umgibt, die verwirrten Gedanken werden vergehen. Es ist das schönste Stück der Erde, wohin sich jener lebendige Rest meiner Asche verlor, der dein Ursprung ist …
Es ist ein eigentümliches Gefühl, aus seiner Wohnung fortzugehen, noch ehe man sie in Besitz genommen hat.
Der Umschlaghafen Stadt, die Drehscheibe Bahnhof, tun zum ersten Male ihre Pflicht.
Der Pilz, der den Blick auf sich zieht, spiegelt die rötlichen Strahlen der Sonne, tiefer Schatten hüllt den Hort der Toten ein, das Raunen ihrer Stimmen verstummt.
Ein neuer Tag bahnt sich an …
Unterwegs
Hitze brütet über der weißen Stadt am Meer. Helsinki ist fast menschenleer. Wer nicht hier bleiben muss, sucht Kühlung irgendwo in einer der vielen Buchten, die das Meer ins Land gegraben hat, oder am Ufer einer der unzähligen Seen.
Auch er wird nicht in der ungewohnten Harmonie aus Fels und Wasser, Beton und Wald bleiben: Reisen, wandern, fahren … ohne Ziel … und doch nicht ins Unbekannte.
Wer fährt schon nirgendwohin?
Der Tourist hat ein Ziel. Der Erholung Suchende fährt zum Ort seiner Buchung, ins Blaue tragen Sonderzüge Betriebsbelegschaften.
Es besteht kein Grund, wild durch das Land zu rasen, das er weder kennt noch schnellstens durchmessen will. Und dennoch fährt er, als hingen ihm tausend Verfolger an den Fersen.
Das Unwetter kündigte sich schon in der brütenden Hitze über der Stadt an. Glaubte er, schneller zu sein, ihm ausweichen, davonfahren zu können?
Unheimlich schnell baut sich Düsternis ringsherum auf. Jetzt fährt er in eine schwarze Wolkenwand, Blitze zucken aus ihr hervor, Wasserströme stürzen vom Himmel herab …
Der Wagen gleicht einem Schiff, das sich mühsam einen Weg durch die plötzlich entstandenen Wassermulden bahnt: gestoßen, herumgeschleudert und doch glücklich wieder auf geraden Kurs gebracht. Die Scheibenwischer versagen ihren Dienst, die Sicht verschwimmt …
Wer fährt schon nirgendwohin?
Es ist wie Höllenjagd in Wolkengründe, Unterseeboot und Düsenflugzeug zugleich – so stürmt es um ihn herum. Felsen eilen vorüber, rote Holzhäuser, brodelnde Seen, bunte Tanksäulen, Reklamen.
Der Wind pfeift schrill durch die Fugen der Karosse, die müde gewordenen Wischblätter zucken hin und her, haben es aufgegeben, sich dem Sturm zu stellen.
Doch der Mann am Steuer hält stand – er, der sich vorgenommen hatte, geruhsam zu wandern, beschaulich durchs Land zu fahren. Gedanken schießen ihm wie die Blitze vor seinen Augen durch den Kopf. Fast wäre er auf ein Pferdefuhrwerk aufgefahren!
Weiter! Nichts geht mehr … nichts …
Ein Stein donnert gegen die Windschutzscheibe. Das Glas hält stand, splittert nicht; ein Wegweiser rast vorbei …
Wohin?? Es ist einerlei. Die Kugel tanzt im Kreise, Scheiben drehen sich … achtundzwanzig, achtundzwanzig! Und dann wieder die samtweiche Stimme: Hyvää päivää! Wo ist die Zeit?
Die Achsen ächzen auf immer raueren Straßen. Halt! Links und rechts der Straße drohen Felsen, hocken lauernd, als wollten sie gleich zusammenschlagen. Die Symplegaden des Nordens? Skylla und Charibdis hier?? Sie werden stehenbleiben, nicht zusammenschlagen wie die Symplegaden. Hindurch! Hier beginnt das Land, das dich anzog wie ein gewaltiger Magnet – das dich nicht mehr loslässt …
Sein Herz stockt: Hier ist die Erde, wo er im Krieg um sein Leben bangte … das nun zerrissene Land.
Gespenstern gleich rasen „Symplegaden“ neben ihm her, drohen: wenn du nur Vergnügen suchst, Erleben für dein Skizzenbuch, so kehre schleunigst um … kehr um …, scheinen sie ihm warnend zuzurufen.
