. Vielleicht springt ein Abo einer Tageszeitung oder einer Illustrierten heraus.«

      »Weil ich es nur als ein Hobby betrachte. Und bevor noch mehr Jobvorschläge von euch kommen, solltet ihr die Tür von draußen zumachen.«

      Edmund und Leo machten sich teils amüsiert, teils pikiert davon und diskutierten in der Küche noch eine Weile. Andreas hielt sie für Ignoranten. Zumindest Edmund, denn Leos Bemerkungen waren ja nicht unbedingt negativ gewesen. Dass beide nicht nachvollziehen konnten, was ihn bewegte, lag womöglich daran, dass sie nicht die einzigartige Atmosphäre des Ortes erlebt hatten. Oder war er wirklich nicht normal? Statt blühender Wiesen oder traumhafter Sonnenuntergänge nahm er Gräber auf von Leuten, die er nicht einmal gekannt hatte. Auch dass er sich in eine Frau verlieben konnte, von der er nichts wusste und die ätherisch wie ein Geist wirkte, fiel ihm jetzt auf. Was, wenn sie wirklich einer war? Ach, Blödsinn. Deshalb war er noch lange nicht nekrophil veranlagt, entwickelte allenfalls einen Hang zum Morbiden.

      Noch am selben Abend machte sich Andreas auf in den Grunewald. Es begann schon zu dämmern, und er musste sich beeilen, dass er nicht bei völliger Dunkelheit auf dem Friedhof ankam oder womöglich gar nicht erst den Weg dorthin fand. Bewappnet mit einer Taschenlampe und seiner Kamera, die auch Nachtsichtaufnahmen zuließ, stieg er über die niedrige Mauer, denn das Tor war schon abgeschlossen.

      Sogleich fiel ihm die völlig veränderte Atmosphäre auf. Die Beschaulichkeit war einer düsteren Ahnung gewichen. Denn er nahm seltsame Energien, flüchtige Schatten und ein unheimliches Flüstern wahr. Dann sah er plötzlich die dunklen Umrisse eines flachen Gebäudes, das bei Tag nicht dort gewesen war. Moment mal, im Internet hatte er gelesen, dass es einmal eine Leichenhalle gegeben hatte, die 1911 aus Backsteinen erbaut und Jahrzehnte später wieder abgerissen worden war. Wie konnte es sein, dass er etwas sah, das nicht mehr vorhanden war? Doch es sollte nur der Auftakt zu einigen Erlebnissen sein, die ihm noch im Nachhinein Gänsehaut bescheren würden.

      In einiger Entfernung bildete sich urplötzlich ein weißer Nebel, aus dem Gestalten einer anderen Epoche hervorkamen. Andreas hätte schwören können, dass ein Soldat mit einer Uniform, wie man sie im ersten Weltkrieg getragen hatte, darunter war. Er hatte nur ein Bein und stützte sich schwerfällig auf eine Krücke. Über dem linken Auge trug er einen schmutzigweißen Verband. Ihm folgte ein abgemagerter Mann in einer Art Sträflingskleidung, die ihm in Fetzen am Leib hing. Zwei Frauen mit Mänteln aus Wolldecken und mit um den Kopf gebundenen Schals schleppten einen schweren Koffer, den sie immer wieder absetzen mussten. Dann ging ein Mann mit schwarzem Bart, wilden Haaren und typischem Russenkittel so nah an ihm vorbei, dass er eine Bewegung am Ärmel spürte. Gleichzeitig hörte er ein Flüstern an seinem Ohr: »Du Bolschewiki? Dann verschwinde!«

      Andreas war wie paralysiert. Er konnte nicht einmal die Kamera zücken, um auf den Auslöser zu drücken. Als der Spuk vorbei war, setzte er sich auf eine einsame, blaugestrichene Bank und steckte sich mit zitternden Händen eine Zigarette an. Nicht wissend, wie lange er so verweilte, hörte er plötzlich ein leises Kinderweinen. Der Strahl seiner Taschenlampe konnte aber kein Kind erfassen. Erst als er sie ausknipste, huschte eine kleine Gestalt mit einer Art Kinderkleidchen in einiger Entfernung vorbei. Als er ihr nachging, war natürlich niemand da.

      Als Nächstes sah er eine Frau auf der Bank sitzen. Für einen Moment hoffte er, es würde die geheimnisvolle Fremde sein, die ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Doch beim Näherkommen erkannte er seinen Irrtum. Diese Frau sah wesentlich älter aus, obwohl sie vielleicht erst Mitte zwanzig war. Anders als die anderen löste sie sich nicht nach einer Weile auf, sondern sah ihn erwartungsvoll an.

      »Hallo, ich bin Minna«, sagte sie mit seltsam verhallter Stimme.

      »Ich heiße Andreas. Was machen Sie hier nachts alleine auf dem Friedhof?«

      »Mich zieht es immer wieder hierher zurück. Einst hätte man mich um ein Haar lebendig begraben.«

      »Wie das?«, fragte Andreas ungläubig.

      »Man fand mich an der Uferböschung und erklärte mich für tot. Als man mich einsargte, entdeckte man plötzlich, dass ich noch lebte. Es war ein gefundenes Fressen für die Journaille, und ich war für längere Zeit das Stadtgespräch Nummer eins.«

      »Wann war denn das?«, fragte Andreas aus einer Ahnung heraus.

      »1919. Meinetwegen kamen Särge mit Sichtfenster und Luftlöchern groß in Mode. Heutzutage soll es Särge mit Schnorchel geben, und eine Schnur im Sarg dient zum Läuten einer Glocke am Grabstein.«

      Die Frau, die sich Minna nannte, plauderte locker wie übers Wetter. Andreas wusste, dass eine Minna Braun tatsächlich dort begraben wurde. Und nachdem man sie gerettet hatte, war sie nach Jahren mit ihrem zweiten Selbstmordversuch erfolgreich gewesen, hieß es zumindest. Aber wenn diese Frau auch damals überlebt hatte, müsste sie jetzt fast hundert Jahre sein, überlegte Andreas. Die Frau, die neben ihm saß, war jedoch um mehr als zwei Drittel jünger. Also hatte er es entweder mit einem Geist zu tun oder mit einer geistig Verwirrten. Noch bevor er eine Lösung fand, war die Gestalt verschwunden. So lautlos, wie sie aufgetaucht war.

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