Aber die Felsen schlagen nicht zusammen, wie im Theater, schrammen nicht das Schiff. Sie bleiben stumm und unbeweglich, doch sie lassen den Fliehenden, der sich sucht, nicht mehr zurück. Die Felsen verletzen nicht die Haut – sie treffen das Herz, noch eh es bemerkt, welch ein Land ihm hier Willkommen bietet …
Die Verwandlung geschieht plötzlich: Blauer Himmel spannt ein leuchtendes Zelt, kleine Wolkenberge ziehen wie weiße Schiffe darunter hin, die Sonne blendet ihn und verwischt einen Moment lang den Blick. Dann – so weit das Auge reicht – da und dort, nahe der Straße, große Flächen ruhiger Seen, grüner Wiesen, gesäumt von dunkelblau schimmernden Wäldern, eingeschlossen von Granitbergen, die eine Urgewalt hierher gewälzt hat.
Er verlangsamt sein Tempo, möchte verweilen. Der Reise haftet noch der lastende Schmutz an, von heute und von gestern, von Jahren vielleicht!
Er lässt den Wagen an der nächsten Tankstelle weit draußen waschen. Er betrachtet das freundliche Land aus Wasser, Wald und Fels, betrachtet die kauernden Rinder auf den Weiden, und die Findlinge, die eine Riesenhand darüber hingestreut hat.
Wo bin ich?, fragt er sich. Warum schweigen die Felsen und lassen den Ruhelosen hindurch? Wie lange sind sie schon da und welches Eis schob sie her? Geologen wissen wohl Erklärungen, beweisen den Ursprung des wahllosen Herumliegens der granitenen Brocken. Es gibt Abhandlungen, die den Steinen gelehrte Sprache und eine Art Leben zusprechen. Aber die Felsen erschweren den Menschen ihre Arbeit: sie müssen um sie herum säen, pflügen und ernten ...
Eine Engelslaune versteckt sich hinter jedem einzelnen dieser stummen, harten Zeugen, denkt er sich, und die Engelslaune mochte den großen, alten und unbekannten Herrn da oben auch veranlasst haben, diesen Menschen hier – wie ihren Brüdern in den hohen Gebirgen überall – eine Tugend zu verleihen, die Heimweh erzeugt und zur Heimkehr zwingt.
Hier liegen mehr als nur zwanzigtausend Steine, achtundzwanzigtausend womöglich … Kreuze … Massenanfall … Nicht nachdenken!
Er erschrickt, weil ihn jemand anspricht:
„Anteeksi, Auto ist fertig“, sagt ein Mann im grauen Kittel und deutet auf den Wagen.
Aha, das Auto. Er zahlt und verlässt den Ort mit „Näkemiin“ … Auf Wiedersehen!
Die Weiterfahrt kommt ihm vor, als würde er gefahren und dächte über etwas nach, das es nicht gibt. Musik begleitet ihn und ihm ist, als spielten zwei Orchester:
Das eine in Moll – Largo maestoso: weit ausladend, sehnend, baut eine Spannung auf, die nach Entladung drängt, lässt erfüllte Wünsche unerfüllt. Immer tiefer dringt diese Musik in ihn ein, wühlt auf und besänftigt zugleich, verheißt unsagbar Schönes und beruhigt seine aufgewühlte Seele.
Das andere Orchester spielt hartes Dur – Presto furioso: Stürme wüten über ihm, Hörner jaulen aus brodelnden Tiefen ihre Töne in Fugen und Klüfte aus felsigem Urgrund, schrill fahren die kratzenden Streicher dazwischen, heftige Tanzrhythmen machen sich breit, der Donner des Schlagwerks triumphiert – rauschende Wasser, wogende Felder satter Spätsommer klingen hinein …
Moll und Dur, Largo und Prestissimo – und doch kein Inferno, keine Dissonanz. Harmonie von seltsamer Schönheit, Zwiespalt der Rhythmen: Einklang und Einstimmung in ein ersehntes, unbekanntes und doch so vertrautes Land.
Die zwei Felsen von vorhin werden deine Rückkehr nicht hindern, lassen das Auto hindurch. Aber du bleibst hier, sagt seine innere Stimme; kannst dir nicht entfliehen, auch wenn dein Körper davonzurennen versucht. Du bleibst in diesem Land, wirst Stein wie diese Granite hier, und Wasser umspült dich … umspült euch … euch??
Das Land löst keine Jubelstürme aus. Man durchfährt es nicht trunken vor Begeisterung; es stimmt nicht schwermütig und nicht himmelhoch jauchzend